TV-Ereignis WM (4): Nordkorea:Das Arbeitsnest der Kommunisten

Brasiliens Strandfußballer treffen auf die gedrillte Auswahl des geliebten Führers Kim Jong Il. Könnte lustig sein. Ist es aber nicht. Immerhin gibt es erhabene Momente.

Lars Langenau

Die Einleitung, das Vorspiel vor dem Spiel in Johannesburg haben wir uns geschenkt. Lieber ein selbstgekochtes Curry gegessen, das offizielle Bier der Nationalmannschaft - Sie wissen schon welches - geöffnet, die üblichen dummen Männersprüche gemacht und alte Fußballweisheiten wie jene von Andy Möller zitiert: "Vom Feeling her habe ich ein gutes Gefühl."

WM 2010 - Brasilien - Nordkorea

Yun-Nam Ji feiert den Anschlusstreffer zum 1:2 der Nordkoreaner gegen Brasilien.

(Foto: dpa)

Während Bundespräsident Horst Köhler in Berlin mit einem Zapfenstreich und dem St. Louis Blues verabschiedet wird, schauen wir im ZDF die besten Strandfußballer der Welt gegen die Auswahl des in Nordkorea zwangsgeliebten Führers Kim Jong Il. Gleich zu Beginn verschafft uns Nordkoreas Nationalhymne die nötige Erhabenheit, die hier aus dokumentarischen Gründen wiedergegeben sein soll:

Ach'imun pinnara i kangsan / Un'gume, chawondo kadukhan / Samch'olli, arumdaun nae choguk / Panmannyon oraen ryoksae / Ch'allanhan munhwaro charanan / Sulgiroun inminui i yonggwang / Momgwa mam ta pach'yo i Choson / Kiri pattuse / Ch'alse.

Paektusan kisangul ta anko / Kulloui chongsinun kitturo / Chilliro mungch'yojin oksen ttut / On segye apso nagari / Sonnun him nododo naemiro / Inminui ttusuro son nara / Hanopsi puganghanun i Choson / Kiri pinnaese.

Na gut, nehmen wir die Übersetzung von Wikipedia:

Lass die Morgensonne über das Gold und Silber dieses Landes scheinen, Dreitausend Meilen gepackt mit langer Geschichte. Mein wunderschönes Vaterland. Das Verdienst eines klugen Volkes brachte eine großartige Kultur hervor. Lasst uns mit Körper und Geist hingeben, um dieses Korea für ewig zu unterstützen.

Die Unternehmung wird, gebunden an die Wahrheit, ein Nest für den Arbeitsgeist sein, der die Stimmung des Paektusan (der heilige Berg der Nordkoreaner, Anm. der Verfassers) umfasst, und in alle Welt hinausgeht. Das Land wurde mit dem Willen der Menschen gegründet, um mit sich erhebender Kraft gegen die Wellen anzukämpfen. Lasst uns ewig dieses Korea preisen, unbegrenzt reich und stark.

Stürmer Jong Tae Se, der "rote Rooney", weint beim Abspielen der Hymne, die zum ersten Mal bei einer WM zu hören ist - bei der letzten Teilnahme Nordkoreas vor 44 Jahren hatte sich Gastgeber England geweigert, sie zu spielen.

Wann hat man eigentlich bei Fußballspielen jemals die Spieler so deutlich ihre Nationalhymnen singen hören? Wann haben sich die Kameras so nah an die Gesichter, an die Münder der Spieler rangetraut? Nur aus Respekt vor dem ohrenbetäubenden Tröten der Vuvuzelas? Oder ist das ein geheimer Wunsch des geliebten Führers Kim gewesen, dem die Fifa und ihr geliebter Führer Sepp allzu gerne entgegengekommen ist?

Man hat ja schon so seine Vorurteile gegen die Männer aus dem bizarr kommunistischen Land aus Asien. Im Gleichschritt machen sie sich warm und wirken knallhart, gedrillt mit drahtigen, kompakten Körpern. "Sind die Nordkoreaner nun die Brasilianer Asiens oder die Griechen aus Fernost?", orakelte die SZ vor dem Spiel. Die Antwort suchen wir auf dem Platz.

Renaissance des Videotextes

Dies hier sollte eigentlich eine TV-Kritik und kein Nachspielbericht werden. Doch was gibt es schon zu sagen zu Béla Réthy? Der Kommentator absolviert seine Aufgabe im ZDF souverän und moderiert das "zweckorientierte Spiel" ruhig und bestimmt. "Suchen Sie sich Ihren Lieblingsspieler aus!", rät er und wirft ein paar Informationshäppchen über die "Nobodys" ein, die es angeblich gewöhnt sind, vor 120.000 Zuschauern zu spielen. Seine zwei schönsten Sätze: "Kontern kann man nur, wenn der Gegner Platz macht. Aber das macht der Nordkoreaner nicht so gern." Ungeklärt blieb die Frage unserer Männerrunde, wer dieses Jahr eigentlich Meister in Nordkorea wurde.

