Letzter der Bundesliga:Turbine sucht den Weg aus der Krise

Letzter der Bundesliga: Nur den Anschluss nicht verlieren: Anna Gerhardt steht mit dem 1. FFC Turbine Potsdam auf dem letzten Platz - mit Teams von Lizenzvereinen wie Eintracht Frankfurt mitzuhalten wird immer schwieriger.

Nur den Anschluss nicht verlieren: Anna Gerhardt steht mit dem 1. FFC Turbine Potsdam auf dem letzten Platz - mit Teams von Lizenzvereinen wie Eintracht Frankfurt mitzuhalten wird immer schwieriger.

(Foto: Gawlik/Beautiful Sports/Imago)

Potsdam droht der Abstieg aus der Bundesliga. Dahinter stecken handwerkliche Versäumnisse, aber auch die Grundsatzfrage: Kann ein reiner Frauenfußballverein heutzutage überhaupt noch bestehen?

Von Anna Dreher

Am Sonntag um 13 Uhr wollte der 1. FFC Turbine Potsdam sich eigentlich aufmachen in eine hoffnungsvolle Zukunft. Aber statt gegen den FC Bayern die Hinrunde zu beenden, musste die Partie abgesagt werden. Das Karl-Liebknecht-Stadion hat keine Rasenheizung, "der Platz ist komplett vereist", teilte der Verein mit. Der Start nach der Winterpause ist also bis auf Weiteres verschoben. Das bringt ein paar Tage zusätzliche Vorbereitungszeit, passt aber auch in die vermaledeite Lage, in der sich der Verein befindet. Turbine Potsdam kommt einfach nicht zur Ruhe.

Am Freitagnachmittag hatte der FFC eine Pressemitteilung verschickt, die überraschte und zu einem ungünstigen Zeitpunkt kam, so kurz vor dem Spiel gegen den Tabellenzweiten aus München. Sie lautete: "Sven Weigang bittet um Vertragsauflösung." Tags zuvor habe der Interimstrainer, der erst im November übernommen hatte, um die sofortige Aufhebung seines Vertrages gebeten, das Präsidium bedauere diese Entscheidung. "Wir werden nunmehr umgehend die Situation erörtern und so zeitnah wie möglich zu weiteren Schritten informieren."

Die Potsdamer Bilanz der vergangenen Monate liest sich verheerend: Rücktritt des Präsidenten und von anderen Präsidiumsmitgliedern; drei Trainer-Trennungen; 14 Abgänge, darunter jene von Leistungsträgerinnen wie Selina Cerci (1. FC Köln) und Melissa Kössler (TSG 1899 Hoffenheim), die vergangene Saison gemeinsam 23 der 52 Liga-Tore erzielten; letzter Tabellenplatz mit nur einem Punkt aus zehn Partien. In der vergangenen Spielzeit verpasste das Team die Champions-League-Qualifikation nur knapp, seit 2016/17 war es stets Vierter oder gar Dritter geworden. Doch nun droht dem so stolzen Verein, der mit zwei Champions-League-Titeln, drei DFB-Pokalsiegen und sechs Meisterschaften zu den erfolgreichsten Klubs im deutschen und europäischen Frauenfußball zählt, der Abstieg.

"Wir müssen offen reden, damit sich nichts aufstaut und am Ende eskaliert", sagt Präsident Karsten Ritter-Lang

"Vieles ist in einen Selbstlauf geraten und nicht wirklich hinterfragt worden", sagt Dr. Karsten Ritter-Lang der SZ. "Turbine war ja mit den alten Strukturen gut mit dabei, das gab einem das Gefühl, das ist schon alles richtig so." Der Orthopäde und Unfallchirurg, seit elf Jahren Vereinsmitglied, wurde am 11. November zum neuen Präsidenten gewählt. Als einziger Kandidat erhielt er 94 von 98 abgegebenen Stimmen. Seine Aufgabe könnte kaum größer sein. Um die anhaltende Krise zu beenden, muss Ritter-Lang einen nachhaltigen Wandel in quasi allen Bereichen des Vereins einleiten, von der Nachwuchsarbeit bis zur Sponsorenpflege müssen die Rahmenbedingungen professionalisiert werden.

Dafür sei eine harte Fehleranalyse nötig, die auch frühere Verantwortliche einbeziehe, um die Vergangenheit fundiert zu reflektieren, sagt Ritter-Lang. Es sei vieles richtiggemacht worden, aber es brauche inzwischen eine andere Führungskultur: "Das Präsidium sollte agieren wie eine Geschäftsführung. Man kann nicht alles wie eine Familie klären, es braucht eine klare Richtung, eine klare Aufgabenverteilung und klare Worte. Wir müssen offen reden, damit sich nichts aufstaut und am Ende eskaliert."

Letzter der Bundesliga: Seit elf Jahren Vereinsmitglied, seit November Präsident: Karsten Ritter-Lang setzt die Priorität darauf, dass das Bundesliga-Team befreit spielen und so der Abstieg verhindert werden kann.

