Turnen:"Ist schon belastend": Deutsches Frauen-Turnen in der Klemme

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Deutsche Turn-Hoffnung und EM-Debütantin: Emma Malewski. Foto: Georgios Kefalas/KEYSTONE/dpa (Foto: dpa)

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Basel (dpa) - Corona-Einschränkungen, ein ausgekugelter Zeh und vor allem keine Trainerin: Emma Malewski hat mit ebenso viel Courage und Leidenschaft bei ihrem EM-Debüt in Basel geturnt wie sie sich durch die komplizierte Vorbereitung gekämpft hat.

"Ich bin froh, dass ich es geschafft habe", sagte die talentierte 16-Jährige aus Chemnitz. Mit 49,266 Punkten verfehlte sie zwar als 40. das Mehrkampf-Finale, in dem ihre routinierten Teamkolleginnen Elisabeth Seitz und Kim Bui turnten, heimste aber dennoch Lob ein. "Sie hat das sehr gut gemeistert", sagte Cheftrainerin Ulla Koch.

Die erfahrene Sportlehrerin und die junge Sportlerin eint nicht nur die Freude über einen gelungenen Wettkampf, sondern auch ein Dilemma: Sie müssen mit den Vorwürfen von Schikane, unerlaubter Medikamentenvergabe und psychischem Druck klarkommen, die ehemalige Schützlinge gegen Maleswskis Trainerin Gabriele Frehse erhoben haben. Die Vorbereitung auf das Basler Championat hat das schwer gestört. "Es ist schon belastend auf der einen Seite. Aber ich gehe da stark raus und versuche, das Beste draus zu machen. Und ich denke, das ist mir auch gelungen", sagte die zweimalige deutsche Jugend-Meisterin.

Neben den sportlichen Auswirkungen sieht sich das deutsche Frauen-Turnen auch mit einem weitreichenden, bislang nicht gekannten Vertrauensverlust konfrontiert. "Die Trainer belastet die Situation sehr, weil so ein Generalverdacht ausgesprochen wird", sagte Ulla Koch. Sie finde das ganz schlimm, weil man sehr gute Trainer im Team habe und sie sehr viele Trainer kenne, die einen guten Job machten. Die Verallgemeinerungen und Pauschalisierungen würden alle hart treffen.

Die Situation ist vertrackt. Gabriele Frehse ist wegen der Vorwürfe, die von der ehemaligen Schwebebalken-Weltmeisterin Pauline Schäfer öffentlich gemacht und insgesamt rund einem Dutzend Athletinnen gestützt wurden, durch ihren Arbeitgeber Olympiastützpunkt Sachsen bis zur Aufklärung suspendiert. Der Deutsche Turner-Bund (DTB) steckt in einer Zwickmühle: Einerseits kann er es sich nicht leisten, seine Talente- und Medaillenschmiede Chemnitz in Bausch und Bogen zu verdammen. Andererseits will er Handlungsfähigkeit zeigen und sich tatkräftig gegen jede Form von Gewalt und Missbrauch engagieren.

Der DTB hat daher eilig von einer Frankfurter Anwaltskanzlei einen Untersuchungsbericht erstellen lassen, in dem die Vorwürfe gegen die Chemnitzer Trainerin detailliert untermauert werden. "Die Untersuchung hat aus Sicht des DTB schwerwiegende Pflichtverletzungen im Bundesstützpunkt bestätigt", schrieb der Verband in einer Stellungnahme und forderte darin die Entlassung der Trainerin.

Der Bericht hat die Lage jedoch nicht entschärft, sondern die Fronten verhärtet. Eine tiefenporige und bundesweite statt allein auf Chemnitz fokussierte Aufarbeitung steht bislang aus. Nach Auffassung der Trainingswissenschaftlerin Petra Nissinen ist die verbandsinterne Aufarbeitung zu einseitig, für Gegenstimmen gebe es kein Gehör, sagte sie der in Dresden erscheinenden "Sächsischen Zeitung". DTB-Präsident Alfons Hölzl habe selbst gesagt, dass es sich bei den erhobenen Vorwürfen nicht nur um ein sächsisches Problem handele.

Weil Gabriele Frehse den Bericht aufgrund datenschutzrechtlicher Vorgaben nur weitgehend geschwärzt zur Einsicht bekam, klagt sie nun gegen den DTB auf vollständige Einsicht mit der Begründung, sich nicht gegen die Vorwürfe verteidigen zu können. Für Nachfragen stand die Trainerin nicht zur Verfügung. "Solange ihr nicht endlich der komplette Bericht der Kanzlei Rettenmaier vorliegt, sieht sie sich außerstande auch dazu Stellung zu nehmen bzw. irgendetwas dazu zu sagen", teilte Frank Munzer, Präsident von Frehses Heimatverein TuS Chemnitz-Altendorf, auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mit.

Die Trainerin hat die Anschuldigungen mehrfach zurückgewiesen. Mehrere Chemnitzer Kader-Turnerinnen und deren Eltern hatten eindringlich die Aufhebung der Suspendierung gefordert.

Wäre es nach Ulla Koch gegangen, hätte sie das omnipräsente Thema Chemnitz in der Vorbereitung auf Basel am liebsten von der EM-Mannschaft ferngehalten. "Da war unsere Prämisse, das auszublenden, nicht in unsere Vorbereitung reinbringen zu lassen in die Nationalmannschaft, wenn wir hier in Frankfurt sind, weil wir halt die Aufgaben haben, uns optimal vorzubereiten", sagte sie.

Doch aus eigener Erfahrung kennt die 65-Jährige die Nöte vor Ort: Sie und Nachwuchs-Bundestrainerin Claudia Schunk haben dort das Training für die zahlreichen Kaderathletinnen um Malewski und die Olympia-Dritte Sophie Scheder übernommen. Zugleich aber ließen sie den Sportlerinnen die Freiheit, sich weiter mit ihrer suspendierten Heimtrainerin Frehse auszutauschen. "Wir kappen auch keine Kontakte. Wenn die Athleten auch Gabi im Hintergrund brauchen nochmal zur Unterstützung, das ist dann ihre private Sache. Das sollen sie auch machen", sagte Ulla Koch.

Sie als Trainer wollten sich da ganz neutral verhalten und sich darauf konzentrieren, diese Athleten so stark zu machen, dass die mit der Situation umgehen könnten, ohne an ihnen zu zerren und sie auf das vorzubereiten, was sie liebten: "Nämlich turnen und sich auf Olympische Spiele vorzubereiten."

© dpa-infocom, dpa:210423-99-323065/4

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