TV-Experten bei der WM:Aufmarsch der untoten Alten

Fussball: Stefan Effenberg

Natürlich traut er sich zu, die Nationalmannschaft zu trainieren: Der ehemalige Nationalspieler Stefan Effenberg, der in diesen Tagen häufiger zitiert wird.

(Foto: Bongarts)
  • Ein ganzes Heer ehemaliger selbsternannter Rebellen zieht zur Fußball-WM durch die Fernsehstudios - von Effenberg über Matthäus bis Basler.
  • Der Beruf des Experten boomt, das Praktische daran: Jeder kann einer sein.
  • Hier geht es zum Spielplan der Fußball-WM.

Von Ralf Wiegand

Natürlich könnte man bei der Frage, ob man sich zutraut, die Nationalmannschaft zu übernehmen, mit der Schulter zucken und sagen: Hypothetische Frage, stellt sich nicht, nächste Frage. Stefan Effenberg freilich zuckt nie mit den Schultern, wenn man ihn fragt, ob er sich dieses oder jenes zutrauen würde. Der Tiger, roooarrrrr. Schon als Spieler zuckte er höchstens dann mit der Schulter, wenn über der Schulter das Kinn eines Gegenspielers war, dessen K. o. dann als "Zeichen" an die eigene Mannschaft verstanden werden konnte. Effenberg war ein großer Zeichensetzer, das ist eine im modernen Fußball verloren gegangene Position, ausgestorben mit den letzten van Bommels dieser Welt, ausgelöscht zusammen mit den Sprüchen, die den Spielern bedeuteten, dass jetzt gefälligst Gras gefressen werden müsse oder so was.

Also, natürlich würde er sich den Job als Nationaltrainer zutrauen. "Wenn du die Besten der Welt zur Verfügung gestellt kriegst, die hervorragend in ihren Klubs trainiert werden - ich will nicht sagen, das kann jeder machen. Aber warum sollte ich mir das nicht zutrauen?" Effenberg sagte das als Gast bei Klamroths Konter, einem WM-Format im Nachrichtensender n-tv.

Der Beruf des Experten boomt - leider

Überhaupt sagt Effenberg momentan sehr viel, er hat eine Kolumne bei t-online, ist zu Gast im WM-Doppelpass auf Sport1, fordert mal da den Rausschmiss von Özil und Gündogan und mal dort, dass Özil, wenn er schon nicht fliegt, die deutsche Hymne mitsingen "muss". Witzig: Ein ehemaliger Spieler, der selbst einmal rausgeschmissen worden ist aus der Nationalmannschaft, weil er, so seine Legende, sich nicht sagen lassen wollte, was er tun muss, sagt jetzt, was ein Spieler tun muss, den man allerdings besser rausgeschmissen hätte.

Effenberg gehört zu einem ganzen Heer ehemaliger selbsternannter Rebellen, die in diesen Tagen durch die Fernsehstudios ziehen und sehr genau wissen, was dieser deutschen Elf fehlt: Spieler wie sie selbst. Typen mit Ecken und Kanten, Leute, die sich nicht den Mund verbieten lassen. Also das Gegenteil des angepassten, weichgespülten, meinungslosen und verhätschelten Nationalspielers von heute. Da, wo sie selbst früher das Pferd ohne Sattel ritten, rollern die Jungs heute auf dem Bobbycar daher. Und Jogi schiebt auch noch an. Ha!

Schon lange überlässt vor allem das Fernsehen die Erklärung des Fußballs den Fußballern selbst. Der Beruf des Experten boomt, jeder kann einer sein, sogar Hannes Wolf (kann man googeln). Zwei Denkschulen streiten sich dabei um die Vorherrschaft im Erklärkosmos, die alten Wilden um Lothar Matthäus, Effenberg, Uli Stein oder den Big-Brother-Container-Insassen Mario Basler. Und The next Generation, die Wir-haben-den-Kabinenschweiß-noch-selbst-in-der-Nase-Jungs wie Christoph Kramer, Philipp Lahm oder Thomas Hitzlsperger. Verbale Blutgrätscher gegen diplomatische Ballflachhalter. Zitiert werden allerdings eher die gröberen Gesellen - ihre Geschichten sind einfach besser, und das Bequeme ist: Jeder kennt sie schon.

