Volleyball-Pokalsiegerin Yüzgenç :Sie schmettert gegen den Schrecken

Volleyball-Pokalsiegerin Yüzgenç : Jubelnde Anführerinnen: Diagonalspielerin Tutku Burcu Yüzgenç (vorne) und Libera Anna Pogany bezwingen mit Schwerin den SC Potsdam im Pokalfinale.

Jubelnde Anführerinnen: Diagonalspielerin Tutku Burcu Yüzgenç (vorne) und Libera Anna Pogany bezwingen mit Schwerin den SC Potsdam im Pokalfinale.

(Foto: Ostseephoto/Imago)

Tutku Burcu Yüzgenç führt Schwerin im Volleyball-Pokalfinale gegen Potsdam zum achten Triumph. Danach übermannen die Türkin die Emotionen - beim Erdbeben in ihrer Heimat hat sie viele Freunde verloren.

Von Sebastian Winter, Mannheim

Tutku Burcu Yüzgenç schaute sich um, sie jubelte, lächelte, immer wieder, nein, das war kein Lächeln: Sie strahlte. Als würden gerade tonnenschwere Steine von ihr abfallen. Als wäre sie der glücklichste Mensch der Welt. Yüzgenç, 24 Jahre jung, 1,92 Meter lang, hatte gerade am Sonntagabend mit dem SSC Palmberg Schwerin den DVV-Pokal gewonnen, durch einen 3:1-Erfolg gegen den SC Potsdam. Und das vor der für Volleyball-Mannschaften ungewohnten Kulisse von 9175 Zuschauern in Mannheim. Für Schwerin war es der achte Triumph in diesem Wettbewerb, für Yüzgenç, zuvor in ihrer Heimat Ankara und bei Fenerbahçe Istanbul unter Vertrag, der erste Titel in ihrer Karriere.

Viele Minuten harrte Yüzgenç vor der Tribüne aus, sie sprach und drückte ihren Manager, der extra wegen dieses Spiels aus Istanbul gekommen war. Sie weinte auch, dann verschwand sie mit ihren Mannschaftskameradinnen im Lamettaregen. Später nahmen Schwerins Spielerinnen den Pokal mit in die Umkleidekabine, danach fuhren sie mit dem Bus durch die Nacht zurück in die Heimat. Es war eine feucht-fröhliche Champagner- und Bierfahrt, die erst um fünf Uhr morgens ein Ende nahm, so schildert es jedenfalls Yüzgenç am späten Montagvormittag am Telefon.

Und es war für sie selbst die beste Ablenkung - inmitten des Albtraums, der sie seit drei Wochen verfolgt: Yüzgenç hat beim Erdbeben, das die Türkei und Syrien heimsuchte, zwar keine direkten Verwandten verloren, aber viele Freunde und Bekannte sind betroffen, es gibt Tote unter ihnen, die Volleyballwelt ist überschaubar. "Es war schrecklich, ich konnte es nicht glauben", sagt Yüzgenç: "Aber ich habe versucht, weiter meinen Job zu machen, meine Emotionen zu zeigen, Trauer, Wut, auch Fröhlichkeit. Ich wollte meiner Mannschaft helfen. Und wenn ich zu viel nachgedacht hätte, dann hätte ich das nicht mehr gekonnt."

In den schlimmsten Nächten schläft Yüzgenç bei Schwerins Zuspielerin auf der Couch

Ihr Trainer Felix Koslowski erzählte der SZ noch am Abend des Pokalsieges, dass das Erdbeben "ein großes Thema" im Klub und innerhalb der Mannschaft gewesen sei - gerade wegen Yüzgenç. "Wir wollten ihr zeigen, dass wir für sie da sind, sie nicht alleine lassen in der Situation." Als am 6. Februar die ersten Meldungen über die Katastrophe erschienen, bot Schwerins Zuspielerin Pia Kästner Yüzgenç an, sie für ein paar Tage bei sich aufzunehmen. "Es sind fünf Minuten zu Fuß zu ihr, und ich habe auf ihrer bequemen Couch geschlafen. Wir haben geredet und Filme geschaut", sagt Yüzgenç. Sie war dankbar, auch dafür, nicht alleine in ihrer Wohnung zu sein, ständig aufs Handy zu starren und die neuesten Todesmeldungen sehen zu müssen. Apropos Handy: Kästner hat, wie Koslowski erzählte, sich selbst mit Grinsegesicht als Hintergrundbild in Yüzgençs Mobiltelefon gestellt - damit diese auf etwas Fröhliches blicken kann in diesen Wochen.

