Elisabeth Seitz bei der Turn-EM:Der Wettkampf als Nahrung

Elisabeth Seitz, GER, during podiumtraining at 2021 artistics Europeans in Basel; 19/04/2021; *** Elisabeth Seitz, GER,

Wieder sie selbst: Elisabeth Seitz turnt im EM-Mehrkampf in Basel auf den fünften Platz.

(Foto: Schreyer/imago images)

In ihrem Lieblingsformat, dem Mehrkampf, turnt Elisabeth Seitz endlich wieder um Platzierungen und Punkte. Dabei hatte sie das vergangene Jahr ohne jeden internationalen Wettstreit an ihre Grenzen gebracht.

Von Volker Kreisl

Eine Turnhalle. Die Zuschauerränge abgedunkelt, die Scheinwerfer angeschaltet. Spotlight liegt auf den Bühnen, dem Stufenbarren, dem Sprungtisch, dem Schwebebalken und der großen Bodenmatte. Alles ist gesäumt von Kampfrichterinnen und Kampfrichtern, Musik aus den Boxen, Magnesia in den Behältern. Gedämpfte Atmosphäre, volle Konzentration. Elisabeth Seitz stand wieder in einem Wettkampf.

Mit dieser Europameisterschaft in Basel geht für die Besten im Turnen eine Phase zu Ende, die manche an die Grenzen der Motivation brachte. Seit Beginn der Pandemie gab es in diesem Sport auf Spitzenniveau keine Turnmeisterschaften. Kein Vergleich, keine Begegnungen mit anderen Topleuten, und damit auch: keine Vorführung neuer Elemente, keine Inspiration für die eigene Fantasie.

Und auch wenn Seitz in Basel am Freitag im Mehrkampf hinter der Russin Wiktorija Listunowa erstaunliche Fünfte wurde, so hatte sie doch einen langen Weg hinter sich. 13 Monate hatte das gefehlt, was die Stuttgarterin mehr als zwölf Jahre lang angetrieben hatte: die Aufregung, der Beweis eigener Nervenstärke und dann ein Erfolg, mit einem Wort - Wettkampf.

Um die Länge und die Dimension dieser bleiernen Zeit zu verdeutlichen, eignet sich die 28-jährige Seitz als passendes Beispiel. Vielleicht mehr als die meisten anderen interpretiert sie einen Turn-Wettkampf wörtlich. Als höchsten Einsatz, Selbstüberwindung und das Prinzip, niemals aufzugeben. Der Auftritt vor großem Publikum, gegen leibhaftige Gegnerinnen ist für die Turnerin in Seitz so etwas wie Nahrung, hier erarbeitete sie sich in ihrer Szene den in diesem Fall ehrenhaften Titel "Wettkampfsau". Hier wächst sie über sich hinaus, was umgekehrt schon andeutet, wie schlecht es ihr an ihrem Tiefpunkt während der 13 Monate Pause ging.

Als die Hallen wieder öffneten, übte sie wie immer - doch das Training hatte keinen Bezug mehr

Auch Seitz hatte Verletzungen in den vielen Jahren. Und doch sind sie weniger in Erinnerung. Sie schien aus reichlich Energie schöpfen zu können und war hierzulande auch über Jahre die beste Mehrkämpferin mit insgesamt sieben deutschen Meistertiteln. Als sie 2016 bei den Spielen in Rio einer Medaille am Stufenbarren, ihrem besten Gerät, nahe war, wurde es Platz vier, weil ihre Teamkollegin Sophie Scheder knapp besser war.

Als sie darauf 2018 WM-Dritte in Doha wurde, feierte sie diese Medaille und betonte, die Farbe sei ihr egal. Immer schien Seitz schnell wieder aufzustehen, sich neu zu fokussieren, jedoch im Herbst 2020, das eigentlich für Seitz, wie sie sagt, ihr "Highlightjahr" werden sollte, da verlor sie die Motivation.

Es ging schleichend. Als die Hallen wieder öffneten, übten die Turnerinnen an den Geräten wie immer, aber das Training hatte keinen Bezug. Olympia 2020 war begraben, Olympia 2021 erschien weit weg. "Statt einem anderen Plan hatte man erstmal nichts, weil man nicht wusste, wie es weitergeht", erinnert sich Seitz. Und dann geschah das, was sie eigentlich gar nicht kannte: "Ich habe so vor mich hintrainiert und dachte, was heute nicht klappt, das trainiere ich dann morgen und wenn's dann nicht passt, ist es ja auch egal. Ist ja eh nix in diesem Jahr." Und auf einmal hat sich der Kampfgeist verflüchtigt wie Wasserdampf.

Turnen ist kein Sport, den man lange ausüben kann. Die wenigsten schaffen es, noch im Alter von über 30 auf hohem Niveau zu turnen. Und Seitz war sich schon 2019 darüber im Klaren, dass sie nun keine langen Turn-Perioden mehr durchplanen konnte. Auch ihre Übungen an den vier Geräten verändert sie kaum noch. Das hat damit zu tun, dass man sich die Kräfte einteilen musst, aber auch damit, dass die Abläufe, die Absprünge, die Salti und Schrauben, die Choreographie, das Timing bei der Landung, dass dies alles nun eben schon gut sitzt. Seitz sagt: "Irgendwann hat man sein Programm."

Seitz reizt die Rotation durch alle vier Herausforderungen

Und doch: Noch will Seitz ihre Vielfältigkeit ausleben und sich nicht auf einzelne Geräte konzentrieren. Auch wenn sie am Boden und am Stufenbarren ihre beste Show bietet, reizt sie auch die Rotation durch alle vier Herausforderungen. Und was sie anspornt, steckt ja schon im Namen des geliebten Formats Mehrkampf: Mehr Kampf. Als für Seitz das Ende des Jahres 2020 in Sichtweite kam, als 2021 anbrach, da regte sich in ihr wieder etwas vom vertrauten alten Geist.

Nun ist er wieder voll da, ihr Spirit, der sie im Rampenlicht Dinge bewältigen ließ, an denen sie im Training eben noch gescheitert war. Der fünfte Platz von Basel dürfte sie für Tokio befeuern. Dennoch haben sich die Zeiten geändert. Seitz plant Tokio mit der richtigen Krafteinteilung, mit der Option, eine Olympiamedaille zu ergattern, und mit Urlaub und Erholung danach.

Als sie in der Halle von Basel, in der außer den fehlenden Zuschauern erstmals wieder alles nach Turnen aussah, als die Anspannung stieg, da dachte Seitz: "Wow, das hattest du echt lange nicht mehr." Ungewohnt war es, aber dann lief es immer besser, denn es meldete sich ihr Kampfgeist, oder, wie sie es auch ausdrückt: "Ich bin wieder ich."

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