Auch Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn kommentieren das Spiel sehr vorsichtig, ohne politische Anspielungen und deshalb diesmal auch ohne Fauxpas. Ein wenig klagen sie über die "überheblichen" Brasilianer, nennen es ein "seltsames" Spiel. Kahn wiederholt sich mit der Aussage, dass sich der Rekordweltmeister endlich mal bewegen solle, um warm zu werden. Zu loben ist die Renaissance des Videotextes, der erstmals wirklich hilfreich ist, weil er beim Singen die Nationalhymne dokumentiert (Seite 888) und Statistiker glücklich macht (Seite 222).

Zudem ist dieses Spiel ein historischer Moment, den der geliebte Führer Kim genauso am Fernsehgerät verfolgen wird, wie wir. Oder schaut er Casablanca? Der Held der Arbeit, der Verteidiger der Gerechtigkeit und des Friedens, der Ehrenvorsitzende des Vereins für angewandte Ökologie und der Elton John des Dunkelkommunismus. Oder lebt er nicht mehr und zwanzig seiner Doppelgänger schauten das Spiel im Privatkino einer seiner luxuriösen Residenzen?

Wie die Deutschen - nur schlechter

Wir wissen es nicht, außer dass der Mann wohl ungern bis gar nicht fliegt und sich schon deshalb nicht unter die Zuschauer im Stadion gemischt haben wird. Zur Unterstützung haben die Nordkoreaner 120 Jubel-Chinesen mitgenommen, da sich die eigenen Landsleute ihrem Führer anpassen müssen und nicht außer Landes dürfen.

Also widmen wir uns dem Spiel und den Nordkoreanern, die sich mit "Körper und Geist hingeben" und mit "erhebender Kraft gegen die Wellen" ankämpfen, wie es in ihrer Hymne heißt. Doch zunächst müssen die Brasilianer in Johannesburg gegen Temperaturen um den Gefrierpunkt ankämpfen; ihr neuer Stil wurde gerade noch von Giovane Elber als "kein Halligalli-Fußball von 2006" gelobt. In der ersten Halbzeit kann die Selecão keineswegs glänzen, die Koreaner bleiben cool und verschaffen sich Respekt mit schnellen Kontern. Zu diesem Zeitpunkt sieht es wenig nach einem Sieg der Südamerikaner aus. Ein 0:0 wäre eine Sensation gewesen.

Versteh einer die Welt

Doch die Brasilianer erhöhen leicht den Druck und die Koreaner kommen dem geneigten Zuschauer in diesem Moment etwas ängstlich vor. Haben sie Angst vorm Arbeitslager bei Versagen? Wir wissen zu wenig über das abgeschottete Land, aber wer hätte keine Angst im ersten Spiel gegen den fünfmaligen Weltmeister?

Und die Brasilianer? Müssen keine Furcht haben, bei einem Eigentor hingerichtet zu werden. Sie können nur Angst vor einer Blamage haben. Und tatsächlich wacht Carlos Dunga im Wintermantel mit finsterer Miene am Spielfeldrand wie ein Feldherr aus dem 18. Jahrhundert über die Züge seiner Truppe. Pjöngjangs Torhüter ist unsicher, aber Brasiliens Kicker machen in der ersten halben Stunde einfach keinen souveränen Eindruck. Der Rekordweltmeister quält sich nach vorne, wirkt uninspiriert, spielt pomadig. Eigentlich möchte man sagen, die Brasilianer spielen wie die Deutschen früher. Die Deutschen von heute waren gegen Australien nun einfach brasilianischer. Versteh einer die Welt.

Funkeln hinter der Sonnenbrille

Die Koreaner hingegen verfügen über ein gutes Defensivverhalten - und rennen um ihr Leben. In der zweiten Halbzeit lässt sich Kaká kurz vor dem Strafraum fallen - das muss er in Italien gelernt haben. Aber auch diese Chance wird versemmelt. Erst in der 55. Minute zieht der rechte Verteidiger Maicon aus der rechten Seite mit dem Außenspann in die kurze Ecke ab. Ein überragendes, ein perfektes Tor. Und in der 72. Minute versenkt der Mittelfeldspieler Elano den Ball unhaltbar in der linken Ecke.

Wackelt die eiserne Front? Es scheint so, aber in der 89. Minute verkürzen die Koreaner auf 2:1. Ganz schön eigensinnig für einen Kommunisten, dieser Schuss von Yun Nam Ji. Ein eher "lumpiges" 2:1, meint Reporter Réthy. Aber immerhin wird das einzige Tor der Nordkoreaner noch ein Funkeln in die sonnenbrillenverhangenen Augen des geliebten Führers gezaubert haben.

Die Lehre aus dem Spiel? Deutschland, also unsere multikulturelle Ausnahmetruppe da unten am "Kap", muss niemanden fürchten! Nun gut, Spanien hat noch nicht gespielt. So schließen wir denn mit einer Weisheit von Berti Vogts: "Die Realität ist anders als die Wirklichkeit."

(Mit Unterstützung der K47, Michael und Matthias Nitschke und Franco Walther.)

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