Süddeutsche Zeitung

Turnen:Der reiche Mann und seine Töchter

Der Unternehmer Andreas Greither hat seinen Kindern eine Trainingshalle gebaut und dem TSV Tittmoning zu einem märchenhaften Aufstieg verholfen. Das Engagement macht Bayern unverhofft zu einem wichtigen Standort im Frauen-Turnen.

Von Thomas Gröbner

Wer über das Kopfsteinpflaster von Tittmoning rumpelt, hinein beim einen Stadttor und dann 250 Meter weiter wieder hinaus durchs andere Stadttor, der geht davon aus, dass Tittmoning das Zentrum von Garnichts ist, im besten Fall vielleicht noch von sich selbst.

Und doch hat sich das 6000-Seelen-Städtchen an der Salzach einen Namen gemacht in Turn-Deutschland, seit Andreas Greither und seine Frau Marianne den Töchtern eine Trainingshalle gebaut haben, gleich neben der Pharmafabrik, die sie inzwischen verkauft haben. Aus der Liebe zu den Kindern und dem Ehrgeiz der Eltern ist eine Mannschaft entstanden, die um die deutsche Meisterschaft der Frauen turnen kann - und die Bayern zurück auf die Landkarte dieser Sportart gebracht hat.

Wer den Turnverein in Tittmoning besucht, der sitzt bei Marianne Greither im Gewölbe des Benedikt-Palais. Dicke Wände tragen die alten Bögen, auf dem Stepper schwitzen Senioren im Fitnessstudio, das im Gemäuer untergebracht ist. Dass der Kunstturnverein Tittmoning ausgerechnet hier residiert, ist ein feiner Witz, schließlich haben die unterdurchschnittlichen Leistungen im Turnunterricht das Zeugnis des jungen Joseph Ratzinger verschandelt, der als kleiner Bub hier gelebt hat. Der Turnunterricht war eine Folter, hat sich Ratzinger einmal erinnert.

Marianne Greither hat Fotos ausgebreitet von ihren drei Kindern, die sie erst zum Ballett und dann zum Tennis brachte: "Sie haben alles getroffen, nur nicht den Ball." Erst beim Turnen seien sie dann "Feuer und Flamme" gewesen, sie trainierten im 25 Kilometer entfernten Traunreut. "Gott sei Dank hab' ich drei Mädchen bekommen, ich musste nicht zum Fußball", sagt Greither, die selbst nie geturnt hatte. Aber in Traunreut kamen die Mädchen an ihre Grenzen, sie wurden zu gut, sie wollten Dinge turnen, die schmerzhaft enden können, "Doppelsalto und so Sachen", sagt Greither. "Also haben wir die Halle gebaut, sonst wären wir nicht weitergekommen." Mit einer Schnitzelgrube zum Beispiel - weil man seinen Kindern ja ihre Wünsche erfüllen will, wenn man sie erfüllen kann.

Nur eine Tribüne fehlt: "Damals konnten wir uns nicht vorstellen, was daraus werden würde."

Und die Greithers, sie konnten. Seit 2007 steht deshalb in Tittmoning eine private Trainingshalle, 700 Quadratmeter lichtgeflutete Trainingsfläche, Deutschlands erste private Kunstturnhalle, so wurde sie gepriesen. Ungefähr eine Million Euro hat die Halle mit den Geräten gekostet. Gerade wurde ein neuer Boden verlegt, der den Olympia-Standards entspricht. Das lockt viele Mannschaften an, die sich hier den Feinschliff holen. "Es kommen Vereine, die wussten nicht einmal, wo Bayern ist", sagt Greither, die stolz in der Halle herumführt. An der Decke hängen Flaggen der Gäste; Spanien, Frankreich, Italien, die USA, Venezuela. Nur einen kleinen Fehler hat die Halle: die fehlende Tribüne. "Wir haben die Zuschauerränge vergessen", sagt Greither. Für Liga-Wettkämpfe müssen sie auf andere Hallen ausweichen. "Aber damals konnten wir uns nicht vorstellen, was daraus werden würde."

Es begann mit einem Hilferuf, die DJK Heufeld aus der Nähe von Rosenheim kämpfte um die Relegation für die neu geschaffene dritte Liga. Tittmoning half aus, zwei Greither-Töchter turnten, und sie vermittelten auch Cintia Rodriguez vom spanischen Club Xelska aus Palma de Mallorca. Im Gegenzug übernahm Tittmoning den Heufelder Startplatz in Liga drei. Und da meldete sich der Ehrgeiz von Vater Andreas Greither: "Ich will in die Bundesliga", verlangte er. "Ja, mein Mann, der ist halt ein Visionär", sagt Marianne Greither.

