Das Problem an diesem Kampf ist nicht Mike Tyson. Der 54 Jahre alte Boxer ist, das haben einige Trainingsvideos der vergangenen Wochen gezeigt, noch immer in der Lage, 99 Prozent der Menschheit mit einem linken Aufwärtshaken ins Reich der Träume zu schicken. Das Problem ist auch nicht dieser Kampfabend am 12. September in Los Angeles, bei dem er im Rahmen des neuen Sport-Genres Legends Only League in den Ring zurückkehren wird. Das Problem ist: Evander Holyfield. Tyson wird nicht gegen seinen alten Rivalen antreten, sondern gegen Roy Jones junior.
Das Konzept, dass alternde Sportler sich und der Welt noch mal was zu beweisen wollen, ist wahrlich nicht neu. Es ist immer wieder in Filmen thematisiert worden, Sylvester Stallone hat nicht nur den vierten (im Rennfahrerfilm Driven, 2001) und fünften (im Boxer-Drama Rocky Balboa, 2006) Frühling seiner Karriere damit verbracht, er hat sich im Jahr 2013 selbst dafür persifliert, als er in Grudge Match den alternden Boxer "Razor" Sharp gab, der gegen "The Kid" McDonnen (gespielt von Raging-Bull-Darsteller Robert DeNiro) zum Duell der alten Männer in den Ring steigt.
Die Legends Only League will legendäre Athleten aus verschiedenen Sportarten locken, den Ritt in den Sonnenuntergang für ein letztes Duell der Desperados auf der Hauptstraße einer Westernstadt zu unterbrechen - und das klingt als Idee zumindest für Nostalgiker spannend, wenn es dazu Geschichten zu erzählen gibt. Wenn etwa die Eiskunstläuferinnen Nancy Kerrigan und Tonya Harding noch einmal gegeneinander antreten würden. Wenn Björn Borg und John McEnroe noch einen Tie Break auf dem Center Court in Wimbledon spielen würden. Wenn Lothar Matthäus und Diego Maradona auf Mini-Tore gegeneinander Fußball zocken würden. Claudia Pechstein gegen Anni Friesinger. Ben Johnson gegen Carl Lewis. Zola Budd gegen Mary Decker. Die Liste möglicher Duelle ist unendlich.

Boxer Andrés Ruiz:Der Weltmeister mit der Plauze
Der völlig überraschende Sieg des Mexikaners Andrés Ruiz gegen Anthony Joshua wirbelt das Schwergewichtsboxen durcheinander. Die Vorgeschichte und der Verlauf des Kampfes sind einfach grotesk.
"Es gibt genügend Fans, die das interessieren dürfte"
"Ich mache das, weil ich es kann. Nur weil ich 54 bin, ist mein Leben noch lange nicht vorbei - und ich glaube, dass viele Sportler im Ruhestand so denken wie ich", sagt Tyson: "Wie toll wäre das denn, wenn Basketballspieler Dennis Rodman gegen Allen Iverson antreten würde - oder wenn sich der Footballspieler Jerry Rice einen Quarterback schnappen und gegen ein paar andere Jungs antreten würde. Es gibt genügend Fans, die das interessieren dürfte." Vor ein paar Tagen hat der 46 Jahre alte Passempfänger Terrell Owens ein Laufduell mit einem der derzeit schnellsten NFL-Spieler (Tyreek Hill, Kansas City Chiefs) veranstaltet und nur knapp verloren.
Tyson dürfte bei seiner Rückkehr in den Ring einen Kopfschutz tragen sowie aufgrund besserer Polsterung weniger gefährliche Handschuhe. Es wird in den acht Runden nicht um Gürtel oder Titel gehen, sondern um die Ehre - wie bei allen künftigen Duellen in sämtlichen Disziplinen, die Legends Only League befindet sich in Besitz von Tyson und der indischen Holdinggesellschaft Eros Investments: "Wer glaubt, dass er noch nicht über den Berg ist, der soll mich anrufen. Wir sorgen dafür, dass sie ihre ruhmreichen Jahre ein zweites Mal erleben dürfen."
