Als Fernando Santos der gefeierte Held war, als ihm in Lissabon Zehntausende Menschen zujubelten, da wurde er mutig. Santos, der Nationaltrainer Portugals, war gescholten worden in der Heimat. Vor der Nacht von Saint-Denis, vor dem ersten portugiesischen EM-Triumph, hatte Santos seine Mannschaft in Frankreich einen Fußball spielen lassen, mit dem sich seine Landsleute kaum identifizieren konnten: defensiv, abwartend, fies. "Mais importante jogar bem que jogar bonito", hatte Santos vor dem Finale gesagt, es sei wichtiger gut zu spielen als schön; in Portugal, dem Land der Trickser und Ballartisten, kam dies einer Gotteslästerung gleich.
Nun, den großen Erfolg im Rücken, wagte Santos eine Prognose. "Wenn wir weiter so bescheiden auftreten, können wir große Dinge erreichen", sagte er bei der Feier am Tag nach dem Finale. Die portugiesischen Fußballer der Zukunft, wollte er sagen, sie sollen eine Ära begründen. Er sagte es in dem Wissen, dass die nächsten Generationen talentierter sind als jene von 2016.
Hackentricks und Ballstreicheln in Großaspach
Während Santos über die portugiesische Zukunft sprach, spielte die portugiesische Zukunft in Großaspach unentschieden. Die U 19-Auswahl des Europameisters, die an diesem Donnerstag (19.30 Uhr/Eurosport) auf Deutschland trifft, kam im ersten Spiel der U19-EM nicht über ein 1:1 gegen Österreich hinaus. Und doch war zu erkennen, dass der Stil der portugiesischen Talente ein anderer ist als der in Frankreich kritisierte Stil der Profis. Auf Hackentricks und Ballstreicheln, in Frankreich kaum vorhanden, musste man beim Spiel in Großaspach nicht lange warten. Pedro Empis, 19, Verteidiger und Schütze des einzigen Tores, beschreibt den Stil seines Teams mit einem Lächeln: "Wir wollen den Ball besitzen und kreativ sein. Das sind unsere großen Stärken."
Der portugiesische Fußball gilt nicht nur unter Optimisten in Lissabon und Porto als eine Verheißung für die Zukunft. Die U17-Auswahl gewann vor ein paar Wochen die Europameisterschaft in Baku, Torschützenkönig José Gomes von Benfica Lissabon hat bereits mit 17 einen großen Spitznamen, Zé Golo wird der wuchtige Stürmer genannt. Die U21 scheiterte im Vorjahr bei der EM erst im Finale und gehört beim olympischen Fußballturnier zum Favoritenkreis. In Frankreich waren es die Jungen, die aus einem abgesehen von Cristiano Ronaldo farblosen Kader herausragten: Abräumer William Carvalho, 24, Außenverteidiger und Neu-Dortmunder Raphael Guerreiro, 22, und natürlich Renato Sanches, 18, vom FC Bayern.
Lange haben die Portugiesen auf die Nachfolger der ungekrönten Goldenen Generation um Luis Figo gewartet. Nach 2006 kam bis 2015 keine U21 bei einer EM über die Vorrunde hinaus, von 2009 bis 2013 war Portugal nicht qualifiziert. Dabei ist der Nachwuchs das Kapital der Klubs, die davon zehren, junge Spieler teuer in die großen Ligen zu verkaufen. Der jüngste Aufschwung hat nun auch damit zu tun, dass nicht mehr nur noch der als Ausbildungsverein bekannte Traditionsklub Sporting Lissabon Talente herausbringt - von den Europameistern spielen vier bei Sporting.
"Wir haben sehr große Ambitionen"
Inzwischen bildet auch Benfica Talente aus, Renato Sanches ist das berühmteste Beispiel. Im Kader der U19 kommen zehn Spieler vom aktuellen Meister, die beste Talentprognose haben die Mittelfeldspieler Buta und Gonçalo Rodrigues. Dass ausgerechnet in diesem Jahr der große Erfolg gelang - und nicht erst in den kommenden Jahren, wenn die Talente erwachsen sind -, damit hatten die Portugiesen nicht gerechnet. "Es war ein sehr unerwarteter Erfolg", sagt Pedro Empis.
Und jetzt? Wenn nun schon Trainer Santos mit einer Mannschaft gewinnt, die das heilige jogo bonito verhehlt - was gelingt dann erst den Talenten, die dem schönen Spiel frönen? Emílio Peixe ist von Berufs wegen nicht ganz so euphorisch, der Trainer der portugiesischen U19 wirkt zudem dank besonders buschiger Augenbrauen ziemlich grimmig.
"Wir haben in Portugal sehr große Ambitionen und sehr große Möglichkeiten", sagt er immerhin über die fußballerische Zukunft seines Landes. Der Titel in Frankreich habe das ganze Land mit Stolz erfüllt, und er sei besonders dank der herausragenden Rolle von Renato Sanches eine Inspiration für die Jugend. Der Mittelfeldspieler Sanches, den der FC Bayern Benfica vor der EM für 35 Millionen Euro abgekauft hat, zählte in der EM-Qualifikation noch zum Kader der U 19.
Wenn Peixe, 43, Anfang der Neunzigerjahre selbst zwölfmaliger Nationalspieler, über den Spielstil seiner Mannschaft spricht, dann schwärmt er nicht wie sein Spieler von Kreativität und Ballbesitz. Er klang nach dem 1:1 gegen Österreich eher wie ein junger Fernando Santos: "Unser Ziel im Spiel ist der Kampf bis zum Schlusspfiff. Wir wollen Schwierigkeiten überbrücken und Charakter zeigen."
Und am Ende ist es wohl das, was Santos meinte, als er am Montag in Lissabon ein Loblied auf die portugiesische Zukunft sang: Auch wenn die Portugiesen in den kommenden Jahren nicht denselben Fußball spielen wie die Europameister von 2016 - sie können doch viel von ihrem groben Stil lernen.