Der Aufstieg kam dann per Mail, schneller als gedacht. Der TSV Großburgwedel musste seine Bundesliga-Lizenz abgeben, und da der TSV im Vorjahr den Aufstieg in der Relegation verpasst hatte, war Tittmoning der erste Kandidat für den frei gewordenen Platz. Innerhalb von zwei Jahren war diese Mannschaft, die es vorher nicht gab, in die Bundesliga eingezogen. 2017 stellte Tittmoning in den ersten drei Ligen drei Mannschaften - eine solche Leistungsdichte findet sich in Deutschland kaum.

Es wuselt im "GYM Tittmoning", der Name hängt in großen Lettern an der Wand. Und weil der Buchstabe Y aussieht wie die elegante Streckung einer Turnerin, ist die Silhouette der jüngsten Tochter eingeschlossen. Die ist längst hinausgewachsen aus dem Gym. Mit 1,89 Metern, "da kommt man unter dem Stufenbarren nicht mehr durch", sagt die Mutter. Zwei der Töchter turnen, aber nicht mehr in Tittmoning. "Das Training war also nicht umsonst", sagt Marianne Greither. Ihr Leitspruch ist sowieso: "Wir nehmen alle. Egal wie viel Talent - Hauptsache die Mädchen bewegen sich." Turnen, das sei eine Lebensschule, findet Andreas Greither, um turnende Mädchen müsse man sich nicht sorgen. Die Turnhalle sei "der beste Kindergarten, den man sich vorstellen kann".

Und weil die Greithers selbst keine Turner sind, haben sie die Cheftrainerin Natalie Pitzka damals gleich aus Traunreut mitgenommen. Sie brachte das Wissen und das Auge für Talente nach Tittmoning. 1991 war sie Deutsche Meisterin am Boden und am Schwebebalken, sie gehörte zum Olympiakader von Atlanta 1996, ehe sie mit 20 Jahren ihre Karriere beendete. Heute ist sie beim Bayerischen Turnverband auch für das Geräteturnen zuständig, das bei den Frauen lange brach lag. "Es wurde wenig gemacht, es gab keine Strukturen", sagt Pitzka. Vor dem Engagement der Greithers in Tittmoning sei Bayern "ein blinder Fleck" im deutschen Frauen-Turnen gewesen.

Weltmeisterin Pauline Schäfer sagt ab, sie startet lieber für den MTV Stuttgart

Mittlerweile ist auch der Unterbau gestärkt - was die Zahl der Aktiven angehe, sei Bayern hinter dem schwäbischen Turnbund inzwischen die Nummer zwei in Deutschland, sagt Pitzka. Das soll auch bald die Bundesliga-Mannschaft von Tittmoning stärken: "Aus tausend Mädchen kommen vielleicht vier Leistungsturner. Wir wollen drei bis vier aus hundert schaffen. Aber es braucht Geduld."

Als sie in Tittmoning vor eineinhalb Jahren die Verpflichtungen von Olympia-Medaillengewinnerin Sophie Scheder und der Weltmeisterin am Schwebebalken, Pauline Schäfer, verkündeten, hörte sich das nach einer Kampfansage an. "Ungefähr so, als würde Thomas Müller zum SV Wacker Burghausen oder SV Kirchanschöring wechseln", übersetzte die Lokalzeitung die Meldung für die Leser im Südosten Bayerns, wo in jedem Dorf ein Fußballfeld gemäht wird, aber die Reckstangen rosten.

Die schlechte Nachricht kommt gerade jetzt aufs Handy von Natalie Pitzka, trotz der dicken Wände im Benedikt-Palais. Schäfer hat Tittmoning für die Bundesliga abgesagt, "ihre Terminplanung sieht anders aus", sagt Pitzka. Schäfer, die wegen Verletzungen und der WM-Vorbereitung nie für Tittmoning startete, hat sich nun für Stuttgart entschieden, sie rechnet sich dort mehr aus: "Ich war noch nie deutsche Mannschaftsmeisterin. Die Chancen stehen gut, dass ich mit Stuttgart meine Titelsammlung erhöhen kann", lässt sie vom MTV Stuttgart verbreiten.

Dabei steht Tittmoning in der Tabelle glänzend da, auf Rang zwei hinter der Übermannschaft Stuttgart. Trotzdem: Die Meisterschaft haben sie in Tittmoning schon aufgegeben. "Stuttgart kann man nicht schlagen", sagt Pitzka.

Dabei haben sie in Tittmoning sonst viel Fantasie für Turnmärchen. Einmal haben sie in einer großen Aufführung den Froschkönig "turnerisch umgesetzt", erzählt Greither. Mit aufwendigen Kostümen, einem großen Bühnenbild und allem Drum und Dran erzählten sie dem Publikum die Geschichte vom Frosch und der Prinzessin. Und als der Frosch am Ende an die Wand geknallt wurde, da sprang die leibhaftige Turn-Nationalmannschaft aus den Kulissen; Marcel Nguyen und die anderen, die sich auf Olympia in London 2012 vorbereitete, waren zu Gast. Man muss eben Werbung mit allen Mitteln machen für den Turnsport.

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Quelle:
SZ vom 03.11.2019
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