Turn-WM in Stuttgart:Wenn die Weltmeisterin nachrückt

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Pauline Schäfer rückt für die verletzte Sophie Scheder nach. (Foto: Minas Panagiotakis/AFP)
  • Bei der Heim-WM in Stuttgart steht die deutsche Frauen-Auswahl im Mittelpunkt im Kampf um die Medaillen.
  • Die Weltmeisterin Pauline Schäfer sollte erst nur zuschauen, doch nun kommt eine tragende Rolle in der Gruppe auf sie zu.
  • Kaum eine Turnerin verdeutlicht das Auf-und-Ab-und-Auf dieses Sports wie die aus dem Saarland stammende Chemnitzerin.

Von Volker Kreisl, Stuttgart

Es geht nicht immer nur um Sport. Damit eine Mannschaft gewinnt, müssen sich die Einzelnen auch privat verstehen. Freuden und Sorgen sollten geteilt werden, mit wenigstens ein, zwei Gefährten aus demselben Jahrgang. Wie soll man zusammenkommen, wenn die Gedanken der einen Athletin irgendwelchen Youtubern folgen und die der anderen zum Beispiel einer Masterarbeit im Fach Technische Biologie?

Die Auswahl der deutschen Turnerinnen für die am Freitag startende WM in Stuttgart besteht aus fünf Mädchen beziehungsweise Frauen, die Jüngste ist 16, die Älteste 30, der Rest ist grob dazwischen verteilt. Und dennoch ist Bundestrainerin Ulla Koch sicher, dass die Freundschaften und die Solidarität in dieser Mannschaft tadellos sind, dass diese sogar ihren großen Trumpf darstellen für die kommende Aufgaben. Denn alle ergänzen sich, sind schon lange und viel zusammen, und überhaupt, sagt Koch: "Alle sind sie schlau."

Die Frauen-Auswahl des Deutschen Turnerbundes (DTB) steht schon länger im Mittelpunkt. Sie hat spätestens mit dem Rücktritt von Olympiasieger Fabian Hambüchen 2016 die Aufgabe des Medaillengewinnens von den Männern übernommen, und anders als diese dürfte Kochs Team kein Problem damit haben, sich nun für Olympia in Tokio 2020 zu qualifizieren.

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Das liegt auch daran, dass die Turnerinnen jenes Kunststück beherrschen, das dieser Einzelsport immer wieder verlangt: sich zu einem Team zu formen, besonders im Jahr vor Olympia. Ohne diesen Teamerfolg erlebt der Einzelne Olympia höchstens als einsamer Wanderer.

Deshalb hat Trainerin Koch nun sechs Turnerinnen aufgestellt, die sich zunächst mal an den Geräten möglichst effizient ergänzen. Fünf waren für die Qualifikation gesetzt: Die Stufenbarrenturnerin und Technische-Biologie-Studentin Kim Bui, 30 Jahre alt; die WM-Dritte Elisabeth Seitz, 25; die Schwebebalken-Weltmeisterin Pauline Schäfer, 22, die zunächst Ersatzturnerin war und nun für Sophie Scheder antritt - nach deren Schulterverletzung am Donnerstag im Training; dazu noch die Sprungspezialistin Sarah Voss, 19; und die vielseitige, 16 Jahre alte Emelie Petz, die sich Trainingsdisziplin und Präzision über viele Jahre täglich von Seitz und Bui im Turnzentrum Stuttgart abgeschaut hatte. Sie haben nach der Qualifikation sich die Chance auf einen Olympia-Platz erhalten.

Petz erinnert sich noch daran, wie berauschend die WM 2007 in Stuttgart war, an mehr aber auch nicht, sie war ja damals erst vier. Trotzdem wollte sie bald so turnen wie die Großen, worin schon ein Hinweis auf die Funktionsweise des Teams liegt: die einen sehnen sich nach großen Momenten, die anderen können schon davon berichten. Oder darüber, mit welchen Tricks man eingeschliffene Fehler überwindet. Oder den Fokus schärft. Für alles ist jemand da, der es schon erlebt hat, sogar für den schlimmsten Fall, dass man bei der WM im eigenen Land nur als Ersatz aufgestellt ist - wie Kim Bui 2007.

Zwölf Jahre später hatte zunächst Schäfer diese bittere Rolle. Nach Scheders Verletzung ist sie nun doch dabei, sie sagt: "Ich freue mich riesig, die Situation ist total verrückt." Schäfer soll nur an ihrem Paradegerät Schwebebalken antreten; am Barren springt die junge Sarah Voss aus Köln ein.

Kaum eine Turnerin verdeutlicht das Auf-und-Ab-und-Auf dieses Sports wie die Chemnitzerin Schäfer. Bis 2017 war sie rasant aufgestiegen, Weltmeisterin wurde sie dann im November, und hatte danach doch wieder schwierige Jahre vor sich - mit neuen Trainern und einer Fußverletzung. Zwar ist sie nun fit, hat aber weniger schwierige Übungen, was am Trainingsrückstand, aber auch an langen Arbeitstagen liegen mag: Sie lernt abends fürs Abitur. Nun ist sie plötzlich wieder mittendrin, bei der WM im eigenen Land.

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Über das große Schattenthema des Turnens können sämtliche Altersgruppen im Team einander berichten und Tipps geben, die Alten den Jungen und umgekehrt: Aus der Topform gerissen worden ist schon jeder, durch Bänderverletzungen, Schulterschmerzen, Hüftschäden, Ödeme, sogar Petz hat solche Phasen hinter sich. Wie man zum Beispiel nach einer Fuß-OP zurückfindet, wieder über die Matte springen und sich überschlagen kann, davon konnte Elisabeth Seitz vor der WM noch der Kollegin Scheder berichten. Seitz hat nach Jahren mit Fußschmerzen nun wieder große Lust darauf, sich zu plagen. Scheder konzentrierte sich nach einer längeren Phase mit Fuß-Ödem zunächst auch nur auf Balken und Barren, und nun hat sie über den Winter erst mal Zeit, alle anderen Geräte systematisch aufzubauen.

Die Mischung aus Erfahrung und Neugierde könnte aufgehen. Beim Podiumstraining drei Tage vor dem WM-Start, als die Turnerinnen die Härte der Holme getestet haben, das vielleicht blendende Licht in der Halle oder die Schwingung der großen Bodenmatte - bei dieser kleinen Generalprobe haben sich die Frauen und Mädchen von Kochs Turngruppe gut geschlagen. Und die beiden Sprünge mit Doppelschraube, die längst erforderlich sind, um international mitzuhalten, wurden auch problemlos gestanden. Licht, Holme und Matten fühlten sich gut an.

© SZ vom 04.10.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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