Türkgücü München:Das Ende der Haudrauf-Mentalität

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Neue Wege: Türkgücü-Geschäftsführer Max Kothny (re.) stellte den bevorstehenden Börsengang vor. Ein Erfolg hängt auch davon ab, ob Sercan Sararer und seine Profikollegen gut Fußball spielen. (Foto: Wagner/Fotostand/imago)

"Unruhe und Chaos sind nichts für uns, das bringt gar nichts": Türkgücü-Geschäftsführer Max Kothny strebt einen Wandel der Klubpolitik an, nachdem der DFB-Pokal-Einzug endlich geschafft ist. Ob das Präsident Hasan Kivran genauso sieht?

Von Christoph Leischwitz

Wenn ein Fußballverein derart durchstartet wie Türkgücü München, gibt es viele erste Male. Doch lange nicht alle stellen sich als erfreulich heraus. Am vergangenen Sonntag zum Beispiel durfte der Klub sein erstes Drittliga-Heimspiel vor Zuschauern austragen. Ein Jahr lang hatte er darauf gewartet, fehlendes Publikum auch als einen Grund angegeben, um Spielergehälter zu kürzen. Und dann geriet das erste Heimspiel mit Fans zu einem akustischen Auswärtsspiel, der Hallesche FC brachte mehr als die Hälfte der lediglich 688 Zuschauer mit. Aber das erste Spiel im DFB-Pokal, das soll nun wirklich ein ganz besonderes erstes Mal werden.

Max Kothny, 24, steht am Donnerstagmittag neben dem Grünwalder Stadion, wo für Türkgücü am Sonntag der nächste große Termin ansteht. "Das ist unser größtes Heimspiel bisher als junger Klub, ich freue mich brutal darauf. Ich habe meinem ganzen Freundeskreis Karten gekauft", schwärmt der junge Geschäftsführer. Zu Gast wird Bundesligist Union Berlin sein (15.30 Uhr), ein Verein, der in vielem das genaue Gegenteil der Münchner ist: Es besteht eine enge Bindung zu den Fans, und bei denen wiederum eine herzliche Abneigung gegen Investoren, zu denen Hasan Kivran von Türkgücü fraglos zählt.

Er habe ja auch seine ganz spezielle Verbindung zu diesem Pokalwettbewerb, sagt Kothny. Vor elf Monaten generierte Türkgücü zum ersten Mal jene bundesweite Aufmerksamkeit, die der Klub lange anhimmelte wie das goldene Kalb. Die Aufmerksamkeit erwirkte er aber erstmal nur juristisch, mit einer einstweiligen Verfügung. Türkgücü versuchte, den FC Schweinfurt vor dem Erstrundenspiel gegen Schalke 04 aus dem Pokal zu klagen. Letztlich erfolglos, auch wenn die Verantwortlichen sich bis heute im Recht sehen.

Im Pokalstreit bezeichnete Kothny das Schiedsgericht des BFV als "Micky-Maus-Gericht"

Türkgücü war dreimal in Serie aufgestiegen, im Zuge dessen wurden Spieler verabschiedet und hinzugeholt wie Gelegenheitsarbeiter. Vor allem im ersten Profijahr hinterließ man dabei auch viel verbrannte Erde. Einige Ehemalige sagen, so ein Chaos wie bei Türkgücü hätten sie noch nie erlebt. Der ehemalige Trainer Alexander Schmidt (heute Dynamo Dresden) äußerte sich ähnlich. Sein Vorgänger Reiner Maurer (heute Co-Trainer FC Augsburg) wartet seit Dezember auf einen Arbeitsgerichtstermin, in dem er eine mündlich vereinbarte Aufstiegsprämie einfordern will.

