Es wird weiter geturnt am Bundesstützpunkt Stuttgart, denn es gibt immer Ziele: Das nächste, die Europameisterschaft im Mai in Leipzig, rückt schon näher. Für die Athletinnen haben sich jedoch wesentliche Änderungen ergeben: Das Training wird derzeit, wie der Schwäbische Turnerbund (STB) mitteilt, durch die „Gemeinschaft“ des Trainerpersonals am Kunstturnforum abgesichert. Zwei Trainer wurden freigestellt, nachdem Turnerinnen zu Jahresende Missstände anprangert hatten, zu vertraglichen Situation äußert sich der Verband aus rechtlichen Gründen nicht.
Die Erschütterung ist groß nach den vielfältigen Schilderungen von ehemaligen und aktiven Turnerinnen über den Stützpunkt Stuttgart, dann auch über das Training in Mannheim. Handlungsbedarf sieht auch die Politik. Die Landesregierung Baden-Württembergs erwartet „eine umfassende, vollständige und transparente Aufarbeitung der Vorwürfe durch eine unabhängige, externe Untersuchungskommission“. Das geht aus der Antwort auf eine Anfrage der SPD hervor. An diesem Donnerstag stehen die Vorgänge auf der Tagesordnung im Ausschuss für Kultus, Jugend und Sport.

Missstände im deutschen Leistungsturnen:Wie die Turnverbände auf die schweren Vorwürfe reagieren
Der Deutsche Turner-Bund und der Schwäbische Turnerbund äußern sich betroffen – und wollen „den Erfolg der bislang eingeleiteten Maßnahmen erneut auf den Prüfstand stellen“.
Von den Vorwürfen ehemaliger Athletinnen über Fehlverhalten und Missstände hat das zuständige Ministerium für Kultus, Jugend und Sport jedenfalls bis zu den ersten Medienberichten Ende Dezember 2024 nach eigenen Angaben nichts gewusst. Auch das hat es auf die SPD-Anfrage mitgeteilt. Schon 2021 hatte sich die frühere WM-Dritte Tabea Alt in einem Brief an den Deutschen Turner-Bund und den Schwäbischen Turnerbund gewandt, auch darüber sei das Ministerium, wie es mitteilt, nicht informiert gewesen.
Sascha Binder, der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Landtagsfraktion, sieht das als Beleg dafür, „dass eine interne Aufarbeitung nicht ausreicht“. Er fordert eine „automatische Meldepflicht solcher Vorwürfe an das Kultusministerium“, das den Sport mit öffentlichen Mitteln fördert. In den vier Jahren von 2021 bis 2024 sind insgesamt 6,2 Millionen Euro an Landesmitteln an den Schwäbischen Turnerbund geflossen. „Mit Geldern des Landes dürfen keinen Missbrauchsstrukturen finanziert werden“, heißt es in der Stellungnahme der SPD-Fraktion.
Von nur internen Ermittlungen aber kann mittlerweile keine Rede mehr sein. Die Staatsanwaltschaft Stuttgart hat ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Nötigung in mehreren Fällen eingeleitet, das sich gegen einen ehemaligen Trainer am Kunstturnforum richtet. Vorige Woche gab es mehrere Durchsuchungen, so auch in der Geschäftsstelle des STB und im Turnforum Stuttgart sowie in Frankfurt in der Geschäftsstelle des DTB. Beide Verbände weisen darauf hin, dass nicht sie als Beschuldigte des Ermittlungsverfahrens gelten, sondern als sogenannte Dritte von den Maßnahmen betroffen seien und sie die strafrechtliche Aufklärung ausdrücklich begrüßen.
DTB betraute Kanzlei Rettenmaier mit der Untersuchung wegen ihrer Erfahrung und Expertise
Parallel dazu läuft jene Untersuchung der Vorwürfe, mit der der DTB am 17. Januar die Frankfurter Kanzlei Rettenmaier beauftragt hat. Diese soll die Vorgänge in einem ersten Schritt klären. Danach soll ein unabhängiger, noch zu berufener Expertenrat zusammentreten, der Trainingsmethodik, Strukturen und den Umgang mit Kindern und Jugendlichen im Turnen aufarbeitet. An der Untersuchung durch die Kanzlei allerdings hat sich nun heftige Kritik entzündet: Am Dienstag wurde ein offener Brief bekannt, in dem 28 Personen, darunter viele ehemalige Spitzenturnerinnen, Zweifel an der Unabhängigkeit einer Untersuchung äußern, die der Verband selbst bestellt hat.
Der Rechtsanwalt Felix Rettenmaier besetzt seit 2018 die externe Ombudsstelle im Deutschen Olympischen Sportbund als unabhängiger Vertrauensanwalt. Der Deutsche Turner-Bund wählte die Kanzlei aus, weil sie „über erhebliche Expertise im sportrechtlichen Bereich und Erfahrung bei der Durchführung solcher Untersuchungen verfügt“, wie es auf SZ-Anfrage heißt. Weil die Kanzlei schon vor vier Jahren an der Aufarbeitung von Vorfällen in Chemnitz beteiligt war, könnte sie auf diese Erfahrungen zurückgreifen „und mit der Untersuchung unmittelbar beginnen“. Zudem, teilte der DTB am Mittwoch mit, müsse „im Hinblick auf die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft sichergestellt werden, dass die Untersuchungsergebnisse nach den bestehenden Standards zustande gekommen und juristisch verwertbar sind“.
Der Turnerbund geht davon aus, dass die Anwälte mehrere Monate mit der Klärung der Vorkommnisse beschäftigt sind. Es gebe keine Frist, auch weil die Zahl der Personen, die sich melden, nicht planbar sei. Die Aufklärung, die die Landesregierung in Stuttgart fordert, steht erst am Anfang.