Süddeutsche Zeitung

TV-Auftritt von Lance Armstrong:Aus dem Sumpf ins Kammertheater

Kritisch blickt Amerika Lance Armstrongs Geständnis-Auftritt im Fernsehen entgegen: Seine Gegner fürchten, der Texaner könnte mit Emotionen beim Publikum punkten. Erwartet wird in jedem Fall eine professionell organisierte Show. Glaubwürdige Reue ist dem vielfachen Dopingsünder nicht zuzutrauen - er will die Bühne für sich nutzen.

Von Thomas Kistner

Die Spannung steigt in den USA vor dem global beachteten Kammertheater des "Anti-Sportlers 2012" (Sports Illustrated) und der beliebtesten Show-Dame des Landes, Oprah Winfrey. Nichts als den nächsten großen Bluff erwartet Lance Armstrongs eingeweihte Kritikerschar. Schon aus juristischer Sicht verbietet sich ja ein Sinneswandel bei dem Texaner, der das Peloton über eine Dekade brutal beherrschte, Karrieren beendete und Widersacher bedrängte, und der die Aberkennung seiner Tour-Titel weltweit mit gestrecktem Mittelfinger kommentierte: Er twitterte ein Bild von sich und den sieben gelben Trikots.

Dass er die Hemdchen jetzt schreddert und über das Haupt streut, wäre eine abwegige Erwartung an den Durchtriebensten der jüngeren Dopinghistorie. Stattdessen befürchten seine Kritiker eine professionell orchestrierte Gefühlsoffensive auf dem Showmarkt. Sie nutzen die Zeit bis nächsten Donnerstag, um für die Talkmasterin mit eigenem Kabelkanal (OWN) noch ein paar Hürden hochzuziehen.

Dabei hat Travis Tygart, Chef der brillanten Anti-Doping-Agentur Usada, neue Vorwürfe erhoben, die im Sport für Aufruhr sorgen. Dem Interviewformat 60 Minutes im Sender CBS sagte Tygart nicht nur, dass ein Vertreter Armstrongs auch seiner Usada schon 2004 eine Spende über 250.000 Dollar offeriert habe. Die Usada habe abgelehnt, anders als der Radweltverband UCI, der mindestens zwei Spenden über insgesamt 125.000 Dollar einstrich von einer Figur, die chronisch Doping-verdächtig und just von der UCI zu überwachen war.

Geld als Lockstoff für Verband und Agentur? Tygart erweitert den Sumpf jetzt noch: Der Cheffahnder beschuldigt Martial Saugy, den Leiter des Doping-Labors in Lausanne, der Beihilfe für Armstrong. Saugy habe ihm 2010 verraten, es gebe eine Probe, "die darauf hinweist, dass Armstrong Epo verwendete". Die Probe sei von der Tour de Suisse 2001. Saugy sei damals von der UCI angewiesen worden, Armstrong und dessen US-Postal-Manager Bruyneel das Nachweisverfahren für Epo zu offenbaren. Der Termin fand statt, Saugy erklärte ihn später so, es spräche nichts gegen den offenen Umgang mit der Analytik. Armstrongs Anwälte bestreiten, dass es ein Spendenangebot an die Usada gab.

Aber Tygart legte bei CBS nach. Befragt, ob Armstrong "selbst an der Einschüchterung anderer Fahrer beteiligt" gewesen sei, sagte er: "Das war er. All die Zeugen hatten Angst davor, welche Auswirkung die schlichte Wahrheit auf sie haben würde."

Nachfrage: Was hätte er ihnen tun können? Antwort Tygart: "Sie verbrennen."

Unterstützung gab ihm beim Sender CNN Betsy Andreu, Ehefrau des einstigen US-Postal-Profis Frankie Andreu. Die beiden waren vor Jahren die ersten, die Armstrongs enormen Dopingkonsum bezeugten, von dem sie aus dessen eigenem Mund erfahren hatten. Auf die Frage, was ihr seither alles widerfahren sei, zählte Andreu mehr auf, als gesendet werden konnte. Sie erhielt über die Jahre zahlreiche Drohanrufe, ihre E-Mail-Konten seien gehackt worden. Das Paar investierte vergeblich tausende Dollar für Anwälte. Anzeigen wurden erstattet, auch sei Frankie persönlich von Armstrong bedroht worden. Etwa mit der Botschaft "Cuidado", so führte Andreu aus; dem spanischen Wort für Achtung.

Nun also die Oprah-Show. Der seriöse Teil der US-Medien hat ein klares Meinungsbild zu Armstrong; bis auf Ausnahmen wie die unter Druck geratene Washington-Post-Kolumnistin Sally Jenkins, Co-Autorin Armstrongscher Heldenbücher.

Klar ist: Ein Geständnis Armstrongs kann keinesfalls darin bestehen, nachträglich Altbekanntes abzunicken. Wobei er sich nicht mal das leisten dürfte eingedenk der anstehenden Schadenersatzprozesse. Glaubwürdige Reue würde eine weitreichende Beichte erfordern. Über transnationale Geldflüsse und Privatflüge nach Europa im Geleit von Leuten mit Diplomatenpass, über Beschaffung und Bezahlung von Dopingmitteln und über Banker, Sponsoren sowie hochrangige Politiker im Hintergrund. Es müssten Fakten auf den Tisch, die eher in den Gerichtssaal gehören als in eine Bussi-Bussi-Show, in der Tom Cruise übers Sofa hüpfen darf und mit Fragen zu seiner Rolle bei Scientology verschont wird.

Armstrong müsste Dinge enthüllen, die in anstehenden Großprozessen seine Getreuesten in Existenznöte brächten: Sportdirektor Bruyneel, den Tygarts Usada am Wickel hat, und Michele Ferrari, den in Italien bestens vernetzten "Dottore Epo". An ihn allein hat Sportsfreund Lance nachweislich eine Million Dollar gezahlt.

Schon der flüchtige Blick zeigt, wie naiv es ist, in Oprahs Quoten-Maschine OWN einen Texaner im Büßerhemd zu erwarten. Dort musste er schon 2011 keine Dopingfrage befürchten, rügte Andreu, obwohl bereits damals eine Bundesermittlung gegen ihn lief. Die Frage dürfte also sein, wie der Gefühlsumschwung beim Publikum provoziert werden soll. Mit ein paar Tränen womöglich, wie New-York-Times-Kolumnistin Juliet Macur bei CNN argwöhnte?

Armstrongs Gegner treibt die Sorge um, dass ihm die Flucht in Amerikas schrille Show-Welt gelingen könnte, wo nur Emotionen zählen und Wahrheit keine Rolle spielt. Dass er es dank der prominentesten Talkerin im Lande schafft, deren Millionenpublikum in signifikanten Teilen umzudrehen. Damit er in die Krebshilfestiftung Livestrong und in jenes Cockpit zurückkehren kann, mit dessen globaler Werbekraft er sich selbst als Idol kreieren konnte: Ein Krebs-Bezwinger, der angeblich schon deshalb niemals Dopingmittel nahm, weil er damit die Gefühle Millionen verzweifelter Kranker verletzt hätte.

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SZ vom 11.01.2013
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