Türkgücü München:Abwesend

Türkgücü München: "Es ist eine ganz klare Verunsicherung zu spüren, wir haben sie auch im Training verspürt." - Türkgücü-Trainer Andreas Heraf.

"Es ist eine ganz klare Verunsicherung zu spüren, wir haben sie auch im Training verspürt." - Türkgücü-Trainer Andreas Heraf.

(Foto: Markus Fischer/Passion2Press/imago)

Insolvenzantrag oder doch nicht? Das große Schweigen der Türkgücü-Verantwortlichen scheint die Spieler erheblich zu belasten. Das ist der Mannschaft beim 0:1 gegen den Tabellenletzten Havelse anzumerken.

Von Christoph Leischwitz

Es gibt sie schon, dieselben Szenen wie bei anderen Vereinen, die in einer solchen endzeitlichen Stimmung gefangen sind. Bei einem Drittligisten, der am Samstag nur knapp 400 Zuschauer zu seinem Heimspiel lockte, fällt halt alles ein bisschen kleiner aus. So waren es eben nur vielleicht zehn Fans, die nach der 0:1-Niederlage gegen den Tabellenletzten TSV Havelse unten in Block Y des Olympiastadions die Spieler beschimpften, irgendetwas mit "Kreisliga" schrien oder "Außer Vollath (Torwart René Vollath, d. Red.) könnt ihr alle geh'n" sangen. Ein paar Spieler hörten sich das auch an, Ünal Tosun zum Beispiel, der dienstälteste Kicker des Klubs, der ein paar Widerworte fand und dann einem kleinen Jungen auch noch sein Trikot über den Zaun warf.

Was es bei Türkgücü allerdings gar nicht gibt: einen Verantwortlichen, der sich das anhört, was die Fans da rufen. Oder einen, der sich angesichts der Gerüchte um einen unmittelbar bevorstehenden Insolvenzantrag öffentlich zur Zukunft des Vereins äußert. Und sei es nur, um zu sagen, dass man gerade nichts sagen könne. Wirtschaftliche und sportliche Leitung wirken extrem weit entfernt voneinander - ein Zustand, der dem Vernehmen nach nicht neu ist. Von einem Zusammenrücken in ungewissen Zeiten ist aber auch nichts zu sehen. Die Frist des Deutschen Fußball-Bunds, eine millionengroße Liquiditätslücke zu füllen, ist schon vor zehn Tagen abgelaufen.

Weggänge statt der versprochenen Zugänge - "seit ein paar Tagen" sei der Richtungswechsel festzustellen, sagt Heraf

Geschäftsführer Max Kothny hatte zumindest angekündigt, nichts sagen zu wollen. Der sportliche Leiter Roman Plesche sagt sowieso nie etwas. Und Präsident Hasan Kivran, um dessen Geld es gerade geht, war auch diesmal nicht im Stadion zu sehen. Dabei scheint gerade das große Schweigen der Verantwortlichen die Spieler erheblich zu belasten. Das konnte man auch im Spiel gegen Aufsteiger Havelse sehen.

In den ersten Minuten war noch eine gewisse Verve, ein Drängen auf Torabschlüsse zu erkennen, Albion Vrenezi etwa vergab nach Zuspiel von Sercan Sararer alleinstehend vor Havelses Keeper Norman Quindt (4.), auf der Gegenseite musste Vollath im Eins-gegen-eins einen Schuss mit dem Gesicht abwehren (6.). Auch Einsatzwille war vorhanden, zum Beispiel bei Tim Rieder, der nach einem Tritt seinen rechten Schuh verlor und sich eine Minute lang mit dem Schuh in der Hand in Zweikämpfe warf. Doch spätestens nach dem 0:1-Siegtor durch Yannik Jaeschke (53.), bei dem gleich mehrere Türkgücü-Spieler zu weit von den Gegnern entfernt standen, blieb die Gegenwehr überschaubar. Dass es um den Verbleib im Profifußball geht, war den Havelse-Spielern jedenfalls in der Schlussphase viel deutlicher anzumerken.

Trainer Andreas Heraf versuchte den einen oder anderen Kniff, etwa mit einem Dreifachwechsel (71.), doch auch er fand im Nachhinein: "Es ist eine ganz klare Verunsicherung zu spüren, wir haben sie auch im Training verspürt." Der Österreicher hatte erst kurz vor Weihnachten die Mannschaft übernommen, als dritter Chefcoach der Saison. Erstens fehle dem Team seit Oktober das Erfolgserlebnis, aber "die Unsicherheit und das Unwissen ist das Schlimmste. Wenn man uns am Montag sagt, es sieht so oder so aus, dann ist es zu handeln", so Heraf, "es wäre wichtig mal zu wissen".

Durch das 0:1 ist nun auch der sportliche Klassenverbleib in Liga drei unwahrscheinlicher geworden

Offensichtlich war Heraf auch unter anderen Voraussetzungen Trainer geworden. "Als ich angetreten bin, war die Rede davon, dass ich die eine oder andere Neuverpflichtung sehen würde." Jetzt passiert das Gegenteil: keine weiteren Zugänge, dafür einige Weggänge. Heraf konnte sich am Samstag auch nicht sicher sein, dass am Montag alle zum Training erscheinen würden. Seit wann der Richtungswechsel festzustellen sei? "Seit ein paar Tagen", sagt der Trainer.

Der Antrag auf Eröffnung eines Insolvenzverfahrens wurde Ende vergangener Woche noch nicht gestellt, obwohl dies nach SZ-Informationen bereits geplant war. Ein möglicher Grund ist, dass die Geschäftsführung noch handlungsfähig bleiben möchte, um Spieler bis zum Ende der Transferperiode am Montag verabschieden zu können, weil man ganz kurzfristig noch Geld einsparen will oder muss. Ein Sinn, jetzt noch länger zu warten, erschließt sich nicht: Wieso sollte Kivran, der schon jetzt einen sicheren Punktabzug in Kauf genommen hat, Millionen nachzahlen, zumal das eigentliche Ziel, der Aufstieg in die zweite Liga, selbst im Fall des Ligaverbleibs einer weiteren, immensen Investition bedürfte? Mit dem aktuellen Kader, findet Heraf übrigens, wäre es mit diesem ursprünglichen Ziel jedenfalls "vom Gefühl her schwierig geworden".

Durch das 0:1 ist nun auch der sportliche Klassenverbleib in Liga drei unwahrscheinlicher geworden. Doch dass die Mannschaft gegen Havelse erfolglos blieb, das hat dem Vernehmen nach gar nicht mehr so viel Einfluss auf die Entscheidungen, die anstehen. Es geht nun darum, wie viel noch zu bezahlen ist - und von wem. Heraf gibt zur mäßigen Leistung an, dass es sich um junge Spieler handle, "die Familie haben, die kleine Kinder haben", und dadurch auf dem Platz "andere Dinge im Kopf". Wenn ihnen nicht gesagt wird, wie es weitergeht, kann es für das Schweigen auch einen ganz banalen Grund geben: Die Spieler sind der Vereinsführung egal.

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