Turner Milan Hosseini:Wenn selbst der große Zeh gehorcht

Turner Milan Hosseini: Kontrolle in allen Lagen: Bodenturner Milan Hosseini.

Kontrolle in allen Lagen: Bodenturner Milan Hosseini.

(Foto: Ozan Kose/AFP)

Mit dem jungen Turner Milan Hosseini erhält der deutsche Verband überraschend Verstärkung für die Olympiazulassung. Bei der EM in Antalya gewinnt der 21-Jährige Bronze am Boden - genau wie Elisabeth Seitz am Stufenbarren.

Von Volker Kreisl

Da stand er, leicht wie ein Vogel. Seine Gegner waren reicher an Erfahrung, schwerer an Erfolgen und auch an Muskeln. Milan Hosseini hatte dafür etwas ganz anderes zu bieten: Vorfreude. Was sollte schon passieren in seinem ersten großen Auftritt, der auch für die deutschen Turn-Fans ganz überraschend kam. "Ich hatte richtig Bock auf dieses Finale", sagte Hosseini später.

Und wenn man etwas aus purer Lust und Freude macht, dann kommt eben auch für einen Neuling auf einer Großveranstaltung mal eine Bronzemedaille heraus. Am Samstag, im zweiten Einzelfinale der Turn-EM in Antalya, ließ der aus Flein in Baden-Württemberg stammende und in Berlin trainierende 21-Jährige bis auf zwei Gegner - nämlich den Briten Luke Whitehouse und Olympiasieger Artem Dolgopyat aus Israel - alle hinter sich. Eben noch war er in seiner Halle gestanden, auf einmal hatte er eine Einladung zur Teilnahme an einer Siegerehrung, so ganz echt, mit eigenem Platz auf dem Treppchen, Hymnenmusik und anschließend der Interviewrunde in der Mixed-Zone vor diesen Medienmenschen, die einem ihre Smartphones im Aufnahmemodus unters Gesicht halten.

Hosseini legte gleich los - mit einer anspruchsvollen Akrobatikbahn

Niemand hatte damit gerechnet, Hosseini vermutlich auch nicht. Dass eine Athletin wie Elisabeth Seitz in Antalya Bronze holt, 29 Jahre alt und aufgewachsen zwischen den Holmen des Stufenbarrens, seit Jahren zur Weltklasse zählend, war eher zu erwarten. Hosseini indes zählt zu den jungen Turnern, deren Muskeln noch nicht so breit sind, dass sie die natürliche Eleganz verhindern, die dieser Sport ja auch verlangt. Er stand also in seinem Starteck der Bodenmatte, mit großen Augen und konzentrierter Miene, hob den Arm zum Gruß des Kampfgerichts, nahm Anlauf, drehte sich in der Luft - und legte dann auf seiner zweiten Bahn richtig los.

Mit wenigen Schritten müssen Turner gewaltige Bewegungsenergie entfalten, um die Höhe für ihre Luftfiguren zu schaffen. Hosseini präsentierte eine Akrobatikserie mit vier Sprüngen hintereinander, darunter einen Flug mit zwei Schrauben und Salti gestreckt. Am Ende stand er etwas wacklig da, weil auch gefährlich nahe mit dem rechten großen Zeh an der Mattengrenze, die er nicht übertreten durfte. Doch auch dieser Balanceakt gelang, das Selbstbewusstsein war aufgefrischt.

Schon vor der Qualifikation hatte Bundestrainer Valeri Belenki den schmalen Turner gelobt. Und Hosseini zählt zu jenen, von denen nicht nur eine respektable allgemeine Karriere erwartet wird, sondern auch ein entscheidender Beitrag schon demnächst, wenn im Herbst bei der Weltmeisterschaft in Antwerpen die Qualifikation für Olympia 2024 in Paris ansteht. Mit seinem durchaus lässigen Auftritt hat sich die innere Anspannung von Belenki, von Sportdirektor Thomas Gutekunst und wohl allen Verantwortlichen des Deutschen Turnerbundes ein wenig gelöst.

Allerdings hatte der Gesamteindruck, speziell jener der Turnerinnen, auch Anlass zur Sorge gegeben. Mit rund sieben Punkten waren sie im Team-Wettkampf zurückgelegen, trotz der Erfolge der vergangenen EM in München. Neunte waren sie am Ende, für Olympia dürfte so eine Leistung nicht reichen. Jedoch ist bei der WM im Herbst mit einer anderen deutschen Vorstellung zu rechnen. Derzeit Verletzte wie Pauline Schäfer-Betz, die Schwebebalken-Weltmeisterin von 2017, und die in Antalya gestürzte Balken-Europameisterin Emma Malewski werden im Herbst wohl das Team verstärken, weshalb Gutekunst zuversichtlich bleibt, "dass wir in Antwerpen gerade auch im Frauen-Bereich ein anderes Gesicht im Team zeigen".

"Ich hab's noch drauf": Seitz muss sich nichts mehr beweisen - und doch ist Bronze eine wichtige Bestätigung

Solche verbandstaktischen Sorgen lassen junge und aufstrebende Sportler wie Hosseini und auch den Mehrkampfachten Pascal Brendel aus Wetzlar eher kalt. Ihr Job besteht darin, auf die eigene Entwicklung zu blicken. Die erfahrene Seitz machte es all die Jahre vor. Eine Medaille, egal welcher Farbe, stellt jene Selbstbestätigung dar, die sie auch durch dieses Jahr tragen kann. Immer wieder zweifeln auch die längst Etablierten an sich und brauchen ein Erfolgserlebnis. Seitz gibt zu: "Auch wenn ich's gar nicht muss, irgendwie habe ich es mir wieder bestätigt, dass ich es weiterhin drauf habe am Barren."

Turner Milan Hosseini: Kontrolle auch kopfüber: Elisabeth Seitz gewinnt in Antalya ihre fünfte EM-Medaille.

Kontrolle auch kopfüber: Elisabeth Seitz gewinnt in Antalya ihre fünfte EM-Medaille.

(Foto: Marijan Murat/dpa)

Hosseini stehen solche Alterszweifel irgendwann auch noch bevor, seine Bilanz von Antalya ist mit einer Medaille, egal welcher Art, erst mal überragend. Gelungen war dies auch, weil er nach den ersten beiden Akrobatik-Reihen nicht nachließ. Dann schien sich die Anspannung von gestandener Landung zu gestandener Landung zu lösen. Schon jetzt ist dieses Bodenprogramm vollgepackt, weshalb - so ist es halt - die Erziehung des Turners weitergehen muss, kaum dass er das Siegertreppchen verlassen hat.

Chefcoach Belenki hatte da noch ein paar Anmerkungen. Im Sender SWR sagte er: "Milans Übung war nicht perfekt." Schließlich habe er öfter die Beine nicht schulmäßig geschlossen, und den Doppel-Doppel zu Anfang, mahnte Belenki, den wollte er sauber stehen wie im Eimer - es hatte ihn aber die Wucht der Energie nach vorne geschoben, "was ihn drei oder vier Zehntel kostete". Schließlich, von den Drehungen mit beiden Händen am Boden, den "Russen-Wendeschwüngen", habe er einen weggelassen.

So ist es mit den Turnschülern: Sie sind nicht perfekt, auch wenn sie schon in einer EM antreten. Belenki weiß das, weshalb er die Kritik an seinem Medaillengewinner mit den Worten schloss: "Ich freue mich riesig für ihn."

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