Turnen:Der Schwung des Delfins

November 2 2018 Elisabeth Seitz of  Germany during Uneven Bars for Women at the Aspire Dome in

Den Holm fest im Griff: Elisabeth Seitz bei ihrer Finalübung von Doha.

(Foto: imago/ZUMA Press)

Elisabeth Seitz war bekannt für ihren Kampfgeist. WM-Bronze am Stufenbarren hat sie nun mit scheinbarer Leichtigkeit gewonnen - und könnte für die schwere Olympia-Qualifikation des Teams eine wichtige Rolle spielen.

Von Volker Kreisl, Doha/München

Von den vier Turngeräten der Frauen mag Elisabeth Seitz den Stufenbarren am meisten. Das ist seit acht Jahren bekannt, seit sie auf höchstem Niveau turnt, genauso wie der Grund dafür. Der Stufenbarren verlangt Kraft, manchmal Schmerzen und dazu Durchhaltevermögen - und von denen, die eine WM-Medaille gewinnen wollen, die Fähigkeit, in einem Zug durchzuturnen, also ohne mit Riesenfelgen immer wieder neuen Schwung zu holen. Der Stufenbarren ist ein Kampfgerät, und Seitz hatte sich einst selbst als "Kampfsau" charakterisiert. Der Barren und die Seitz passen also zusammen, und nun ist auch eine große Medaille draus geworden.

Ihre Bronzemedaille bei den Weltmeisterschaften in Doha hat Seitz gefeiert, als wäre es Gold. Sie hat die Plakette betrachtet, als wäre sie ihre erste - und dann über den Glanz "dieses kleinen Dings" gestaunt, als wäre dies keine Sportmedaille, sondern das neueste Schmuckstück einer Märchenprinzessin, an die eine strahlende Turnerin in ihrem glitzernden Strass-Anzug ja durchaus erinnert. Aber das war nur ein kurzer Moment, Seitz ist alles Mögliche, aber keine Prinzessin.

Das, was die 25 Jahre alte, in Heidelberg geborene und heute in Stuttgart turnende Seitz wirklich darstellt, könnte in den kommenden zwei Jahren noch wichtig werden für den Deutschen Turnerbund. Der braucht bei den Olympischen Spielen 2020 in Tokio mangels einer starken Männermannschaft eine schlagkräftige Frauenriege. Die wird nach der Erholungsphase Anfang kommenden Jahres die Qualifikation für Tokio angehen, und dafür braucht sie in ihren Reihen eine positiv denkende und trotz Rückschlägen bis heute humorfähige Turnerin. Also eine Mitreißerin wie Seitz.

Die Sorgen ihrer jungen Teamkolleginnen kennt sie bestens aus eigener Erfahrung

Wie schwer dieser Sport planbar ist, das wurde nun just zur Halbzeit zwischen Olympia in Rio und Tokio erkennbar. Noch vor einem Jahr war die Riege der Bundestrainerin Ulla Koch mit Talenten an allen Geräten gesegnet, vielseitigen Teenagern, die alle ihre Spezialgeräte haben. Sogar der Schwebebalken - das deutsche Angstgerät - schien besiegt zu sein, nachdem Pauline Schäfer und Tabea Alt darauf vor einem Jahr WM-Gold und WM-Bronze geholt hatten. Doch bei diesem Aufstieg sind Kochs Turn-Talente vorerst gebremst worden. Die vergangenen Monate zeigten mal wieder, wie kompliziert im Turnen Verletzungspausen sein können, oder auch nur normale Umbrüche, die mit dem Erwachsenwerden zu tun haben.

Die Ludwigsburgerin Tabea Alt, 18, die im vorigen Winter noch in der Wachstumsphase steckte, überkamen plötzlich rätselhafte Rücken- und Schulterschmerzen, die bis heute anhalten. Dahinter steckten zum Teil Ödeme, gegen die nur Ruhe half. Heute, sagt Koch, sei die eine Schulter wieder fit, "die andere kriegt Tabea auch unter Kontrolle"; Weltmeisterin Schäfer, 21, wiederum erwischte kein Belastungsschmerz, sondern das Bedürfnis nach mehr Selbstbestimmung. Sie löste sich in diesem Sommer aus dem System ihrer Erfolgstrainerin Gabriele Frehse, was wie jede Trennung irgendwann befreiend wirkt, aber zunächst belastend.

Sophie Scheder, 21 Jahre alt und Olympiadritte 2016 am Stufenbarren, ereilte im Sommer eine eher alltägliche Malaise. Erst blieb sie mit dem Finger am Holm hängen, weshalb sie die Hand schonen musste, woraufhin Scheder aber mit großem Ehrgeiz (unter anderem zusammen mit dickschenkeligen Eisschnellläuferinnen) Beintraining absolvierte, weshalb sie derart starke Muskelschmerzen bekam, dass sie zwar die Hand wieder einsetzen konnte, aber die Beine schonen musste.

So oder so ähnlich hat das Elisabeth Seitz auch schon erlebt. Sie kennt die Wachstumsschmerzen im Teenager-Alter, die Schwierigkeit, sich motivieren zu müssen, aber dabei auch ja nicht zu übersteuern. Auch Seitz hat sich von ihrer ersten Trainerin Claudia Schunk in Heidelberg irgendwann getrennt, so wie junge Zwanziger ja auch irgendwann zu Hause ausziehen. Und sie hat viele Sportverletzungen erlitten, bekannte wie Sehnenrisse, und bizarre wie freie Gelenkkörper im Fuß. Nur der Stuttgarterin Kim Bui, 29, die seit Jahren eine verlässliche Mehrkämpferin ist, kann Seitz an Erfahrung nichts vormachen. Alle anderen haben in ihr nun eine Ansprechpartnerin und auch ein recht lebendiges Beispiel dafür, dass sich die Mühe eben doch lohnt.

"Elli macht aus schwierigen Situationen immer das beste", sagt Koch, sie könne sich von Schwierigkeiten motivieren lassen und Widerstände überwinden. So war das bisher immer, vielleicht hat Seitz aber nun die nächste Stufe erklommen. Denn von Schwierigkeiten war plötzlich nichts mehr zu spüren, als Seitz in Doha im Finale über, unter und zwischen den Holmen hin und her flog, als sie sich in der Luft überschlug, dann spielerisch wie ein Delfin zum unteren Holm tauchte, sich zum oberen zurückschraubte und endlich, immer noch voll im Schwung, mit zwei ganzen Drehungen und Salti zurück auf den Boden kam. So leicht kann Kampfgeist aussehen.

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