Turn-WM in Glasgow:Sorgen um den Superturner

2015 World Artistic Gymnastics Championships

Kohei Uchimura: Fast immer perfekt

(Foto: dpa)
  • Kohei Uchimura ist seit 2009 fünf Mal nacheinander Mehrkampfweltmeister geworden, dazwischen Mehrkampf-Olympiasieger, eine Serie, die vor ihm keiner schaffte.
  • Nun, bei der WM in Glasgow, will er seinen sechsten Mehrkampftitel holen, was nach ihm wohl nie mehr jemand schaffen wird.
  • Doch am Boden passiert ihm ein Malheur.

Von Volker Kreisl, Glasgow

In der Mixed-Zone von Glasgow geht es zu wie auf einem Jahrmarkt. Kohei Uchimura erscheint vor der Absperrung, und dahinter, in den internationalen TV-, Radio- und Print-Boxen, bilden sich dicke Reporterknäuel. Kohei Uchimura hat eine Jacke über den Schultern, sein Gesicht ist fast weiß im Licht der Scheinwerfer, vor ihm beginnt das Feilschen um Fragen. Nur zwei Fragen pro Box sind erlaubt, eine Kollegin ringt dem Pressemann eine dritte ab. Dann geht es los, aber gefragt wird Uchimura eh fast nur das eine: "Wie geht's dem Kopf?"

Uchimura, der 26 Jahre alte, schmale, 1,60 Meter große Japaner, ist so etwas wie die Schul-Vorlage für einen Turner. Er beherrscht alle Geräte, die Hälfte davon so gut, dass er auch gegen Spezialisten besteht. Sein Fach ist aber die Vielfalt. Uchimura ist seit 2009 fünf Mal nacheinander Mehrkampfweltmeister geworden, dazwischen Mehrkampf-Olympiasieger, eine Serie, die vor ihm keiner schaffte. Er hat sich damit gelöst von den Normalturnern, in den Mehrkampfnoten schwebt sein Name zwei, drei Punkte über dem Rest. Uchimura wird deshalb als alles Mögliche bezeichnet, unter anderem als Superman oder King Kohei.

Nun, bei der WM in Glasgow, will er seinen sechsten Mehrkampftitel holen, was nach ihm wohl nie mehr jemand schaffen wird. Doch dann dieses Malheur im Vorkampf am Boden: ein falsch berechneter Anlauf? Eine verschätzte Flugbahn? Jedenfalls landete Uchimura nach gehocktem Salto statt auf den Füßen, auf Knien und Kopf. Er turnte zu Ende und ging benommen zu seinem Stuhl.

So etwas kommt gelegentlich mal vor, bei Uchimura aber raunt das Publikum. Denn seine Fehler auf großer Bühne lassen sich an einer Hand abzählen, obwohl er seit den Olympischen Spielen in Peking 2008 schon dabei ist. Niemand turnt das Schwere auf so leichte Weise. Einmal sagte er, er sei auf der Suche nach der vollendeten Übung - nicht nach Punkten. Seine Auftritte wirken wie von einem Manga-Zeichner hingeworfen, unpassend ist höchstens das Zucken seiner Stirn, wenn er die Übung im Stand beendet hat - und ihm seine langen Haare in die Augen fallen.

Während andere mit dicken Muskeln über die Matte sprinten und nach der Akrobatik donnernd landen, schleicht sich Uchimura eher an, und man rätselt, wie er die Höhe für seine Doppelsalti gewinnt. Auch ohne dicken Bizeps gelingen ihm schwere Kraftteile an den Ringen, und auch im Element Luft fühlt er sich wohl. Uchimura landet sonst nicht wie ein Käfer auf der Matte, wie geht es also dem Kopf? "Meinem Kopf geht es gut, ich habe eher was im Nacken gespürt", sagt er und zuckt sich ein paar Haare aus den Augen.

Durch Präzision spart er sich größere Trainingsumfänge

Wichtig für das Turnen insgesamt ist er auch wegen seines Beitrags zur Wiedererkennung. Wegen der Körper-Belastungen gilt kaum einer länger als drei, vier Jahre als Siegertyp, doch an Uchimura können sich noch auf Jahre junge Mehrkämpfer abarbeiten. Hisashi Mitsutori, sein Trainer, sagt ziemlich bestimmt: "Uchimura hat den Höhepunkt seines Können noch nicht erreicht." Und Mitsutori lacht ziemlich laut auf die Frage, was Uchimura sonst so lerne für einen späteren Beruf: "Weiß ich nicht. Er wird wohl im Turnen tätig sein."

Er hat also Zeit zu üben. Zur Perfektion dieses Turners gehört aber gerade, dass er die Trainingsumfänge in Grenzen halten kann. Mitsutori sagt: "Uchimura trainiert morgens eineinhalb und nachmittags dreieinhalb Stunden." Als Jugendlicher hatte er noch enorme Umfänge absolviert, Grund für die Zurückhaltung ist nun eine Schulterverletzung aus dem Jahr 2010. Vor allem aber kann er es sich offensichtlich leisten. "Er turnt vor allem sehr präzise", sagt Mitsutori. Damit spart sich Uchimura Wiederholungen und schont den Körper.

Auch wenn alle in seinem Tross glauben, Uchimura habe seinen Zenit noch nicht erreicht, so wird es ab jetzt schwieriger. Im Mehrkampf am Freitag steht mit fast derselben Qualifikationspunktzahl Oleg Wernjajew aus der Ukraine. Und wegen des anderen großen WM-Ziels baut sich sogar Druck auf. Uchimura hat als Einzelturner alles gewonnen, mit dem Team ist er aber international immer an den Chinesen gescheitert. Er, der nach Perfektion strebt, sieht es ein bisschen als persönliche Pflicht, dass Japan den Team-Titel nach 37 Jahren wieder mal gewinnt.

Vielleicht ist er ja auch wegen seiner ständigen Suche nach Perfektion gestürzt. Schließlich beginnt jede Übung mit der Konzentration, und die war im Vorkampf von Glasgow gestört. Die Jury brauchte fast zehn Minuten, um den Turner vor ihm zu bewerten, "die Pause hat mich durcheinander gebracht", sagt Uchimura.

Oder fehlt ihm etwas vom Gegenteil der Perfektion? Fehlt ihm vielleicht die Lockerheit? Aber es war ja nur ein Vorkampf, und erst ab Mittwochabend geht es wieder um alles. Im Vorkampf würde auch Superman mal Fehler machen.

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