Türkei:Kassieren und schweigen

Turkey superlig match between Besiktas and Osmanlispor at Vodafone Arena in Istanbul Turkey on May

Im Mai letztmals vereint: Mario Gomez (links) und Andreas Beck wurden mit Besiktas türkischer Meister.

(Foto: Seskim Photo/imago)

Noch ist Mario Gomez die Ausnahme: Obwohl die Auswirkungen der prekären Lage im Land auf den Sport längst offensichtlich sind, wechseln viele ausländische Spieler in die Süperlig.

Von Tobias Schächter, München

Andreas Beck kann in diesem Jahr Champions League spielen, und das ist für einen Fußballer wohl wichtiger als Politik. Der frühere deutsche Nationalspieler, 29, steht beim türkischen Meister Besiktas Istanbul unter Vertrag. Er will sich derzeit lieber nicht äußern zum gescheiterten Militärputsch und dem von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan verhängten Ausnahmezustand. Er wird lieber spielen, wenn Besiktas am kommenden Mittwoch im Trainingslager auf die TSG Hoffenheim trifft, seinen früheren Verein.

Dass die Maßnahmen der Regierung auch die Sportler des Landes verunsichern, ist nur logisch. Doch noch ist der Fall von Mario Gomez die Ausnahme: Der deutsche Nationalspieler, 31, erfolgreichster Torschütze und eines der prominentesten Gesichter der Süperlig, hatte in der vergangenen Woche erklärt, aufgrund "der politischen Situation" nicht mehr in die Türkei zurückkehren zu wollen. Gomez steht noch ein Jahr beim AC Florenz unter Vertrag und war für ein Jahr an Besiktas ausgeliehen. Er fand in der Türkei zu alter Stärke zurück und ist nach guten EM-Auftritten für Deutschland wieder begehrt. Spanische und englische Klubs sind an seiner Verpflichtung interessiert. Die Frage ist nun, ob Gomez' Entscheidung beispielhaft wird für die vielen ausländischen Spieler in der Süperlig.

Podolski postet bei Instagram eine türkische Flagge

Die Auswirkungen der instabilen Lage des Landes auf den Fußball, die Einflüsse von IS-Terror und dem Konflikt der Regierung mit radikalen Kurden im Osten des Landes, sind ja nicht erst seit dem gescheiterten Militärputsch groß. Der Vater von Galatasaray-Profi Umut Bulut wurde Opfer eines Autobomben-Attentats in Ankara, wegen einer Terrorwarnung musste im März das Istanbuler Stadtderby zwischen Galatasaray und Fenerbahce abgesagt werden. Schon damals gab es wegen der prekären Sicherheitslage eine Debatte um die Zukunft ausländischer Spieler. Lukas Podolski etwa sagte: "Es ist doch klar, dass ich keine Lust darauf habe, ständig in Sorge zu sein. Ich bin nicht nur Fußballprofi, sondern auch Familienvater." Einen Wechsel weg von Galatasaray schloss Podolski aber bislang aus. Während des Militärcoups vergangene Woche postete er eine türkische Flagge auf seiner Facebook-Seite. Ein Zeichen, das als Solidarität mit dem Land verstanden wurde.

Wer sich dieser Tage mit Beratern unterhält, die sich im türkischen Fußball auskennen, hört unterschiedliche Interpretationen der Situation. Keiner will seinen Namen lesen. Einer sagt, alleine das Beispiel Gomez zeige, dass immense Umwälzungen bevorstehen. Andererseits, glaubt ein anderer, bleibe die Süperlig weiter attraktiv für ältere Stars aus dem Ausland. In der Türkei habe es immer Krisen gegeben, die Stars seien trotzdem gekommen, angelockt durch viel Geld. Für die Potentaten der Großklubs ist der Gewinn der "Transfermeisterschaft" so wichtig wie der Titel am Ende der Runde.

Max Kruse zeigt wieder Interesse an einem Wechsel in die Türkei

Die Gehälter der Topstars bewegen sich zwischen drei und vier Millionen Euro netto Grundgehalt - Steuern zahlen die Vereine. Auch das zunehmend schlechte Image des Landes und des Fußballs konnte in der Vergangenheit viele auch andernorts begehrte Fußballer nicht von einem Wechsel in die Türkei abhalten. Spielmanipulationen, Gewalt in den Stadien, schlechte Zahlungsmoral der Klubs, ein deutlicher Zuschauerrückgang und Sperren für internationale Wettbewerbe durch die Uefa für Spitzenklubs aufgrund verschiedener Verfehlungen sind nicht erst seit gestern Symptome der Krise. Doch just in diesem Sommer heuerten trotzdem wieder viele Spieler in der Türkei an.

Der Slowake Martin Skrtel (vorher Liverpool) und der russische Nationalspieler Roman Neustädter (vorher Schalke) unterschrieben bei Fenerbahce. Skrtel erklärte nach dem Putschversuch schnell trotzig, er bereue seinen Wechsel nicht. Andere Profis wie Max Kruse (noch VfL Wolfsburg) oder der Brasilianer Lucas (Liverpool) brachen die Verhandlungen mit Galatasaray zunächst ab, zeigen aber nun offenbar wieder Interesse an einem Wechsel in die Türkei.

Dabei will vor allem Galatasaray auch Stars loswerden. Der Pokalsieger ist hoch verschuldet und wegen Verstößen gegen die Financial Fairplay-Regeln von der Uefa für die kommende Europapokalsaison gesperrt, der Klub befindet sich in großen Turbulenzen. Spitzenverdiener Wesley Sneijder wird vom Vorstand mit absurden Methoden zu einem Wechsel gedrängt, der Klub verdonnerte den Niederländer zu einer Strafe von 2,3 Millionen Euro wegen angeblicher Disziplinlosigkeiten. So hat der Vorstand Sneijder angeblich wegen einer gelben Karte 300 000 Euro Strafe aufgebrummt. Sneijders Berater hat rechtliche Schritte angekündigt, die Fans stehen auf der Seite des Spielers und fordern den Rücktritt des Präsidenten.

Fußballer würden ja auch nach China wechseln, argumentiert ein Berater

Schon im Winter musste der Klub Stürmer Burak für elf Millionen Euro nach China verkaufen, um Löcher zu stopfen. Die Transferoffensive der Chinesen hat auch Auswirkungen auf die Türkei, immerhin sechstgrößter TV-Markt der europäischen Ligen. China sei nicht als Demokratie bekannt, sagt ein Berater lakonisch, aber auch dorthin wechseln viele Spieler. Er bleibe dabei: Die Türkei bleibt für viele Profis interessant.

Besiktas, das mit der Champions-League-Teilnahme lockt, ist an der Verpflichtung des Franzosen Loic Remy (FC Chelsea) interessiert und verhandelt auch mit dem Schweizer Eren Derdiyok (Kasimpasaspor) als Gomez-Nachfolger. Die meisten Besiktas-Fans zeigen übrigens Verständnis für die Entscheidung des deutschen Stürmers, auch wenn sie seinen Weggang bedauern. Ganz anders sieht das im Fall des Argentiniers José Sosa aus. Der Vorstand von Besiktas verweigert dem Spielmacher die Freigabe. Begründung: Sosa nutze die politische Situation als Vorwand, um einen Wechsel zum AC Mailand voranzutreiben.

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