Kothny war völlig neu in der Branche, als er vergangenes Jahr von Schlagzeile zu Schlagzeile eilte. Die von ihm angefertigte Lizenzierung zur dritten Liga warf Fragen auf, die bis heute ungeklärt sind, und im Pokalstreit bezeichnete er das Schiedsgericht des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV) als "Micky-Maus-Gericht". Und auch, wenn es gar nicht so recht zu dem großgewachsenen, selbstbewusst auftretenden Kothny passen mag: Ein bisschen geläutert wirkt er in diesen Tagen schon. Zumindest reden sie jetzt schon einmal davon, dass man nicht immer mit dem Kopf durch die Wand kann. "Die Art und Weise, wie wir uns letztes Jahr von Spielern getrennt haben, soll es dieses Jahr nicht geben", sagt er. "Unruhe und Chaos sind nichts für uns, das bringt gar nichts", bezüglich einer "Haudrauf-Mentalität" im Verein räumt er auch eigene Fehler ein. Man müsse Spieler auch einfach mal spielen lassen und nicht "nach einem Mal sagen, der hat schlecht gespielt und sowas". Das sei die grundlegendste Erfahrung des vergangenen Jahres. Türkgücü sei grundsätzlich ein Drittligist, der sich "gegen einen anderen Drittligisten und eine Weltmarke hier in der Stadt irgendwie durchkämpfen muss". Auch das hat man schon anders gehört.

So war auch die überraschende Vertragsverlängerung des wichtigsten Spielers nicht nur sportlich, sondern auch fürs künftige Image ein großer Coup. Mit dem Anwalt des ehemaligen Bundesligaprofis Sercan Sararer hatte sich Kothny schon vor dem Arbeitsgericht gestritten, der Spieler wolle unbedingt weg, hieß es. Doch wenige Tage nach dem Gerichtstermin kam die Kehrtwende in Form eines neuen Dreijahresvertrages. Sararer hat zurzeit allerdings Wadenprobleme, möglicherweise wird er gegen Union Berlin fehlen.

Doch wie hat Kothny das in so kurzer Zeit geschafft? Ganz einfach: Er hat sich richtig lange mit der Gegenseite unterhalten. Sararers Berater habe man in Nürnberg auf "zwei, drei Pils" getroffen. Diese Annäherung habe mehr bewirkt als jeder Kompromiss bezüglich Vertragsklauseln. Auch Trainer Petr Ruman scheint ins neue Konzept zu passen: Der 44-Jährige betont gerne seine Bodenständigkeit und seine Freude darüber, nun Profitrainer sein zu können.

Sieht Hasan Kivran das alles genauso? War auch er nur, als Neuling im Profifußballgeschäft, ein wenig strenger als nötig, und vielleicht auch enttäuscht, dass es nicht einfach so weiterging mit dem Durchmarsch durch die Ligen? Vom Self-made-Millionär ist bekannt, dass er Mitarbeiter beschimpfte und Trainer anwies, ein Headset zu tragen - wohl damit er, Kivran, Live-Anweisungen während des Spiels geben konnte. Die neuesten Verpflichtungen lassen zudem den Schluss zu, dass Kivran mit aller Macht aufsteigen will, bei gleichbleibender Personalpolitik: 17 Neue kamen allein in der Sommerpause, darunter höherklassige Spieler wie Mergim Mavraj (Greuther Fürth) und Albion Vrenezi (Jahn Regensburg) - Kothny sagt, die Personalplanung sei nun abgeschlossen. Der eine oder andere werde sich aber wohl dem Konkurrenzdruck beugen müssen.

Einige "Stakeholder", sagt er dann noch, müsse man bei Laune halten, "da ist viel Mediation gefragt". Aber er sei im Moment sehr zufrieden, wie es gerade laufe. Und dann ist es letztlich wie bei jedem anderen Verein: Vor allem Erfolg dürfte Ruhe bringen. Türkgücü ist in der Liga mit zwei Remis gestartet, in einer Woche geht es gegen 1860 München. Wenn das erste DFB-Pokalspiel auch gleich den ersten Sieg in diesem Wettbewerb mit sich bringen würde, noch dazu gegen einen Bundesligisten, wäre wohl erst einmal alles in Ordnung.

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