Turn-EM:Wackeliger Steg

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Schmale Landefläche: Pauline Schäfer wird nach einem Absteiger EM-Sechste am Schwebebalken. (Foto: John Walton/dpa)

Turnerin Pauline Schäfer verpasst bei der Europameisterschaft im polnischen Stettin im Finale am Schwebebalken knapp eine Medaille. Für das gesamte deutsche Team beginnt nun der schwere Weg zu Olympia im nächsten Jahr.

Von Volker Kreisl, Stettin/München

Pauline Schäfer zählt nicht zu den Turnerinnen, die permanent in Kameras strahlen. Sitzt sie nach ihrem Wettkampf auf dem Wartesofa, um dort ihre Wertung zu erfahren, dann wirkt sie oft in sich gekehrt, selbst wenn ihr eine hervorragende Darbietung gelungen ist. Auch am Sonntag, auf dem weißen Sofa in der Turnhalle von Stettin in Polen, blieb sie ernst, todernst und starrte vor sich hin, in Richtung Schwebebalken und darüber hinaus. Nur, diesmal gab es keinen Zweifel: Schäfer war bedient.

Ihre Form wirkte vielversprechend, die Qualifikation gelang ihr weitgehend sicher. Die beste Haltungsnote bekam sie da, und fürs Finale konnte sie die Schwierigkeit noch steigern, was insgesamt die Hoffnungen beim Deutschen Turnerbund stärkte, von dieser EM in Stettin doch noch mit einer Medaille, vielleicht mit einer Europameisterin heim zu fahren. Doch Schäfer erwischte einen schwarzen Sonntag, später sagte sie: "Ich war nervöser als sonst, alles war sehr wacklig." Irgendwann hatte sie das Gleichgewicht verloren und musste absteigen, worauf man durchgereicht wird. Vom Sofa aus sah Schäfer erst, wie sie auf Platz vier kam, und als alle acht Finalistinnen durch waren, gewann die Britin Alice Kinsella, und Schäfer war Sechste.

Somit ist die Frühjahrsreise der deutschen Turner insgesamt misslungen. Kleinere Höhepunkte wie der Mehrkampferfolg von Andreas Toba, der nach der langen Auszeit wegen der Verletzung bei den Spielen 2016 in Rio wieder zu seiner Vielseitigkeit findet, waren die Ausnahme. Die deutsche Mannschaft bestand aus Talenten und Erfahrenen, die einen sollten sich im Schatten der Gereiften in Ruhe ans Rampenlicht gewöhnen. Doch die Routiniers Marcel Nguyen und Lukas Dauser verpassten den Finaleinzug am Barren - und Schäfer, die einzige Deutsche unter 80 Finalisten in zehn Gerätefinals, war zwar dabei, fand aber nicht ihren Rhythmus.

Der Aufgang und die anschließenden Rückwärtssprünge waren noch okay, aber dann verlor sie offenbar die Sicherheit. Bei der zweifachen Pirouette überdrehte sie und hielt sich nur durch eine instinktive, akrobatische Einlage oben, für die sie eigentlich Zusatzpunkte verdient hätte, aber für Rettungsakrobatik gibt es nun mal nichts. Schäfer kämpfte, konzentrierte sich aufs nächste Element, den von ihr kreierten Seitwärtssalto, stand diesen leicht rudernd und musste dann doch beim nächsten Element kapitulieren.

Dabei war die EM in Stettin noch eine kleine Herausforderung im Vergleich zu dem, was den Deutschen wie allen anderen Verbänden in diesem Jahr bevorsteht - die Qualifikation für die Olympischen Spiele 2020 in Tokio. Im Turnen ist das keine Normen- und Quotenplatzjagd, die sich über Monate hinzieht, sondern ein einziger Tag, zu Beginn der vorolympischen WM, und die findet im Oktober in Stuttgart statt. Wie, so lautet nun die bange Frage nach null Medaillen in Stettin, will man das schaffen?

Tatsächlich bleibt diese Heim-WM vor allem fürs Männerteam eine schwere Aufgabe, dies ist aber schon länger klar und hat mit der Bilanz der aktuellen Europameisterschaft wenig zu tun. Wichtiger als EM-Medaillen, sagten die Bundestrainer Andreas Hirsch und Ulla Koch schon vor einem Monat, sei der Fahrplan in Richtung Stuttgart '19. Deshalb sitzen mangels Wiederholungen noch nicht alle Übungen mit neuen Elementen, und deshalb fehlten bei den Frauen die erfahrenen Elisabeth Seitz, Kim Bui und Sophie Scheder, die noch in Studien-Prüfungen stecken, Verletzungen auskurieren oder die wichtige Übungsroutine aufbauen, die auch Schäfer nach ihrer Fußverletzung noch abgeht.

Der verfrühte Balken-Abgang von Stettin war dennoch schmerzhaft für die Weltmeisterin von 2017. Denn die Konkurrenz war nicht allzu stark, und eine EM-Medaille hat sich Schäfer schon immer gewünscht - auch wenn es in diesem Turnjahr 2019 erst später so richtig ernst wird.

© SZ vom 15.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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