Es gibt Berichte darüber, dass eine ganze junge Volleyballgruppe aus dem türkisch besetzten Teil Zyperns, die zum Zeitpunkt des Bebens in einem beliebten Hotel in Adıyaman weilte, verschüttet worden ist, wie auch die Zweitliga-Volleyballer von Malatya Büyükşehir Belediyespor und 14 Volleyballerinnen des Zweitligisten Hatay Büyükşehir Belediyespor, die sich in Antakya aufhielten, als die Sporthalle einfach über ihnen zusammenstürzte. Auch der Nationalspieler Emincan Kocabaş ist bei dem Erdbeben ums Leben gekommen.

Kurz nach dem Beben initiierte Schwerin bei einem Heimspiel eine Spendenaktion, die Spielerinnen und der Klub wollten ein Zeichen setzen - und Yüzgençs Heimat unterstützen. Sie selbst hilft den Betroffenen mit ihrer Familie so gut es geht, schickt Geld, Kleidung und Lebensmittel über die Seite der türkischen Hilfsorganisation Ahbap (www.ahbap.org) ins Katastrophengebiet. Es zerreiße ihr jedes Mal aufs Neue das Herz, dort die Meldungen über die neuesten Schicksale zu sehen.

Volleyball-Pokalsiegerin Yüzgenç : Verschwunden im Glitzermeer: Anna Pogany stemmt den DVV-Pokal für Schwerin in die Höhe.

Verschwunden im Glitzermeer: Anna Pogany stemmt den DVV-Pokal für Schwerin in die Höhe.

(Foto: Uwe Anspach/dpa)

Yüzgenç spielt seit dem Beben mit Trauerflor, einer schwarzen Schleife im Bereich des linken Schlüsselbeins, weil eine Armbinde ihr Spiel stören würde. Auch im Pokalfinale trug sie die Schleife - und letztlich trug sie die Mannschaft mit ihren Fähigkeiten auch zum Sieg. 15 Punkte, davon vier Blocks, machte Yüzgenç, nach nervösem Beginn und dem verlorenen ersten Satz kam sie immer besser ins Spiel. Neben ihrer Interims-WG-Partnerin Kästner, Schwerins überragender niederländischer Mittelblockerin Indy Baijens sowie den Annahmespielerinnen Lina Alsmeier und Lindsey Ruddins war Yüzgenç die Schlüsselfigur des Abends. "Sie ist ein Riesenfaktor und unglaublicher Motor unseres Spiels. Sie hat extrem viel Power, wir spüren sofort, wenn sie nicht auf dem Feld steht", sagt Koslowski, ihr Trainer. Mehr noch: "Tutku ist eine Führungsspielerin, sie hat das Standing, auch Ansagen zu machen."

Was vor allem auffiel in Mannheim: Yüzgenç schien ihre Mitspielerinnen auf dem Feld mit ihrer positiven Ausstrahlung immer wieder anzustecken. In einem Sport, in dem sechs Spielerinnen auf ihrer nur neun Mal neun Meter großen Feldhälfte miteinander klarkommen und sich immer wieder Fehler verzeihen müssen, in dem sich jeder Anflug von negativen Emotionen gleich aufs Gemüt der ganzen Mannschaft übertragen kann (wie mitunter bei Potsdam in diesem Finale), ist eine solche Eigenschaft ein Segen. Man kann Yüzgenç auch dahingehend gut einschließen in den Satz, mit dem Alsmeier später das Spiel mit heiserer Stimme beschrieb: "Es war eine Achterbahnfahrt der Gefühle, wir haben alles auf dem Feld gelassen, unser Herzblut da reingesteckt."

Auch Koslowski hatte in den Tagen zuvor gespürt, wie nervös die Mannschaft war vor dem "Spiel des Jahres", wie es der Klub selbst betitelt hatte: "Ich kann jetzt ehrlich sagen, unser Donnerstagstraining war ein einziges Desaster", bekannte der Trainer. Wie das eben oft so ist mit Generalproben. Er freue sich für die Mannschaft, dass sie nun feiern könne, sagte Koslowski noch: "Das sind junge Frauen, die haben mit viel Druck umzugehen. Jetzt darf das Ventil auch mal aufgedreht werden, damit dieser Druck entweichen kann. Und der Trainer passt auf, dass keine verloren geht auf dem Weg."

Das Ventil aufdrehen, wohl niemand kennt diesen Zustand gerade besser als Tutku Burcu Yüzgenç. Am kommenden Wochenende hat Schwerin spielfrei, an diesem Donnerstag fliegt sie für fünf Tage nach Ankara und Istanbul zu ihrer Familie, zur Schwester, zu Freunden. "Ich muss sie jetzt sehen", sagt sie.

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