Süddeutsche Zeitung

U21-EM:"Lass mich drin, ich will den schießen"

  • Deutschland steht im Finale der U21-EM. Am Sonntag trifft das Team auf Spanien.
  • Einer der entscheidenden Spieler im Halbfinale war Hoffenheims Nadiem Amiri.
  • Der hat eine schwierige Saison hinter sich - und muss nun schauen, dass er den Sprung vom Talent zum Leistungsträger schafft.

Von Sebastian Fischer, Udine

Er lief und lief und lief, gegen die Hitze an, seinen Gegenspielern davon, und wahrscheinlich wäre Nadiem Amiri noch weiter gelaufen, wäre nicht ein guter Zeitpunkt gekommen, um zu schießen. Rumäniens Torwart Ionut Radu stand etwas verloren in der Mitte seines Tores, Amiri hatte kurz vor dem Strafraum Platz, er traf. Es war das erste Tor von vier, die der deutschen U21 das 4:2 im Halbfinale der Junioren-Europameisterschaft gegen Rumänien brachten. Amiri schoss auch noch das letzte, per Freistoß. Er war auf dem Platz geblieben, obwohl Trainer Stefan Kuntz eigentlich den Plan hatte, ihn auszuwechseln.

Bei einer U21-EM geht es um Erfahrungen für Talente, es geht um bedeutsame Erlebnisse für die Entwicklung von Karrieren, das haben alle Beteiligten in den vergangenen zwei Wochen immer wieder betont. Doch nun steht Deutschland im Finale gegen Spanien, wie schon beim EM-Sieg vor zwei Jahren. In einem Finale geht es nur noch ums Gewinnen. Dazu braucht eine Mannschaft eine schlüssige Taktik. Und sie braucht bestenfalls Spieler, die den Unterschied machen, zum Beispiel, weil sie einfach mal mit dem Ball drauf los dribbeln. Spieler wie den 22 Jahre alten Angreifer Amiri.

Wenn die U21 an diesem Sonntag in Udine um den Titel spielt, dann ist das Finale 2017 in Krakau auf den Tag genau zwei Jahre her. Das 1:0 damals war ein Sieg der Taktik, Deutschland schlug individuell überlegene Spanier mit einem klugen Matchplan, frühem und aggressivem Pressing. Auch diesmal ist der Weg der Spanier ins Endspiel der beeindruckendere, sie schlugen eine hoch gehandelte polnische Mannschaft, die zuvor Gastgeber Italien besiegt und damit letztendlich aus dem Turnier geworfen hatte, im entscheidenden Gruppenspiel mit 5:0, danach Frankreich mit 4:1. Doch diesmal, das ist der Eindruck der EM bislang, hat Deutschland eine spielerisch stärkere Mannschaft als vor zwei Jahren.

Ein Pendant zu Luca Waldschmidt etwa, dem siebenmaligen Torschützen und herausragenden Stürmer des Turniers, fehlte damals, weil Deutschland in Davie Selke mit einem klassischen, wuchtigen Mittelstürmer angriff. Und Mahmoud Dahoud, Levin Öztunali und Amiri, die am Sonntag maßgeblich das deutsche Offensivspiel prägen sollen, saßen vor zwei Jahren noch als die Jüngeren auf der Bank. Amiri war im Finale der erste Einwechselspieler. Er hatte im Halbfinale gegen England den entscheidenden Elfmeter im Elfmeterschießen verwandelt.

Es gibt eine Begebenheit aus dem Trainingslager der U21 vor der EM, die Amiris Rolle ganz gut beschreibt. In einem Testspiel gegen eine Auswahl Südtiroler Amateure nahm sich Lukas Nmecha vor einem Elfmeter den Ball, der 20 Jahre alte Stürmer, den der DFB erst im März vom englischen Verband abgeworben hat, der die Gepflogenheiten im Team noch nicht kannte. Amiri nahm ihm den Ball weg. Zum Turnierstart war der Angreifer von der TSG Hoffenheim trotzdem zunächst nur Ersatz, gegen Ende der Bundesligasaison hatte er sich am linken Sprunggelenk verletzt und es hatte so ausgesehen, als würde er gar nicht nach Italien reisen können. In den ersten drei Spielen begann an seiner Stelle Marco Richter vom FC Augsburg und schoss drei Tore. Gegen Rumänien begann Amiri auch deshalb, weil Richter angeschlagen war.

"Der Trainer hat mir vor dem Spiel gesagt, dass ich die klaren Aktionen durchziehen soll", so beschrieb er seine Aufgabe. "Lass mich drin, ich will den schießen", das habe er Stefan Kuntz vor dem Freistoßtor in der Nachspielzeit zum 4:2 zugerufen. Immer wieder lief er Richtung Grundlinie, seine Dribblings brachten jedes Mal Gefahr, manchmal spielte er etwas zu spät ab, aber das war nach dem Sieg nicht mehr das Thema, weil sich Deutschland nach einer schwachen ersten Hälfte gesteigert hatte. Das Team müsse nun "Charakterstärke, Mentalität, Emotion" ins Finale mitnehmen, sagte Amiri. Er scheint davon auszugehen, nun anstelle Richters in die Startelf gerückt zu sein.

Amiri spricht in Interviews sehr kurze Sätze, sagt konsequent "sch" statt "ch", und wenn er abseits des Platzes gemeinsam mit seinem Kumpel Dahoud Faxen macht, dann muss man ein wenig an Poldi und Schweini in sehr jung denken. Wie er sich weiterentwickelt hat, das war bei der TSG Hoffenheim in der vergangenen Saison eher selten zu sehen, weil er auch zu Saisonbeginn verletzt war, in der Champions League spielte er insgesamt nur 27 Minuten, im Dezember gegen Manchester City. Trotzdem wird Amiri nach dem Finale dem Alter eines Talents entwachsen sein, er gehört zum Jahrgang 1996, der bei den Olympischen Spielen im kommenden Jahr nicht mehr dabei sein wird, weshalb gerade auch schon von Wehmut die Rede ist, so gut sei der Teamgeist, sagen alle, der Abschied werde schwerfallen.

Amiri hat der Bild-Zeitung verraten, dass er für sein Geburtsland Afghanistan spielen würde, wenn er mit Ende 20 noch nie für Deutschland gespielt haben sollte. Aber davor sei es sein Traum, Nationalspieler beim DFB zu werden. Ein Spiel in der U21 hat er noch, um seinen Wunsch zu verdeutlichen. Am Sonntag wird Bundestrainer Joachim Löw im Stadion erwartet.

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