U-21-Nationalmannschaft im EM-Halbfinale:Auf die holprige Art

Czech Republic v Germany - UEFA Under21 European Championship 2015

Joshua Kimmich (rechts) hat Mühe, sich gegen die tschechischen Spieler durchzusetzen.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Die deutsche U-21-Nationalmannschaft qualifiziert sich nach einem mühseligen Unentschieden gegen Tschechien gerade noch für das EM-Halbfinale. Trainer Horst Hrubesch kritisiert seine Spieler. Aber nur, weil sie nicht gejubelt haben.

Von Matthias Schmid, Prag

Kevin Volland konnte nicht sehen, was sich hinter seinem Rücken zutrug. Hören konnte er es auch nicht, denn ein Mann - breit wie ein Schrank - hatte sich in einem edlen schwarzen Anzug vor ihm aufgebaut. Er war ihm ganz nah gekommen, der Schrank gestikulierte, er redete auf den Kapitän der deutschen U-21-Nationalmannschaft ein, der noch auf dem Rasen des Prager Stadions Eden stand und nicht mitbekam, wie sich die tschechischen Spieler von den Fans mit lauten Jubelgesängen feiern ließen.

Der Schrank war Vollands Cheftrainer Horst Hrubesch und von weitem sah es so aus, als ob der 64-Jährige ihn tadeln würde. Volland kam nicht zu Wort, er nickte nur. Hatte der U-21-Nationalspieler gegen den Ehrenkodex verstoßen? Hatte er zum Mittagessen vor dem Spiel sein Handy mitgenommen - das ist beim DFB strengstens untersagt und kann im schlimmsten Fall sogar zur Beschlagnahmung führen.

Hrubesch wollte hinterher nicht verraten, worum es in dem Monolog ging. Er wunderte sich aber nach dem 1:1 (0:0) gegen Tschechien bei der U-21-EM im letzten Gruppenspiel darüber, dass seine Spieler nach dem Schlusspfiff im Gegensatz zu den Tschechen "nicht jubelten", wie er irritierend feststellte. "Obwohl wir doch alles erreicht haben, was wir uns vorgenommen haben." Das Unentschieden war zwar wenig überzeugend, genügte aber, um das Halbfinale am Samstag im zwei Zugstunden entfernten Olmütz (18 Uhr) gegen einen noch unbekannten Gegner zu erreichen. Fast noch wichtiger: Erstmals nach 28 Jahren wieder bei den Olympischen Sommerspielen mitspielen zu dürfen, 2016 in Rio.

Doch es herrschte in der Tat eine seltsame Atmosphäre in der Arena, fast surreal. Als der Schiedsrichter Danny Makkelie die Partie abpfiff, klatschten die Tschechen lächelnd in die Hände, während die deutschen Spieler vom Platz schlichen, als hätten sie gerade auf denkwürdige Art und Weise ein Spiel verloren und müssten jetzt nach Hause fahren. "Es hat sich schon ein bisschen komisch angefühlt, weil es nur ein 1:1 war", sagte Volland später im Bauch des Stadions. Sie wollten das Spiel gegen den wuchtigen Gastgeber unbedingt gewinnen, um als Gruppenerster in Prag bleiben zu dürfen. "Deshalb hat es ein wenig gedauert, bis wir uns darüber freuen konnten, dass wir im Halbfinale stehen und uns für Rio qualifiziert haben", bekannte Volland.

Auch mehr als eine halbe Stunde nach Spielende wollte Vollands Körpersprache aber nicht so recht zu seinen Worten passen. Der 22-Jährige sprach seltsam gedämpft, seine Schultern hingen schlaff herab. Sehen so Sieger aus? Wie Horst Hrubesch schon eher. "Ich fühle mich super", sagte der Trainer mit einem freundlichen Gesicht: "Ich bin froh und glücklich."

Einige Minuten vor ihm war Sportdirektor Hansi Flick durch die Katakomben geschlendert, er war mit seiner Einschätzung und seiner Mimik näher bei den selbstkritischen Spielern als beim Trainer. "Wir haben noch deutlich Luft nach oben", fand er. Flick hätte lieber einen entspannten Abend erlebt, das merkte man ihm an: "Wenn man so viele Chancen liegenlässt, wird man normalerweise bestraft." Diesmal nicht. Es ging noch mal gut aus.

Reicht das für den Titel?

Aber reicht das für den Titel? Das ist der Anspruch der Spieler, sie wollen das Turnier in Tschechien gewinnen. Alles andere wäre eine Enttäuschung. Dies sind nicht in erster Linie die Erwartungen der Öffentlichkeit, sondern vor allem ihre eigenen. Die spielstarke Mannschaft gilt als noch viel begabter als die Abschlussklasse 2009, die den bisher einzigen EM-Titel einer deutschen U-21-Mannschaft erringen konnte. Deshalb ist es verständlich, dass die Stimmung bei den Spielern etwas gedrückt war, "wenngleich wir das Minimalziel erreicht haben", wie es Flick ausdrückt.

Das 1:1 gegen Tschechien war fußballerisch natürlich nicht mit dem schwungvollen und über weite Strecken spektakulären 3:0-Sieg gegen Dänemark zu vergleichen. Gegen Tschechien fiel die DFB-Elf aber nicht in den Holperfußball aus dem Eröffnungsspiel gegen Serbien zurück, sie erspielte sich viel mehr Chancen. So hätte Emre Can nach dem etwas überraschenden Führungstor des auf der offensiven Linksaußenposition starken Nico Schulz sogleich ein zweites Tor folgen lassen können, doch zunächst ging sein Schuss vorbei und dann bekam er nach einem feinen Pass von Max Meyer den Ball nicht am herauslaufenden Torhüter Tomáš Koubek vorbei.

Nach dem Ausgleichstreffer des eingewechselten Ladislav Krejčí (66. Minute) kam noch mal Hektik in die Partie. "Aber so ein Spiel musst du erst mal auch über die Bühne bringen", sagte Volland dann doch noch positiv gestimmt. Er hätte in der Schlussphase sogar für eine versöhnliche Pointe sorgen können, das Tor war leer, doch er verfehlte es aus etwa 35 Metern. "Ich habe zu spät erkennt, dass der Torwart so weit draußen steht", sagte der Hoffenheimer. Normalerweise mache Volland so einen Ball auch dann rein, wenn man ihn nachts um vier aus dem Schlaf hole, erzählte Johannes Geis. "Aber wir verzeihen ihm das Ding gerne."

Denn noch hat die Mannschaft alle Chancen auf den Titel. Horst Hrubesch erkennt durchaus Parallelen zu 2009, auch in Schweden qualifizierte sich die Mannschaft durch ein 1:1 im letzten Gruppenspiel gegen England als Zweiter für die Vorschlussrunde. "Und jetzt kann ich auch noch die Italiener kriegen", stellte der Trainer fest. Genauso wie damals, als er am Ende den EM-Sieg feiern durfte.

Und doch ist diesmal etwas anders. Damals war Horst Hrubesch richtig sauer, kritisierte die Spieler für ihren mangelhaften Arbeitsethos, diesmal schimpfte er nur, weil sie nicht gejubelt haben.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: