TV-Ereignis Olympia (12):Schwarz-Rot-Geil geht anders

"Guck ich wieder Fußball": Bei den Olympischen Spielen in Vancouver kommt vor dem Fernseher wenig Patriotismus auf - dafür umso mehr Mitgefühl.

Lisa Sonnabend

Schuld sind die "Schneeflocken, so groß wie Espressotassen, nur weicher", wie der Kommentator im ZDF so schön sagt. Denn diese Schneeflocken bringen "uns" um eine Medaille. Bei der 4x10 Kilometer Staffel im Langlauf haben die deutschen Starter auf die falschen Ski gesetzt, für das dichte Schneetreiben an diesem Mittwochabend sind andere Nationen besser gerüstet.

Dabei waren die Erwartungen vor Beginn so hoch. Der Kommentator Peter Leissl sagt: "Mal sehen, ob es ein Happy End gibt für die deutsche Staffel." Also: Für uns alle eigentlich, die Deutschen. Denn wir sitzen daheim vor dem Fernseher - und auch wir wollen eine Medaille, am liebsten natürlich Gold.

Bei einem Staffelrennen wird einem das Mitfiebern besonders leicht gemacht: Man muss sich gar nicht zwischen Maria Riesch aus Partenkirchen und Kathrin Hölzl aus Bischofswiesen entscheiden wie beim ersten Durchgang im Riesenslalom - denn Deutschland startet nur einmal. So wie nach dem Fußballspiel nur nach dem Sieg des Lieblingsvereins ein weiteres Bier getrunken wird, könnte man doch auch nach einer Staffelmedaille noch eine Flasche öffnen, malt man sich bereits daheim auf der Couch aus.

Sind wir alle etwa wieder Schwarz-Rot-Geil? Wie damals, während der Fußball-WM 2006, als jeder, der nach einem Sieg der deutschen Mannschaft nicht auf einer Fanmeile gesichtet wurde, als Spielverderber galt?

Nein, Euphorie macht sich an diesem Abend beim Olympiaschauen zunächst nicht breit. Das liegt natürlich an dem enttäuschenden Rennen der deutschen Läufer. Aber auch an der Fernsehübertragung. Denn das ZDF versteht es, unser Mitgefühl auch für Sportler anderer Nationen zu wecken.

Nach 15 Minuten heißt es. "Einer ist schon weit abgeschlagen, der Este." Algo Karp kraxelt den anderen mit mürrischer Miene hinterher. Nach 20 Minuten meldet sich Peter Leissl mit väterlicher Stimme zu Wort: "Schwer atmend der Kanadier." Keuchend schleppt sich Devon Kershaw durchs Bild. Auch nicht ohne: Odd-Bjørn Hjelmeset, der zweite Läufer der Norweger, der eine Lebensmittelallergie hat und aufpassen muss, was er isst. Und wieder andere haben eben mit espressotassengroßen Schneeflocken zu kämpfen.

Alle Starter sehen in den Anzügen und mit Mützen sowieso aus wie Klone, alle mühen sich gleich ab, alle ärgern sich gleich über die Witterung. Wie kann man da jemandem den Sieg mehr gönnen als anderen? Das denkt sich wohl auch Peter Leissl und macht das Fernsehschauen an diesem Abend damit so angenehm. Leissl hat ein Auge für die Schicksale, die den Sport bei jedem Rennen, bei jeder Partie begleiten.

Nur zwei Mal verkneift es sich Leissl nicht, an den "Medaillenmontag" zu erinnern. Zweimal Gold, dreimal Silber gab es noch vor drei Tagen. Das Wort "Medaillenmontag" spricht er dabei so bedeutungsschwer aus, als handle es sich um den Tag der Deutschen Einheit.

Nicht wenige Zuschauer haben bestimmt vor dem Langlauf-Rennen einen Blick auf den Medaillenspiegel geworfen. Norwegen hat nur eine Goldmedaille weniger als Deutschland - und jetzt ist der norwegische Schlussläufer doch glatt drauf und dran, sich auf den zweiten Platz vorzuschieben! Immerhin reicht es nicht mehr für Gold.

Die Schweden gewinnen das Rennen souverän. Und die Deutschen? Einer, er nennt sich Revolvermann, schreibt auf dem Kurznachrichtendienst Twitter: "Najut. Im Langlauf sind wir ja raus aus den Rängen. Guck ich wieder Fußball" Und Droddl: "Schade! Langlauf-Staffel nur 6. Falscher Ski. Naja!" Schwarz-Rot-Geil geht anders.

Kurze Pause und weiter geht es mit dem Eisschnelllauf, 5000 Meter der Frauen. "Das ist der absolute Wahnsinn", schreit plötzlich Co-Moderatorin Gunda Niemann-Stirnemann. "Stephanie Beckert ist auf dem Weg zu einer Medaille", ruft Wolf Dieter Poschmann, seine Stimme überschlägt sich. "Unglaublich, was hier passiert!" Die Erfurterin Stephanie Beckert läuft Bestzeit, nur zwei Läuferinnen können sie noch überholen.

Dann kommt die Tschechin Martina Sablikova. Das ZDF-Kommentatoren-Duo fängt wieder an zu brüllen: "Sie fliegt übers Eis!" Und wieder: "Wahnsinn!" Poschmann ruft: "Das ist die überragende Athletin der Spiele im Eisschnelllauf. Sie hat verdient gewonnen. Respekt!" Wir erheben uns von der Couch und holen ein Bier aus dem Kühlschrank: Auf den Sport!

Im Video: Sie hat allen Grund zur Freude, Stephanie Beckert präsentiert ihre Silbermedaille Nr.2 - gewonnen über die Distanz von 5000 Metern.

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