Turnen:Sieben Jahre bis zur zuckenden Rechten 

German Gymnastics Championship - Day 1

Gut im Griff: Andreas Toba am Reck in der Sporthalle Hamburg.

(Foto: Bongarts/Getty Images)

Andreas Toba wird erstmals deutscher Mehrkampf-Meister und tritt damit in Vaters Fußstapfen.

Von Volker Kreisl, Hamburg

Der Turner Andreas Toba hatte das wohl nicht im Sinn. Aber als er nach einem langen Wettkampf über sechs Geräte am Ziel und auf dem vorläufigen Höhepunkt seiner Karriere war, da brachte er auch seine Gedanken elegant auf den Punkt. Es ging um Olympia in sechs Wochen, um das, was noch zu verbessern sei, und überhaupt, um die weiteren Aufgaben. Auf die Frage, ob er sich nun endlich mal ohne Fehl und Tadel gefühlt hatte, sagte er: "Im Turnen gibt es immer Fehl und Tadel."

Toba war glücklich an diesem Samstag in Hamburg, das konnte man an den vielen Fäusten erkennen, die er im Laufe des Sechskampfs geballt hatte, an den innigen Umarmungen mit seinen Betreuern und Teamgefährten und an einer letzten, mehrmals zur Hallendecke zuckenden Rechten bei der Siegerehrung. Es war sein erster Titel in einem schon recht langen Turnerleben. Toba ist 25 Jahre alt, und dieser Sport lässt mit fortschreitendem Alter immer weniger Chancen zu Titeln zu. Jetzt steht er endlich mal ganz oben, überdies kann er auch sagen, "ich bin ein bisschen in die Fußstapfen meines Vaters getreten." Marius Toba hatte vor 22 Jahren in Hamburg bei den deutschen Meisterschaften den Mehrkampf gewonnen. Sein Sohn siegte vor Marcel Nguyen (TSV Unterhaching) und Philipp Herder (SC Berlin), bei den Frauen gewann Sophie Scheder (TuS Chemnitz) vor Elisabeth Seitz (MTV Stuttgart) und Pauline Schäfer (Chemnitz). Andreas Toba fühlte sich also für den Moment am Ziel: "Sieben Jahre habe ich darauf gewartet, auch mal so jubeln zu dürfen", sagte er.

Andererseits ist dies aber auch ein Titel in einem Olympiajahr, und in dieser Zeit steht etwas anderes im Vordergrund. Die Frage, wer das Team entscheidend verstärken kann, überdeckt alle Teilerfolge, auch einen so souveränen, wie den Sechskampf von Toba an diesem Tag. Er hat bewiesen, dass er ein äußerst stabiler Turner ist, der das Rückgrat für die Mannschaft sein könnte. Doch er weiß auch, dass sich das deutsche Männerturnen gerade in einer Übergangsphase befindet, dass es sich bei den Spielen in Rio (5. bis 21. August) aber trotzdem irgendwie in Szene setzen muss.

Hambüchen turnt nur reduzierte Übungen

Mit dem Team und im Mehrkampf stehen die Chancen auf eine deutsche Medaille nahezu bei null, anders als an den Einzelgeräten. Da bieten sich die bekannten deutschen Turn-Größen an, was auch die Leistungen in Hamburg bestätigten: Marcel Nguyen und Lukas Dauser, die beiden Unterhachinger, empfahlen sich unter anderem mit spektakulären Abgängen am Barren, Dauser turnte den Doppelsalto mit ganzer Drehung vorwärts, Nguyen rückwärts, was Tsukahara heißt, ihm Bekanntheit und Olympiasilber 2012 in London einbrachte und nun auch wieder seine Aussichten für Rio verstärkt. Fabian Hambüchen meldete sich nach seiner langen Verletzungspause mit soliden Leistungen zurück, der Reck-Silbergewinner von London bot reduzierte Übungen am Reck, Boden und Sprung, war aber zufrieden: "Hauptsache, die Schulter hat es ausgehalten", sagte er. Auch Andreas Bretschneider (Chemnitz) deutete seine Finalchancen am Reck an und Matthias Fahrig (Halle) zeigte am Boden, dass mit dem 30-Jährigen auch nach langen Reha-Zeiten noch zu rechnen ist. Nur der Mehrkampfsieger Andreas Toba hat nicht die Schwierigkeitswerte für eine Höchstleistung, er ist ein Stabilisator, kein Ausreißer nach oben.

Wichtig könnte er mit seiner sicheren Ausführung trotzdem werden, wenn nämlich in den Planspielen von Bundestrainer Andreas Hirsch auch eine Mannschaft ohne Medaillenaussichten eine große Bedeutung hat. Er muss abwägen, ob er wie immer mindestens einen Team-Platz unter den besten Acht in Rio anstrebt oder ob er mit höherem Risiko auf Einzelerfolge setzt, was womöglich auch Medaillen bringt. Beide Varianten sind nach den Auftritten von Hamburg möglich, beide sind nicht ohne Risiko, immer geht es letztlich um Fördergelder für die kommenden Jahre.

In zwei Wochen findet in Frankfurt die zweite öffentliche OIympia-Ausscheidung statt, danach wird nominiert. Andreas Toba versucht bis dahin, die wenigen Unsauberkeiten aus seinen Übungen zu tilgen, zum Beispiel den zu knapp an der Stange gegriffenen Flieger am Reck und weitere Details. Auch wenn er weiß, dass es nie zu Ende ist, dass es immer was zu kritisieren gibt in seinem Sport.

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