Süddeutsche Zeitung

Turnen:Die Fünf ist okay

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Stufenbarren-Spezialistin Elisabeth Seitz hat eine Medaille im Finale von Tokio knapp verpasst. Anders als früher kann sie das heute wegstecken

Von Volker Kreisl

Elisabeth Seitz hat schon genug erlebt rund um ihren Sport. Sie hat Topfavoritinnen stürzen gesehen, und ist selber schon oft gestrauchelt, weil sie sich einen Sekundenbruchteil zu spät oder zu früh von der Stange gelöst hat und bei der Landung einen Schritt machen musste. Außerdem hat sie den Stufenbarren schon Hunderte Male kurz vor dem Wettkampf präpariert, die Holme eingerieben und die Matte gesäubert. Diesmal also beschloss sie, möglichst lange in der Umkleide zu bleiben und erst kurz vor ihrem Einsatz ins Rampenlicht zu treten. Die Arbeit übernahmen Trainer und Kolleginnen. Sie war ja als Letzte von acht Turnerinnen an der Reihe.

Und deshalb hat sich Seitz, 27, auch nicht geärgert am Sonntagabend, am Ende des ersten von drei Geräte-Finaltagen der Turner in Tokio. Früher kam das öfter mal vor, Turnerinnen müssen damit leben, dass sie wegen eines unscheinbaren Fehlers Medaillen verpassen. Seitz kann das mittlerweile hinnehmen. Fünfte ist sie geworden beim Sieg der Belgierin Nina Derwael und vor der Russin Anastasiia Iliankowa und Sunisa Lee (USA), und das war okay. "Ich wusste bei meiner Drehung und beim Abgang, dass es höchstwahrscheinlich nicht für eine Medaille reicht", sagte Seitz und lächelte.

Seitz verpasste, wie ihre Konkurrenz gepatzt und sich die Tür zu einer Medaille weit geöffnet hatte

Die Milde sich selber gegenüber hatte viel mit ihrer Reife als Hochleistungssportlerin zu tun, andererseits auch damit, dass sie sich vom Zentrum der Aufregung zunächst ferngehalten hatte. Seitz wollte bewusst nichts zum Wettkampfverlauf wissen, sie kam gerade herein, als die Chinesin Fan Yilin nach dem Abgang nach hinten gefallen war. Aber sie hatte verpasst, wie schon Mitfavoritin und Mehrkampfsiegerin Sunisa Lee eine schlechtere Übung als bislang gezeigt hatte, wie auch die beiden Russinnen Nerven zeigten, kurz, wie sich die Tür zu einer Medaille geöffnet hatte.

Patzer ereigneten sich schon den ganzen Nachmittag über. Es ging los am Boden, wo der Goldfavorit Nikita Nagorni wegen eines schweren Fehlers nur Vorletzter wurde. Am Sprung unterlief der US-Amerikanerin Jade Carey dann ein Fehler, der zunächst an Simone Biles' Aussetzer erinnerte. Auch Carey hatte den Sprung abgebrochen, hatte fragend geschaut, letztlich aber den Wettkampf mit dem zweiten Satz gut zu Ende gebracht. Am Pauschenpferd wiederum legte der Brite Max Whitlock, Olympiasieger von Rio 2016, als Starter eine dermaßen starke Übung vor, dass er sich danach eigentlich entspannen konnte. Ein Teil der restlichen Konkurrenz, das war klar, hatte zu billige Übungen, andere verhedderten sich in den Drehungen und stiegen ab, und dem Einzigen, der ihm nahekam, Lee Chih Kai aus Taiwan, fehlten knapp zwei Zehntel, wie kurz darauf am Stufenbarren Elisabeth Seitz.

Anders als die übrigen knapp geschlagenen oder bitter gefallenen Turner an diesem Abend lachte Seitz lange und breit nach ihrem letzten Element bei diesen Spielen, herzte ihre Mitturnerinnen und freute sich über Platz fünf nach mangels Herausforderungen trostlosen Jahr 2020, in dem sie auch ans Aufhören dachte. Kurz darauf blickte sie schon auf die kommenden, wichtigen Pläne: "Urlaub machen", und danach, wie all die Jahre: "Zurück in die Trainingshalle."

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