Süddeutsche Zeitung

Türkgücü München:Ein Punkt zum Geburtstag

Bei Türkgücü reift die Erkenntnis, dass man Teamgeist nicht kaufen kann. Interimstrainer Alper Kayabunar will den Spaß am Spiel zurückbringen - beim 2:2 gegen den FSV Zwickau gelingt es immerhin, erstmals nach einem Rückstand zu punkten.

Von Christoph Leischwitz

Sercan Sararer blickte sich um, als ob er es nicht glauben könne: Hatte er tatsächlich gerade ein Tor geschossen? Kein Abseits, kein Zurückpfeifen? Nach Rückstand ein Ausgleichstor - wann war Türkgücü das eigentlich zum letzten Mal gelungen? Dann lief der Spielmacher von Türkgücü München auf den Interimstrainer Alper Kayabunar zu und umarmte ihn. Sararer war am Sonntag 32 Jahre alt geworden, Kayabunar nahm mit diesem Tor am Montagabend gerade eine Art Geschenk zum 36. Geburtstag an - doch das war nicht der Grund für die Innigkeit. "Er ist sehr wichtig für mich, er ist ein sehr guter Freund", sagte Sararer später bei Magentasport über den jungen Coach. Der wiederum kann seiner Mannschaft in dieser misslichen Lage, in der Türkgücü gerade steckt, bestimmt eine ganze Menge mit auf den Weg geben, ganz sicher aber keine Erfahrung, denn davon besitzen die meisten Spieler mehr als der einstige Landesliga-Kicker Kayabunar.

Es ist schon ein Stück weit überraschend, dass die Stimmung so gut ist beim selbst ernannten Aufstiegskandidaten, der auf Tabellenplatz 16 der dritten Fußball-Liga steht. Spielerisch half das gegen den schon lange ungeschlagenen FSV Zwickau zumindest ein bisschen, es reichte vor bloß 388 Zuschauern im Olympiastadion aber nur zu einem 2:2-Unentschieden. Immerhin: Kayabunar merkte nach dem Spiel an, es sei das erste Mal in dieser Saison, "dass wir nach einem Rückstand noch gepunktet haben". Und Sararer, der habe ihm tatsächlich vor dem Spiel ein Tor versprochen. "Wir waren wieder aggressiv, wir hatten wieder einen klaren Plan", analysierte dieser wiederum. Das klang freilich so, als ob man all dies unter dem beurlaubten Trainer Peter Hyballa nicht gehabt habe. Aufbruchsstimmung war das zwar noch nicht, doch man scheint sich auf dem Weg dorthin zu bewegen.

Nun ist Türkgücüs Zehner in vielerlei Hinsicht gut geeignet, die Situation bei den Münchnern zu verbildlichen. In der vergangenen Saison, vor allem zu Beginn, wurde er von der gesamten Liga derart für seinen Spielwitz bewundert, dass er vermutlich nur knapp an einer Ballon d'Or-Nominierung vorbeischrammte. Diese Saison aber war er nur selten zu sehen; getroffen hatte er zum letzten Mal am zweiten Spieltag gegen 1860 München. Doch ist die Stimmung in der Mannschaft schlecht, so ist es auch Sararers Körpersprache. Zugleich ist der ehemalige türkische Nationalspieler auch ein Top-Verdiener in Liga drei, das ist kein großes Geheimnis. Und damit eben auch ein gewichtiger Teil des Türkgücü-Dilemmas: Dass die Spieler "gut bezahlt" seien, darauf verweist Geschäftsführer Max Kothny regelmäßig.

Geschäftsführer Kothny will den neuen Trainer "so spät wie möglich" verpflichten

Bei Türkgücü haben sie in den vergangenen Wochen allerdings auch gelernt, dass man sich Teamgeist nicht erkaufen kann. Aus dem Umkreis der Mannschaft ist zu hören, dass man kaum gemeinsam Zeit miteinander verbringe, nach dem Training etwa würde sich das Restaurant an der heimischen Bezirkssportanlage anbieten. Die Hire-and-fire-Praxis des Präsidenten und Investors Hasan Kivran tue ihr Übriges, um die Motivation zu drücken, sagt ein ehemaliger Spieler, von denen es ja allein seit dem Drittliga-Aufstieg im Sommer 2020 Dutzende gibt: Wenn ich gar nicht weiß, ob ich in der Winterpause noch zum Kader gehöre, wieso soll ich mich dann noch anstrengen?

"Die Jungs sollen Spaß am Spiel haben", sagt nun Kayabunar. Das sei in den Tagen nach Hyballas Beurlaubung im Training auch gelungen. Geschäftsführer Kothny erklärt auf Nachfrage, er habe das Gefühl, der Gemeinschaftssinn entwickle sich allmählich. Umgekehrt klingt er auf Nachfrage, wann denn der neue Trainer präsentiert werde, fast schon so, als handele es sich um eine lästige Pflichtaufgabe, einen zu suchen: Die DFB-Auflage besagt, dass innerhalb von 15 Werktagen ein neuer Trainer mit Uefa-Lizenz gefunden sein muss. "So spät wie möglich", antwortet Kothny also, man wolle sich Zeit lassen mit der Entscheidung. Eigentlich, ist dabei herauszuhören, würden sie am liebsten mit Kayabunar weitermachen, den die Spieler kennen. Ein Neuer müsste ja auch erst einmal wieder Vertrauen aufbauen. Jedenfalls dürfte Kayabunar am Samstag bei Viktoria Berlin noch einmal an der Seitenlinie stehen.

Kothny hatte nach eigener Aussage auch die Spieler gefragt, welchen Trainertyp sie sich nun wünschen. Der 24-Jährige will die Mannschaft in die Pflicht nehmen, aber auch auf sie zugehen. Und gibt sich durchaus selbstkritisch bezüglich der Fehler, die man als sportlich Verantwortliche gemacht habe. Die nächste Personal-Entscheidung wolle man auch so überlegt wie möglich treffen. Man wird sehen, wen Kothny dann in die Arme schließt: Am 11. Dezember, einen Tag nach dem Stichtag und dem Heimspiel gegen den 1. FC Kaiserslautern, hat er Geburtstag.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5477173
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ/lein/sewi
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.