Seit elf Jahren Vereinsmitglied, seit November Präsident: Karsten Ritter-Lang setzt die Priorität darauf, dass das Bundesliga-Team befreit spielen und so der Abstieg verhindert werden kann.

(Foto: Matthias Koch/Imago)

Wann genau die Abwärtsspirale begann, ist schwer zu sagen. Dass es Konflikte innerhalb des Vereins gibt, wurde vor allem 2021 öffentlich, als die frühere Turbine-Fußballerin Tabea Kemme bei den Vorstandswahlen kandidierte und viel verändern wollte. Der emotionale Wahlkampf zwischen der 31-Jährigen und dem seit 2015 amtierenden, erneut angetretenen Präsidenten Rolf Kutzmutz löste große Verwerfungen aus. Nicht nur wurde er zu einer Generationenfrage. Der Konflikt drehte sich vor allem darum, welcher Weg einem der wenigen reinen Frauenfußballvereine, die es noch gibt, im Konkurrenzkampf mit den finanzstarken Lizenzklubs das Überleben sichern könnte. Die Spaltung zwischen einem Weiter-so und einem Neuanfang spiegelte sich im Ergebnis wider: Kutzmutz gewann mit 110:100 Stimmen.

Nur etwa ein Jahr später trat der 75-Jährige zurück. Kutzmutz wollte nicht mittragen, dass Sofian Chahed Anfang Juni 2022 entlassen worden war. Der frühere Bundesliga-Profi hatte die Potsdamerinnen zwei Jahre lang trainiert, zum Jahreswechsel bis 2025 verlängert und mit ihnen das Pokalfinale erreicht - dennoch kam es zur Trennung, Details wurden nicht genannt. Daraufhin musste nicht nur der enorme Umbruch im Kader moderiert, sondern gleich zwei Schlüsselpositionen neu besetzt werden. Das sei der "unüberhörbare Weckruf" gewesen, sagt Ritter-Lang: "Danach musste dringend etwas passieren - an diesem Punkt sind Dinge aufgebrochen, die schon viel früher bemerkt und geklärt hätten werden können."

Dem RBB gegenüber schilderten sechs frühere Spielerinnen anonym von Problemen beispielsweise bei den Trainingsbedingungen und der Kommunikation, es habe an einer Weiterentwicklung gefehlt. Das Innovative, für das Turbine einst stand, sei verloren gegangen. Wie es so weit kommen konnte? "Das war ein schleichender Prozess, hier und da wurden vielleicht falsche Entscheidungen getroffen", sagt Jennifer Cramer der SZ, die von 2010 bis 2018 bei Turbine spielte und im Sommer 2022 zurückkehrte. "Aber es ist auch einfach so, dass es ein reiner Frauenfußballverein immer schwerer hat, bei der Entwicklung mitzuhalten. Andere haben ganz andere finanzielle Mittel." Torhüterin Vanessa Fischer, seit 2011 bei Potsdam, sieht einen Zusammenhang zwischen sportlicher und politischer Entwicklung: "Wenn ein Verein nicht mehr zur Ruhe kommt und der sportliche Erfolg ausbleibt, wenn die Infrastruktur nicht optimal ist, dann ist es natürlich auch schwieriger, Spielerinnen zu holen. Daraus entsteht einfach ein Kreislauf."

Mit dem neuen Trainer Sebastian Middeke, 39, fand das Team auch nicht zueinander, zudem hatte es mit einigen Verletzungen zu kämpfen. Auch deshalb wurde die Zusammenarbeit Ende Oktober nach einem katastrophalen Saisonstart beendet. Zur gleichen Zeit traten zwei Vorstandsmitglieder zurück, und Hertha BSC kündigte an, seine Kooperation mit Turbine zum Ende dieser Saison nicht zu verlängern, weil sich der Bundesligist im Mädchen- und Frauenfußball neu ausrichten will. Damit bricht nicht zuletzt eine finanzielle Unterstützung von einer kolportierten sechsstelligen Summe pro Jahr weg, was gerade Turbine hart trifft. Mit Sven Weigang als Interimslösung und dem neuen Präsidium sollten die Turbulenzen ab November endlich aufhören, doch der Lehrer verlor alle vier Partien, bevor er sich zurückzog.

Nun muss also innerhalb kurzer Zeit wieder ein Trainer gesucht werden, seit einer Mitgliederversammlung im Januar ist immerhin das Präsidium wieder komplett. Das Ziel ist das gleiche geblieben: Der Traditionsverein will unbedingt in der Bundesliga spielen. "Das Wichtigste wäre vor allem, dass Ruhe reinkommt und wir uns wirklich auf den Fußball konzentrieren können", sagt Vanessa Fischer. "Daran arbeiten wir intensiv, das hat absolute Priorität", versichert Ritter-Lang. "Davon hängt viel ab." Zwölf Spiele hat Turbine noch, um den drohenden Abstieg zu verhindern. Am Freitag gegen den Tabellenvorletzten Werder Bremen könnte im Karl-Liebknecht-Stadion zumindest ein Punkt drin sein. Wenn das Wetter die Potsdamerinnen lässt.

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