Turnerin Kim Janas:Fliegen in der Welt der Großen

Kim Janas

Turnerin Kim Janas: "Sie hat von allem etwas"

(Foto: imago sportfotodienst)

Viele Experten trauen Kim Janas zu, eines Tages so erfolgreich wie Fabian Hambüchen zu werden. Mit 15 Jahren tritt sie schon bei der EM an - und bringt die Bundestrainerin trotz aller Vorsicht zum Schwärmen.

Von Volker Kreisl

Eigentlich ist es deplatziert, eine hoffnungsvolle junge Athletin vorzustellen, aber erst einmal von ihrem Vater zu erzählen. Doch für die Turnerin Kim Janas ist das schon okay. "Ich versteh' mich super mit meinem Papa", sagt sie. Außerdem hat sie viel von ihm gelernt, zum Beispiel die Sache mit dem Atmen.

Kim Janas sagt, wenn sie vor einer Übung an der Matte steht, auf das Zeichen der Punktrichter wartet und in helle Aufregung gerät, weil ihr - wie neulich beim Weltcup in Cottbus, wo sie Zweite wurde - tausend Gedanken durch den Kopf schießen, dann denkt sie an das, was ihr Vater gesagt hat: Tief einatmen und noch tiefer ausatmen. "Einatmen, dabei eine ungerade Zahl abzählen, und das Doppelte der Zahl wieder ausatmen", sagt Janas.

"Warum eine ungerade Zahl?" "Keine Ahnung", sagt Janas, "aber es hilft! Ich komm zur Ruhe!" Janas' Vater ist Vietnamese und Großmeister in einem Sport, der mehr ist als Sport, durch den er etwa in einem Internetvideo mit einem auf den Bauch aufgesetzten Blasebalg durch Muskelkontraktion einen Luftballon zum Platzen bringen kann: Kung-Fu.

Sie formuliert fast wie eine Erwachsene

Eigentlich ist es auch deplatziert, jetzt schon ein Talent wie Kim Janas vorzustellen. So jemand sollte bei den Erwachsenen erst mal was gewonnen haben, ehe die große Aufmerksamkeit und damit entsprechende Sieg-Erwartungen über das Talent hereinbrechen. Andererseits sagt Turn-Bundestrainerin Ulla Koch: "Wir sehen das ganz entspannt, wir pushen nichts, aber wir halten auch nichts zurück." Im Falle Janas wäre das auch etwas übertrieben. Sie formuliert fast wie eine Erwachsene, tritt ab Montag bei der Turn-EM der Erwachsenen an und befindet sich gerade auf dem Weg zum Comeback nach einem Kreuzbandriss. Sie ist in der Welt der Großen angekommen, da ist es auch schon egal, dass sie vor vier Monaten erst 15 Jahre alt wurde.

Bezüglich der Europameisterschaft in Montpellier sagt Ulla Koch, man erwarte konkret noch nichts. Die Verletzung ist ausgeheilt, aber aus Vorsichtsgründen wird Janas nur an Schwebebalken und Stufenbarren antreten - dort wird das Knie weniger belastet. Der Trainerstab will ihr Zeit geben. Letztlich dreht sich in diesem Jahr alles um die WM in Glasgow. Dort wird im Oktober um die Olympia-Qualifikation für Rio 2016 gekämpft. "Janas hat viel Zeit, um zu sehen, was ihr Knie aushält", sagt Koch. So viel also zur Praxis in diesem Jahr, und nun zur Theorie.

Mit fünf Jahren turnte sie schon einen Flickflack

Turn-Experten prophezeien Janas eine theoretisch großartige Zukunft, es fällt auch mal das Wort "Jahrhunderttalent". Sportarten wie Turnen, in denen ein deutscher Verband sich dauernd mit übermächtigen Nationen messen muss, können Ausnahme-Kinder gut gebrauchen, weshalb dann schnell Superlative geraunt werden. Es geht ja um viel, um die Finanzierung von Stützpunkten, um die Fernseh-Präsenz dieses Sports, der um jede Live-Minute verhandeln muss. Die Versuchung ist also groß, davon zu träumen, dass Janas eine werden könnte wie Fabian Hambüchen, der Reck-Weltmeister 2007 und Olympiasilber-Gewinner 2012.

"Ich will mal Olympiasiegerin werden"

Es gibt aber auch Fakten, welche die Hoffnungen stützen. Janas hat nicht nur einen Kung-Fu-Papa, sondern auch eine ehemalige Leistungs-Turnerin als Mutter. "Und die Großeltern", sagt Janas, "die haben auch alle Sport gemacht." Mit fünf Jahren beherrschte sie Flickflack und freies Rad (dabei schlägt man ein Rad, verzichtet aber auf den Einsatz der Hände). Mit sechs Jahren nahm sie erstmals an einer Landesmeisterschaft in ihrer Heimat in Halle in Sachsen-Anhalt teil. Weil sie so ziemlich alles gewann, kam sie zur Landestrainerin Katrin Kaltenborn an den Stützpunkt in Halle. Janas schlug in Wettkämpfen weiterhin die Älteren, und irgendwann klang es bei ihr immer noch kühn, aber nicht mehr naiv, als sie sagte: "Ich will mal Olympiasiegerin werden."

Und so weit geht Bundestrainerin Koch dann schon, dass sie sagt, sie habe zuvor noch nie ein Talent wie Janas gesehen: "Sie hat von allem etwas, Sprungkraft, Eleganz, sie kann tanzen, und sie hat ein gutes Landeverhalten." Die Landung ist jener Abschluss der Turnübung, in dem man all die Mühen zuvor mit einem Schlag wieder zunichte machen kann.

Vor allem aber, und deshalb ist Koch wohl auch so entspannt, habe Janas "das Talent, sich selber zu schonen". Sie verfüge über die Gabe, auf ihren Körper zu hören, Belastungssymptome zu orten, "und dann hält sie sich zurück". Womöglich hängt diese Vorsicht auch mit dem Kreuzbandriss im Herbst 2013 zusammen, als ihr Knie beim Aufsprung auf den Balken kurz nach innen weggeknickt war, wodurch sie fast ein Jahr Training und eineinhalb Jahre Wettkampfzeit verlor.

Sie trainiert am Sportinternat in Stuttgart

Denn bei aller Vorsicht und aller gewissenhafter Planung ist Kim Janas' Sport eben nicht nur Atmung und Selbstverwirklichung, sondern ein ziemlich erwachsener permanenter Vergleich mit anderen. Es geht darum, Übungen stetig weiter zu vollenden, immer wieder neue Schwierigkeiten einzustudieren, ohne dabei das bereits Erlernte zu vernachlässigen. Janas trainiert seit einem Jahr in Stuttgart, zusammen mit sieben anderen Top-Turnerinnen, wo sie vom Sportinternat zu Fuß hinüber in die Halle gehen kann. Im Jahr 2016 werden die Erwartungen steigen, es steht ein Haufen Arbeit bevor. Und schon bald sollten die Übungen am Sprung und Boden verfeinert werden.

Janas sagt jedenfalls, sie könne es kaum erwarten, wieder Boden zu turnen. Da trete sie in Verbindung zum Publikum, da sei alles drin, die Sprungkraft, das Tanzen, und die Akrobatikbahnen mit den Salti und Drehungen - mit einem Satz: "Da kann ich fliegen", sagt Janas. Am besten, sie schafft es, in diesem außerordentlich erwachsenen Sport immer auch eine 15-Jährige zu bleiben.

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