TV-Ereignis WM (2): ZDF:Tröten und unsägliche Vergleiche

Die Vuvuzelas sind der Aufreger der ersten WM-Tage, auch beim Auftaktspiel der Deutschen nerven sie. Doch als Katrin Müller-Hohenstein über Kloses "inneren Reichsparteitag" spricht, wünscht sich der Zuschauer schnellstens eine Tröte herbei.

Jürgen Schmieder

Es war eine nervtötende erste Halbzeit. Viele der deutschen Fans waren unzufrieden, aber nicht mit der deutschen Mannschaft, die im Spiel gegen Australien schnell mit 2:0 in Führung gegangen war und teils begeisternde Szenen gezeigt hatte. Das Problem war nicht fußballerischer, sondern phonetischer Natur: Die Töne, die aus dem Fernsehgerät in die deutschen Wohnzimmer drangen, trieben die Fans auf die Palme.

Müller-Hohenstein und Kahn treten für das ZDF an

Katrin Müller-Hohenstein und Oliver Kahn im Juli 2009.

(Foto: dpa)

Die Urheberin von einem dieser Geräusche heißt Katrin Müller-Hohenstein. Die ZDF-Moderatorin benutzte in der Halbzeitpause eine Reihe von Konsonanten und Vokalen, die in dieser Kombination eine äußerst umstrittene Äußerung ergaben: Es sei "für Miro Klose doch ein innerer Reichsparteitag, jetzt mal ganz im Ernst. Dass er heute hier trifft."

Tatsächlich hatte Klose mit seinem Tor zum 2:0 viele Kritiker widerlegt, die ihn aufgrund einer hartnäckigen Formschwäche auf die Auswechselbank gewünscht hatten. Ein "Reichsparteitag" war jedoch eine Veranstaltung, bei der die Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei (NSDAP) unter Adolf Hitler von 1923 an ihre menschenverachtende Propaganda verbreitete.

In Internetforen und sozialen Netzwerken regte sich noch während der Halbzeitpause Protest gegen den Nazi-Vergleich Müller-Hohensteins. Nach dem Spiel rüffelte ZDF-Sportchef Dieter Gruschewitz die Moderatorin: "Es war eine sprachliche Entgleisung im Eifer der Halbzeitpause. Wir haben mit Katrin Müller-Hohenstein gesprochen, sie bedauert die Formulierung. Es wird nicht wieder vorkommen."

Ein anderes, anstrengenderes Geräusch wird so leicht nicht in den Griff zu bekommen sein. Es legt sich über alle Töne, die Fußballspiele gewöhnlich provozieren - von Fangesängen über Klatschen bis hin zu ekstatischem Jubelgebrüll. Der Urheber ist in diesem Fall ein der Trompete ähnliches Instrument namens Vuvuzela, mit dem sich ein Laut erzeugen lässt, von dem die einen behaupten, es höre sich an wie ein brünftiger Elefant. Manch ein Fernsehzuschauer soll schon einen vorsichtigen Blick hinter sein TV-Gerät geworfen haben - in der Furcht, dort könnten sich Wespen eingenistet haben. Neben Tennisarm und Wadenverhärtung könnte bei dieser WM gar eine neue Sportverletzung entstehen, der "Stadion-Tinnitus".

Tradition oder PR-Nummer?

So auch beim ersten Spiel der deutschen Elf gegen Australien: der anerkennende Szenenapplaus, als Philipp Lahm seinem Gegenspieler den Ball stibitzte, das verzweifelte Raunen, als Miroslav Klose den Ball über das Tor schoss, die aufmunternden Zurufe an die Spieler und schließlich dieser befreiende Jubel, als Klose doch noch treffen durfte - unhörbar wegen der Vuvuzela-Klänge. Stattdessen immer nur: Trööööööööööt!

Die Vuvuzelas, so hieß es vor dem WM immer wieder, gehören nun einmal zur afrikanischen Kultur - statt zu trommeln oder zu hupen habe der Südafrikaner nun einmal die Angewohnheit, in eine Tröte zu blasen, für deren Lautstärke es verschiedenste Maßeinheiten gibt: Es sei so laut wie ein startender Airbus oder die Trompeten von Jericho - obwohl doch kaum jemand dabei war, als die sieben Schofaren die Mauern zum Einstürzen brachten und wohl auch noch niemand neben einem Airbus stand, als der gerade startete. Und außerdem gibt es auch Experten, welche die Tradition der Vuvuzela in Frage stellen - und ihre weite Verbreitung eher als gelungene PR ansehen.

Kulturell mag man von den Tröten halten, was immer man mag. Es gibt ja auch Trommeln und Ratschen und Hupen. Das Erleben eines Spiels vor dem Fernseher wird durch die Vuvuzelas jedoch zerstört, weil eine akustische Monokultur entsteht, die dem Fußballfan vor dem Fernsehgerät zuwider sein muss. Fangesänge vor dem Spiel, die bislang gerade bei Weltmeisterschaften ein kultureller Austausch der teilnehmenden Nationen war, sind nicht zu hören: Das getragene "You'll never walk alone" oder die englische hymne, die von den Three-Lions-Fans während einer Partie eingestreut wird, wenn gerade nichts los ist. Dieses einfache "Schlaaaaand" oder ein "Daaa-da-da-da-da-daaaaaa-da" nach dem Bass der White Stripes werden übertönt, weil zu viele Menschen in eine Tröte blasen.

Nun hat der Zuschauer bei dieser WM schon sportlich allzu viel Monotones miterleben müssen, doch wenn dann die deutsche Elf überzeugend und teils begeisternd spielt - wie übrigens noch keine andere Nationalelf bislang bei diesem Turnier -, dann will der Zuschauer dabei sein, miterleben, mithören. Er will Kloses befreienden Schrei hören, die Begeisterung der deutschen Fans bei Podolskis Führungstreffer, Löws anerkennenden Applaus für Klose bei der Auswechslung, aber kein Getröte. Das akustische Miterleben des Spiels verändert sich - und es verändert sich nicht positiv.

Ein Verbot der Krachmacher im Stadion durch den Weltverband Fifa ist freilich nicht in Sicht. "Solange Sepp Blatter sagt, das gehört dazu, gibt es wenig Hoffnung", heißt es aus ARD-Kreisen. Klar, Blatter sitzt ja auch nicht vor einem TV-Gerät, sondern in den VIP-Logen der Stadien. "Wenn es für eine Abschaffung Gründe gibt, ja", sagte OK-Chef Danny Jordaan: "Wenn irgendwelche Vuvuzelas aus Wut auf den Platz geworfen werden, werden wir handeln." Heißt übersetzt: Nur weil sie nerven, handeln wir nicht.

Dem Fußballfan vor dem Fernseher bleibt deshalb derzeit nur die Möglichkeit, den Ton komplett abzuschalten und die Stimmung selbst zu erzeugen - das war an diesem Abend gar nicht so schwierig. Nur einmal, als ZDF-Moderatorin Katrin Müller-Hohenstein Miroslav Kloses Jubel nach seinem Treffer als "inneren Reichsparteitag" bezeichnete, da wünschte sich der Zuschauer, dass Oliver Kahn eine Vuvuzela in der Hand hat und nun kräftig hineinblasen möge.

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