Türkei-Torwart Demirel:Vor dem Anpfiff vom Publikum fertiggemacht

Türkei-Torwart Demirel: Beleidigt und ausgepfiffen: Volkan Demirel.

Beleidigt und ausgepfiffen: Volkan Demirel.

(Foto: Attila Kisbenedek/AFP)

Weil der türkische Nationaltorhüter Volkan Demirel während des Aufwärmens beleidigt und ausgepfiffen wird, verlässt er den Platz - und kurze Zeit später das Stadion. Der Fall zeigt, wie verroht die Sitten im skandalumtosten türkischen Fußball sind.

Von Tobias Schächter

Volkan Demirel zog nach dem Aufwärmen seine Handschuhe aus, verließ mit abwertenden Gesten Richtung Kurve den Platz und kurz darauf das Stadion. Im Tor der türkischen Nationalmannschaft beim 3:1-Sieg gegen Kasachstan stand am Sonntagabend Volkan Babacan statt Volkan Demirel . Ein Torwart, der nicht spielen will, weil ihn das eigene Publikum vor dem Anpfiff fertigmacht? Was sich vor und nach dem ersten Sieg der Türken in der Qualifikation zur EM 2016 abgespielt hat, zeigt, wie verroht die Sitten im skandalumtosten Fußball der Türkei sind.

Eine halbe Stunde war Demirel während des Warmmachens beleidigt und ausgepfiffen worden. Es stand zwar ein Länderspiel an, aber hier trugen Anhänger von Galatasaray Istanbul in ihrem Stadion ihre Fehde mit dem Torwart des Stadtrivalen Fenerbahce aus. Die Polarisierung im türkischen Fußball macht auch vor dem Nationalteam nicht mehr halt. Demirel gilt als besonders treuer Gefolgsmann von Aziz Yildirim, dem Präsidenten Fenerbahces.

2011 hatte Fenerbahce den Meistertitel erkauft, unter dem Manipulationsskandal leidet der Fußball am Bosporus bis heute. Yildirim ist wegen der "Bildung und Leitung einer kriminellen Bande" von der obersten Instanz zu sechs Jahren und drei Monaten Haft verurteilt worden -und dennoch wegen juristischer Winkelzüge der Politik noch immer auf freiem Fuß.

Spiele zwischen Galatasaray und Fenerbahce finden in einer vergifteten Atmosphäre statt. Im jüngsten Supercup-Finale vor dieser Saison gewann Fenerbahce im Elfmeterschießen. Demirel drehte sich nach jedem gehaltenen Elfmeter zu den Galatasaray-Fans und griff sich ins Gemächt. Nachdem der Elfmeter von Felipe Melo übers Tor flog, sprang Demirel Melo an und versuchte, diesen anzugreifen.

Später erklärte Demirel in Bezug auf Melo: "Die Stadtverwaltung sollte die unnötigen Straßenhunde vergiften, ansonsten entsteht ein nicht anzunehmender Zustand, und ich müsste die Sache übernehmen." Demirel ist nicht erst seit diesem Ausfall ein rotes Tuch für die Galatasaray-Fans. Bei einem Derby 2012 geriet er mit Gegenspieler Sabri aneinander. Einmal warf er nach einem Derby-Sieg sein Trikot in die Kurve der Fenerbahce-Anhänger und zog sich dabei eine schwere Verletzung zu.

Moralisch nicht in der Lage zu spielen

Demirel hatte Sonntagnacht noch einmal einen Auftritt. Er war von Trainer Fatih Terim in die Arena zurückbeordert worden, nachdem klar war, dass er diese laut Uefa-Reglement nicht hätte verlassen dürfen. Als er dann auf der Rückbank im Auto mit dem verletzten Nationalelfkapitän Emre Belözoglu am Steuer und einem Fenerbahce-Offiziellen auf dem Beifahrersitz das Stadion endgültig verlassen wollte, kam es zu dem, was die türkischen Zeitungen am Montag als "Schande" bezeichneten.

Kamera-Teams, Reporter und Fotografen warteten auf Demirel, das Auto musste stoppen, es kam zu einem Tumult, der in eine Schlägerei ausartete. Selbst nachdem das Auto weggefahren war, prügelten Menschen auf Journalisten ein. Einem auf den Boden liegenden Mann wurde an den Kopf getreten. Das alles ist auf einem Video und auf vielen Bildern zu sehen. Drei der Schläger wurden als Sicherheitskräfte von Fenerbahce identifiziert. Nun werden die üblichen Schuldzuweisungen ausgetauscht.

Der türkische Fußball hat aus den Verfehlungen nichts gelernt, es regiert der Hass. Ohne personelle Erneuerung und Mentalitätswechsel ist der Niedergang wohl nicht mehr aufzuhalten. Der Verband bestreitet bis heute, dass 2011 Manipulationen stattgefunden haben und hat Fenerbahce den Meistertitel damals nicht aberkannt. Die liberalen Kräfte glauben nicht mehr an eine Selbstreinigung, auch die Politik mischt sich immer wieder in die Belange des Fußballs ein. Der ewige Nationaltrainer Terim erklärte nach dem erneut blamablen Abend vor nur 20 000 Zuschauern, Demirel sei moralisch nicht in der Lage gewesen zu spielen. Er werde das Gespräch mit dem Torwart suchen - genau dieses hatte Terim jüngst Hakan Calhanoglu und Ömer Toprak verweigert.

Vor einem Jahr wurden die Bundesligaprofis von Bayer Leverkusen nach einem Spiel der Nationalelf von Mitspieler Gökhan Töre und einem Bekannten des Besiktas-Profis bedroht. Töres Bekannter soll eine Pistole dabeigehabt haben. So erzählte es Calhanoglu im deutschen Fernsehen. Terim, der ein Vermittlungsangebot von Leverkusens Sportchef Rudi Völler ohne Rückmeldung ausschlug, soll, so ist zu hören, über die Äußerungen Calhanoglus verärgert sein.

Dass Terim auf seinen besten Verteidiger (Toprak) und das Spielmachertalent (Calhanoglu) verzichtete und Töre nominierte, hat zu Kontroversen in den türkischen Medien geführt. Terim sagte über seine bizarre Personalpolitik in Bezug auf die "Pistolenaffäre" nur: "Mal sehen, ob wir einen Mittelweg finden." Ein solcher käme im türkischen Fußball freilich einem Wunder gleich.

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