Deutsche U21:Ein wahrer Gruselfilm

Deutsche U21: Schlechte Erinnerungen: Im November verlor das deutsche Team, im Bild Luca Netz (rechts), 0:4 gegen Polen.

Schlechte Erinnerungen: Im November verlor das deutsche Team, im Bild Luca Netz (rechts), 0:4 gegen Polen.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Drei frühe Gegentreffer, eine rote Karte: Die sonst so souveräne deutsche U21 wird von Polen regelrecht ausgespielt - damit ist in der EM-Qualifikation plötzlich wieder alles offen.

Von Ulrich Hartmann, Aspach

Nebel als Symbol für Unheil: Das funktioniert stets sehr gut im Film, in der Literatur - und beim Fußball. Für die deutsche U21-Nationalmannschaft entpuppten sich nebulöse erste 20 Minuten im EM-Qualifikationsspiel gegen Polen im Stadion des schwäbischen Städtchens Aspach - dort, wo der Regionalligist SG Sonnenhof zuhause ist - als wahrer Gruselfilm.

Drei Gegentreffer zwischen der 5. und der 15. Minute sowie ein Platzverweis wegen einer Notbremse für den Bremer Abwehrspieler Jean-Manuel Mbom in der 19. Minute führten dazu, dass die U21, im Juni noch umjubelter Europameister, erstmals nach 14 Monaten und 14 Spielen wieder besiegt vom Platz schlich. Mit Kacper Kozlowskis finalem Schlag in der 90. Minute setzte es eine kapitale 0:4 (0:3)-Niederlage, durch die in der Spitze der EM-Qualifikationsgruppe mit Deutschland (12 Punkte), Israel (12) und Polen (10) nun alles wieder offen ist.

Drei Mal wurde die sonst so souveräne deutsche Mannschaft früh ausgespielt mit Gegentreffern durch den schnellen Adrian Benedyczak (5. und 12. Minute), der beim italienischen Zweitligisten Parma Calcio mit dem 43 Jahre alten Torwart Gianluigi Buffon zusammenspielt. Den dritten Treffer erzielte Michal Skoras (15.) von Lech Posen. In der 19. Minute wäre Benedyczak womöglich auch noch zum früheren vierten Treffer davongelaufen, hätte Mbom ihn nicht umgerissen und dafür die Mitspielberechtigung eingebüßt. Benedyczak, 20, hat bis zum Sommer übrigens bei Pogon Stettin unter dem früheren Duisburger, Kaiserslauterer und 1860-Trainer Kosta Runjaic gespielt. Über diesen Stürmer sagte Runjaic im Pro7Maxx-Interview: "Er kann der Robert Lewandowski der Zukunft werden."

Nebel über Aspach: Die Sicht von Tor zu Tor war gerade noch gegeben

"Die Anfangsphase war eine Katastrophe", klagte hinterher der deutsche Kapitän Jonathan Burkardt vom FSV Mainz, gab dem Nebel allerdings keinerlei Mitschuld. Schon 24 Stunden zuvor beim deutschen Abschlusstraining war es im Stadion sehr neblig gewesen. Daraufhin war beschlossen worden, die Partie notfalls vom Freitagabend auf den Samstagmittag zu verschieben. Doch die Sicht von Tor zu Tor war gerade noch gegeben. Den nötigen Durchblick hatte die deutsche Mannschaft trotzdem nicht. Allerdings aus einem anderen Grund: "Wir hatten zu einfache Ballverluste und zu große Abstände zwischen den Spielern", sagte Burkardt.

Solch eine Abkühlung ist keine neue Erfahrung für erfolgsverwöhnte deutsche Junioren-Nationalspieler. Auch die U21-Vorgänger-Generation, die im Juni Europameister wurde, hatte in ihrer Qualifikationsphase damals zwei Schlappen erlitten - gegen Belgien. Die zweite davon, ein 1:4 im September 2020, war just jene Niederlage, die anschließend 14 Monate lang als letzte deutsche U21-Niederlage geführt wurde. Damals wurde der Abwehrspieler Amos Pieper in der 18. Minute nach einer Notbremse des Feldes verwiesen. Welch ein Zufall: Platzverweis in fast derselben Minute und ebenfalls vier Gegentore. Für Belgien spielten damals unter anderem der heutige Wolfsburger Sebastiaan Bornauw und der heutige Stuttgarter Orel Mangala.

Der U-21-Bundestrainer Antonio Di Salvo war damals noch Assistent von Stefan Kuntz, der mittlerweile die türkische Nationalelf anleitet. Die Niederlage gegen Polen nun war Di Salvos erste als Chef. Er weiß sie einzuordnen: "Es gilt jetzt, daraus zu lernen", sagte er. Die psychologische Konstellation nach 19 Minuten war als Herausforderung lehrbuchhaft: Wie geht man mit einem Mann weniger mit einem 0:3-Rückstand um? Die Mannschaft löste es solide, hatte sogar gute Chancen, wieder heranzukommen, doch der Hoffenheimer Angelo Stiller traf mit einem Freistoß nur den Pfosten (45.) und der Schalker Malick Thiaw köpfelte aus kürzester Distanz am halbleeren Tor vorbei (56.). "Wir müssen aus diesem Spiel lernen", betonte Di Salvo noch einmal. Und wahrhaftig bringt einen eine kapitale Niederlage ja manchmal weiter als der x-te Sieg nacheinander.

"Gut, dass wir jetzt nicht direkt auseinandergehen, sondern zusammenbleiben und am Dienstag schon wieder spielen", sagte der Kapitän Burkardt in sehr vernünftiger Manier. Am Dienstag geht es in Ingolstadt gegen San Marino. Gegen San Marino kann man kaum verlieren, nicht mal im Nebel. Spannender und entscheidend für die Qualifikation zur EM 2023 in Rumänien und Georgien werden die beiden Rückspiele in Israel im März und in Polen im Juni. Das werden nun umso größere sportliche und mentale Herausforderungen. Alles-oder-Nichts-Spiele, wie Fußballer sie lieben.

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