Das "Schönreden" müsse aufhören, sagte etwa der WM-Experte von n-tv, Uli Stein. "Sich wegducken" und "einsperren" sei der falsche Weg - den geht natürlich der Verband, und ob der Bundestrainer jetzt zu großen Veränderungen in der Mannschaft bereit sei, da hat er große Zweifel, der Ex-Torwart Stein. Nebenbei vermisst er tatsächlich "den Teamgeist". Stein ist der Protagonist der Suppenkasper-Affäre von 1986, wobei er mit Suppenkasper Franz Beckenbauer meinte, damals Trainer einer Elf, die den Teamgeist garantiert nie gesehen oder im WM-Quartier von Queretaro auch nur leise heulen gehört hat. Und Effenberg? Stinkefinger-Effe, 1994 aus Amerika vorzeitig abgereist (worden).

Sie wussten es schon immer besser

Aber die untoten Alten wussten schon immer, wie dieser DFB tickt: falsch. Und mit jedem daheimgelassenen Wagner (kritischer Geist!), aber mitgenommenen Özil (Wegducker!) bestätigt sich ihre eigene Legende. Stefan Effenberg meint, dass man damals mit ihm und Uli Stein ganz anders verfahren sei als heute mit Özil und Gündogan. Logischer Schluss: "Der DFB dreht es sich so hin, wie er's braucht." Nur sie bleiben standhaft. Auch Lothar Matthäus - über den Karl Allgöwer einmal sagte, mit ihm sei es sehr lustig gewesen, denn wo immer acht Journalisten herumstanden, "wusste man, Lothar ist mittendrin" -, ist dabei. Wo fünf Experten herumsitzen, weiß man, Matthäus ist mittendrin. "Özil fühlt sich im DFB-Trikot nicht wohl", schreibt also Matthäus etwa in Bild über Mesut Özil, der in diesem Unwohlfühlhemd 90 A-, 16 U21- und elf U19-Länderspiele gemacht hat. Der arme Kerl.

Wirklich skurril wurde das am Montagabend, als die ARD kurz vor Geisterstunde zu Hart aber fair geladen hatte. Der Moderator Frank Plasberg, bekennend ahnungslos in Sachen Fußball, bespricht an dieser Stelle normalerweise, wie viel Islam Deutschland verträgt oder wie viel Gauland (mehr Islam als Gauland, by the way).

Aber wie viel Basler kann der deutsche WM-Stammtisch vertragen?

Der ehemalige Kartenspieler und Kettenraucher, dessen Trainerkarriere ihn zuletzt in die Hessenliga führte, verglich bei Plasberg die Körpersprache von Mesut Özil mit der eines toten Froschs und sich selbst mit Toni Kroos. Er, Basler (30 Länderspiele, zwei Tore), wäre im Spiel gegen Mexiko sicher noch weniger gelaufen als der viermalige Champions-League-Sieger Kroos (84 Länderspiele, zwölf Tore), "aber ich hätte ein Tor geschossen und zwei vorbereitet". Alsdann kramte er, beobachtet von den weit aufgerissenen Augen des Trainergespensts Christoph Daum, in seiner Max-Merkel-Gedächtnisfibel nach der "Wohlfühloase DFB" und den Taschen, die den Nationalspielern "hinterhergetragen" würden. Kicherkicher, kam aus dem Off, ungefähr von dort, wo man den Fußball-Laien Plasberg vermuten konnte, der bei den letzten etwa neun Weltmeisterschaften in einem Bergwerk gelebt haben muss - sonst hätte er sich über diesen 90er-Jahre-Unsinn nicht so amüsiert. Der ist heute noch, was er damals war: falsch.

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