Diese Duelle dürften keine sportlichen Leckerbissen werden, und genau darin sehen einige in der Profibox-Szene die Gefahr, die in Tysons Comeback liegt: Dass wieder einmal ein Duell hochgejubelt wird, um am Ende sportlich zu enttäuschen; dass der ohnehin angeschlagene Ruf des Profiboxens weiter leidet; dass es wieder einmal nur um die Verpackung geht, aber nicht um den Inhalt (und auch um die Gesundheit, zusätzlicher Schutz hin oder her). Verkaufen lassen werden sich diese Duelle aber dennoch.
Denn sie ziehen ihre Dramatik daraus, dass es eine Vorgeschichte gibt, die ja überhaupt erst dafür gesorgt hat, dass die Duellanten zu Legenden geworden sind. Sie müssen sich an eine Grenze getrieben haben, die sie ohneeinander nicht erreicht hätten, und sie müssen bereit sein, dies auch beim Duell im höheren Alter zu tun. Dann wird es unterhaltsam, dann fiebern die Leute so einem Kampfabend auch entgegen. Deshalb braucht Tyson, wenn er schon zurückkehrt, eigentlich Holyfield als Gegner.
Käme es zum dritten Duell zwischen diesen beiden (und es ist nicht ausgeschlossen, dass es dazu noch kommt), dann könnte man in der Woche davor noch einmal die Karrierewege der beiden zeichnen bis zu den Punkten, an denen sie sich kreuzten. Dann dieses erste Gefecht, bei dem Holyfield seinen favorisierten Gegner mit einer taktischen Meisterleistung geradezu filetierte. Und dann dieser zweite Kampf, bei dem Tyson seinem Kontrahenten ins Ohr biss. Es wäre doch letztlich völlig egal, ob Holyfield und Tyson gegeneinander boxen oder Halma spielen würden - vielleicht wäre Halma interessanter, weil die Zuschauer dann nicht über die Qualität motzen würden und weil Blödsinn gerade im allzu ernsten Profisport kathartische Wirkung hätte.
Das Problem am nun vereinbarten Kampf von Tyson: Die Wege von Jones und Tyson haben sich nie gekreuzt. Der 51 Jahre alte Jones war wie Tyson einer der über die Gewichtsklassen hinweg besten Kämpfer seiner Zeit. Er war Weltmeister in vier Gewichtsklassen, durch einen Sieg über John Ruiz (der davor den alternden Holyfield geschlagen hatte) auch im Schwergewicht. Was für Jones interessant wäre: Ein Duell gegen den Südkoreaner Park Si-Hun, gegen den er das Finale bei den Olympischen Spielen 1988 in Seoul nach skandalösem Urteil verloren hatte und der danach nie wieder boxte. Park ist mittlerweile Trainer beim südkoreanischen Verband.
Zwischen Tyson und Jones junior jedoch gibt es keine Reibung, keine Spannung. Selbst wenn die beiden in grandioser Form sein sollten: Es gibt keine Geschichte zu erzählen, die auf ein Duell der beiden hinauslaufen muss. Die braucht es jedoch, damit es unterhaltsam würde, und genau das ist der einzige Reiz, der in so einem Duell steckt: Entertainment.
"Ihr werdet den echten Mike Tyson sehen", tönte Tyson beim US-Sportkanal ESPN. Das ist sehr schön, nur wollen die Leute eben Tyson gegen Holyfield sehen. Wie passend, dass der gerade ein Foto vom gemeinsamen Training mit Wladimir Klitschko veröffentlicht hat mit dem Hinweis, mit 57 Jahren für einen guten Zweck in den Ring zurückkehren zu wollen. Tyson und Holyfield mögen beide noch immer in der Lage sein, 99 Prozent der Menschheit in den Ringstaub zu schicken. Allerdings wollen 99 Prozent aller Boxfans, wenn überhaupt, einzig das Duell dieser beiden sehen, die ohnehin bis an ihr Lebensende miteinander verbunden sind.

