Turn-WM in Liverpool:Lukas Dausers spezielle Beziehung zum Barren

Turn-WM in Liverpool: Künstler am Werk: Lukas Dauser, der beständigste Turner im deutschen Team und Silbergewinner von Tokio, fliegt über den Barren.

Künstler am Werk: Lukas Dauser, der beständigste Turner im deutschen Team und Silbergewinner von Tokio, fliegt über den Barren.

(Foto: M.i.S./Imago)

Mal Olympiasilber, mal Sturz: Am Barren hat Lukas Dauser große Momente, Freude wie Leid, erlebt. Nun steht er bei der WM in Liverpool wieder im Finale. Eine Medaille würde auch das deutsche Team beflügeln.

Von Volker Kreisl

Auf einmal hatte er eingefädelt, fast wie ein Skifahrer. Mit einem Bein war er an einem der beiden Holme hängengeblieben. Denn Lukas Dauser aus Unterhaching ist Sommersportler und seine Passion das Barrenturnen, was er tadellos beherrscht. Aber, wie es häufig vorkommt, wenn ein Tag wie geschaffen ist für einen Sportler, wenn die Sterne vermeintlich gut stehen und alles für einen Triumph bereitet ist, dann ist Vorsicht angesagt. Und Lukas Dauser, der Unterhachinger Barrenspezialist, der in München damals im August Heim-Europameister hätte werden können, touchierte den Holm und stand viel zu früh auf der Matte.

Dauser und der Barren, das ist eine spezielle Beziehung, es ist sein Lieblingsgerät wie es einst bei Fabian Hambüchen das Reck oder bei Bundestrainer Valeri Belenki das Pauschenpferd war. Und so wie es immer ist, wenn jemand oder etwas zum Liebling wird, dann erfährt man großes Glück, aber auch großen Ärger.

Jetzt ist es wieder so weit. Lukas Dauser, seit Längerem schon der beständigste Turner im deutschen Team, Silbergewinner am Barren bei den Olympischen Spielen in Tokio 2021, hat den Ärger von München, so sieht es aus, verarbeitet und steht nun bei der WM in Liverpool in zwei Finalkämpfen. Zunächst im Mehrkampf, bei dem er wohl keine Chancen auf eine Medaille hat, so wenig wie die nachgerückte Karina Schönmaier; und am Wochenende noch in seinem Einzelfinale. Nach Elisabeth Seitz (im Stufenbarren-Finale am Samstag) sind die beiden, Dauser und sein Barren, am Sonntagnachmittag im Gerätefinale dran, und vielleicht kommt es zur großen Versöhnung.

Wenn die Jury dem Turner in die Quere kommt

Turner sind vieles gewohnt. Sie haben eine Sportart gewählt, die sie zu großen Freuden an ihren besten Geräten bringt, die sie aber auch zu einem Mindestniveau an allen sechs Geräten zwingt, an manchen, die sicher nie ihre Freunde werden. In Erinnerung sind vom großen Reckflieger Hambüchen auch die Bilder, wie er sich über das Pauschenpferd kämpfte, mit der Maßgabe: Hauptsache oben bleiben. Aber nun ist Dauser an der Reihe, und er konzentriert sich nicht auf den Mehrkampf, sondern auf seine einzige große Medaillenchance, die an den beiden Holmen.

Bei der Sache in München, da konnte der Barren eigentlich gar nichts dafür. Am ehesten war es schon die Jury, die Dauser in die Quere kam. Das hatte damit zu tun, dass Barrenspezialisten mehr als die anderen Turner im Grunde zwei Übungen direkt nacheinander absolvieren. Zunächst die Präparation des Geräts nach aller Kunst - und danach das Kunstturnen selbst. Ohne die Gewissheit, zwei an den individuell entscheidenden Stellen gut mit Magnesia eingeriebene Holme zu haben, fehlt ihnen der entscheidende Grip; sie sind wie Skifahrer ohne Wachs. Die Münchner Jury aber schaltete aus unerklärlichen Gründen bei Dauser auf Grün, als erst gut die Hälfte der Präparationszeit abgelaufen war. So musste er sofort umschalten, die wichtigen Sekunden der Konzentration fielen weg, er war ein Turner ohne Wachsamkeit, ohne Rhythmus, oder wie er danach sagte: "Ich war nicht aktiv, ich habe passiv geturnt."

Nun also hat er die Chance, nicht nur sich selber wiederaufzubauen, sondern mal wieder seine Rolle des Leaders zu erfüllen, der das teils noch junge Team (Nils Dunkel, Pascal Brendel, Andreas Toba, Glenn Trebing) mitreißen kann. Es geht ja auch immer um die Zukunft, die weitere und die nähere. Die weitere wächst noch in den Vereinen, die nähere ist das Team, das gerade an seiner Bestform arbeitet, für den Vierjahreshöhepunkt. Olympia in Paris 2024 ist zwar noch knapp zwei Jahre entfernt, aber schon viel früher kann alles vorbei sein. Die Qualifikation dafür findet im kommenden Sommer statt, und für Paris muss das Team dann mindestens Zwölfter werden, was Coach Belenki nicht bezweifelt: "Wir waren nah dran und sind grundsätzlich auf der richtigen Spur gut unterwegs", sagte er nun. Dennoch, es kann knapp werden, und in dieser Situation sind Reckturner Toba, aber aktuell vor allem Dauser und seine Beziehung zum Barren wichtig fürs deutsche Turnen. Er kann das beisteuern, was das Team stärkt, ein positives Signal für alle, und das ist im Zweifel immer noch eine Medaille.

Ausflug an die Anfield Road

Was hat er also gemeint, bei seinem Sturz nach Einfädelung in München, als er passiv statt aktiv turnte? Das Geheimnis einer gelungenen Übung in einem Finale ist nicht nur die technische Fähigkeit, sondern auch etwas, was schwer zu lernen oder abzurufen ist. Gutes Turnen ist auch viel Befindlichkeit. Man muss sich wohlfühlen an seinem Gerät. Man muss wachsam sein, und doch nicht dem einen Salto oder der schwierigsten Passage zu viel Aufmerksamkeit schenken, sondern vermutlich alles ineinanderfließen lassen.

Dazu braucht der Medaillenkandidat Lockerheit. Und bei Lukas Dauser sah es diese Woche nicht nach Passivität aus. Am Tag nach Ende der Qualifikation verzichtete er auf Turnen und machte sich auf den Weg in die Liverpooler Stadt. Ziel waren zunächst die Anfield Road und der FC Liverpool. Es war eine Art spontaner Ausbruch. Eine gute Idee für einen, der aktiv bleiben möchte.

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