U-21-EM:Pollersbeck wird zum Elfmeter-Helden

England v Germany - UEFA Euro U21 Championships Semifinals

Julian Pollersbeck (in Grün): Begraben unter der deutschen Jubeltraube

(Foto: REUTERS)
  • Die deutsche U 21 gewinnt bei der EM das Halbfinale gegen England mit 6:5 nach Elfmeterschießen.
  • Torwart Julian Pollersbeck wird dabei zum Matchwinner.
  • Gegner der Deutschen werden die Spanier sein.

Von Ulrich Hartmann, Tychy

Stefan Kuntz hatte geflunkert. Der deutsche U21-Trainer hatte vor dem Duell mit England behauptet, man könne den Stress eines Elfmeterschießens im Training nicht simulieren, deshalb habe man es auch gar nicht geübt. Genau das aber hatten sie eben doch getan.

Englands Trainer Aidy Boothroyd war weniger geheimnistuerisch. Klar habe man geprobt, "schon seit Mai". Wenn Deutsche und Engländer aufeinandertreffen, dann gibt es nur ein Thema: Elfmeterschießen! Am Dienstag in Tychy/Südpolen ist es dann auch genauso gekommen - allein schon kraft der Vorstellung vermutlich.

Um 20.44 Uhr fielen die deutschen Spieler über ihren Torwart Julian Pollersbeck her. Man konnte Angst um ihn bekommen, dass er keine Luft mehr kriegt zuunterst einer erstaunlichen Traube, doch Angst hatte hier niemand. Mit zwei gehaltenen Elfmetern war der Torwart, der während des Turniers seinen Wechsel vom Zweitligisten 1. FC Kaiserslautern zum Erstligisten Hamburger SV verkündete hatte, zum Held der deutschen Mannschaft. Verwandelt hatten die Spieler Arnold (Wolfsburg), Philipp (bislang Freiburg, bald Dortmund), Meyer (Schalke), Amiri (Hoffenheim) - verschossen hatte Gerhardt (Wolfsburg).

Erstmals hatte Kuntz seine Startelf verändert

Die älteste Nachwuchs-Elf des Deutschen Fußball-Bunds (DFB) ist acht Jahre nach dem Triumph bei der Europameisterschaft in Schweden erstmals wieder ins Endspiel eingezogen. Dort wird sie auf die Auswahl von Spanien treffen, die sich mit einem 3:1 gegen Italien durchsetzte.

DFB-Trainer Stefan Kuntz sagte: "So schöne Tage gibt es nicht oft im Fußball. Ich bin extrem stolz auf die Mannschaft." Sein Sportdirektor Horst Hrubesch fand: "Das war schon affengeil. Kompliment auch an Stefan." In Krakau können sie am Freitagabend den zweiten U21-Titel der Verbandshistorie gewinnen. Mit ihrem 6:5 (2:2, 2:2, 1:1)-Sieg gegen England taten sie sich unnötig schwer, zeigten aber beim zwischenzeitlichen 1:2-Rückstand und dann auch im Elfmeterschießen mentale Stärke und dürfen mit diesem zusätzlichen Selbstvertrauen nun drei Tage länger in Polen bleiben.

Es war auch statistisch ein hochinteressantes Duell: Deutschlands größte Talente gegen Englands größte Talente; eine durchschnittlich 22,2 Jahre alte DFB-Auswahl gegen eine 21,4 Jahr alte englische; addierte 616 Spiele Bundesliga-Erfahrung gegen 365 Spiele in der Premier League.

Erstmals bei dieser EM hatte Kuntz seine Startelf verändert, nach drei Berufungen in die Anfangsformation setzte er Mahmoud Dahoud und Mitchell Weiser auf die Bank. Von Janik Haberer und Maximilian Philipp versprach er sich im defensiven Mittelfeld und auf der rechten Außenbahn nach dem 0:1 gegen Italien frischen Wind. Nach dem Aufwärmen musste er den zuverlässigen Berliner Innenverteidiger Niklas Stark wegen einer Verletzung durch den Hamburger Gideon Jung ersetzen. Starks Einsatz im Finale ist fraglich.

Am Dienstag machte sich die Veränderung in der Abwehr zunächst in Besorgnis erregendem Ausmaß bemerkbar. Die deutschen Spieler hatten sich noch nicht darüber beruhigt, dass ihr Stürmer Davie Selke in der dritten Minute im englischen Strafraum vom Abwehrmann Calum Chambers straffrei gestoppt worden war, da gerieten sie schon ins Schwimmen wie ein schmächtiger Mensch im tosenden Ärmelkanal. Wie ein Ersthelfer durfte sich erstmals in der 18. Minute Pollersbeck fühlen, als er einen Kopfball von Tammy Abraham fort boxte. Doch der Sturm legte sich, und die Deutschen wurden gewahr, dass sich ihnen in einem erstaunlich körperlosen Spiel viele offensive Räume boten. Jeremy Toljan hatte über rechts so viel Platz, dass eine ganze Schafherde eine Woche lang hätte grasen können.

Und so dauerte es auch bloß bis zur 35. Minute, ehe Deutschland, mittlerweile verdient, in Führung ging. Toljan flankte ungestört von der Grundlinie und fand mit seinem Lupfer den freien und überdies baumlangen Selke. Der künftige Berliner hatte keine Mühe, mit seinem zweiten Turniertreffer ein 1:0 zu köpfeln, das aber überraschenderweise nicht zur beruhigenden Pausenführung genügte. Nach mehreren turbulenten Aktionen vor dem Tor durfte Demirai Gray einen Rebound zum 1:1 einschießen (41.).

Von einem Debakel wie vor zwei Jahren bei der EM in Tschechien war die U21 ganz weit entfernt, aber dazu spielten die Engländer auch viel moderater als damals in Olmütz die Portugiesen beim 0:5. Die von Kapitän James Ward-Prowse (Southampton) angetriebenen "Young Lions" gewährten den Deutschen auch nach der Pause entlang der Seitenlinien enorme Freiräume, die diese aber sträflich ungenutzt ließen. Die Engländer nutzten vergleichbare Vorteile in der deutschen Abwehr besser. In der 50. Minute musste Abraham nur noch den Fuß hinhalten, als Marc Hughes den Ball per Flachpass vors Tor brachte. Serge Gnabry hatte ihm den Ball zugespielt. Das klägliche Defensiv-Verhalten hätte der DFB-Elf beinahe einen Strich durch die EM-Rechnung gemacht.

Für den verletzten Selke kam in der 63. Minute der Schalker Stürmer Felix Platte. Ein erzwungener Glücksgriff. In der 70. Minute brachte Kapitän Maxi Arnold einen Eckball in den Strafraum, und Platte drückte den Ball in jenes Tor, das der 30-Millionen-Pfund-Torhüter Jordan Pickford hütet. Einem weiteren Kopfballtor von Platte wurde wegen Abseits die Wertung versagt, das Spiel ging in die Verlängerung. Und dann ins Elfmeterschießen. Torhüter Pollersbeck wusste dabei über jeden der englischen Schützen recht gut Bescheid: "Ich habe meinen kleinen Spickzettel gehabt", sagte er. Die Deutschen waren tatsächlich bestens vorbereitet. Kuntz hatte ja nur geflunkert.

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