Turnen: EM in Berlin:Phillip Boy beerbt Hambüchen

Durch eine beispiellose Aufholjagd gewinnt der deutsche Turner in Berlin die Europameisterschaft im Mehrkampf und ist damit Nachfolger von Fabian Hambüchen. Marcel Nguyen verpasst eine Medaille.

Philipp Boy ballte immer wieder die Siegerfaust, umarmte seine Teamgefährten und ließ sich auf der Euphoriewelle treiben: Der 23-jährige Cottbuser ist am Freitag in die Fußstapfen von Fabian Hambüchen getreten, der vor zwei Jahren in Mailand den bislang einzigen deutschen Mehrkampf-Titel in der Geschichte von Turn-Europameisterschaften erobert hatte und wegen Verletzung in Berlin als ARD-Ko-Kommentator dabei ist.

Turn-EM 2011

Philipp Boy.

(Foto: dapd)

Dabei steigerte sich Boy mit einer großartigen Aufholjagd in eine Top-Form und zog mit 88,825 Punkten erst an den beiden letzten Geräten an allen Mitfavoriten vorbei. Marcel Nguyen lächelte hingegen etwas gequält. Als Sechster verpasste er das Siegerpodest (87,550), nachdem er 20 Stunden zuvor noch Zweiter der Qualifikation gewesen war.

Silber ging in der Wimpernschlag-Entscheidung an den Rumänen Flavius Koczi (88,875) vor den beiden punktgleichen Dritten Daniel Purvis (Großbritannien) und Mykola Kuksenkow (Ukraine/beide 88,350). "Ein Traum ist wahr geworden. Ich habe noch nie so einen spannenden und krassen Wettkampf erlebt. Wahnsinn", meinte Philipp Boy euphorisch. "Ich habe so viele Fehler gemacht, aber ich habe mich durchgekämpft und bin für meinen Kampf mit dem Titel belohnt worden", sagte der 23-jährige Sportsoldat.

Für den Lausitzer "Sonnyboy" hatte der Wettkampf mit einer Ernüchterung begonnen. Am Pauschenpferd fehlte ihm die Kraft, um die geplanten Russenwendeschwünge anzubieten. Auch wurde er wegen des Nachdrückens vor dem Abgang hart bestraft. Konsequenz: Nur Platz 20. Noch härter traf es Mitfavorit Maxim Dewjatowski aus Russland. Der Europameister musste sogar unfreiwillig vom Gerät.

Danach setzte Boy zur Aufholjagd an und schob sich mit einer starken Ringe-Übung (14,625) auf Platz 12. Nach einem Super-Sprung (15,95) war er Siebter. Am Barren musste er einmal aufsitzen (14,20), damit galt am Reck schon das "Alles oder Nichts": Doch so sauber wie am Vortag brachte er seine auf Sicherheit geturnte Übung nicht durch und hatte vor dem abschließenden Boden noch 0,6 Punkte Rückstand auf den Rumänen Flavius Koczi. Dank großer Nervenstärke gelang es Boy, diesen Rückstand aufzuholen (15,15) und den Rumänen noch zu übertrumpfen.

"Ich wollte nicht der Favorit sein. Aber jetzt habe ich gespürt, wie geil dieses Gefühl ist. Unbeschreiblich", brüllte er ins TV-Mikrofon, um die begeisterten Zuschauer zu übertonen. Marcel Nguyen ging sein zweites internationales Mehrkampf-Finale nach der WM 2009 voller Leichtigkeit an, ließ sich von der kochenden Atmosphäre inspirieren und bot wie schon am Vortag an den ersten drei Geräten stabile Leistungen. Vor allem am Barren unterstrich der Bayer seinen Medaillenhunger für das Finale am Sonntag (15,325). Am Reck schlug dann aber für ihn die "schwarze Sekunde": Er stürzte bei der Kombination nach Adler halbe Drehung und Kovac-Salto und musste Einbußen von rund 1,5 Punkten hinnehmen.

"Wenn er jetzt konzentriert bleibt, ist noch nichts verloren", äußerte dennoch Ex-Turner und ZDF-Experte Ronny Ziesmer. Am Boden gelang dies Nguyen, am Pauschenpferd aber konnte er seine Schwächen nicht verbergen und fiel noch aus den Medaillenrängen.

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