Thomas Tuchels Aus bei PSG:Heimflug an Heiligabend

Zum Fest ein kaltes Adieu: Thomas Tuchel kehrt nach seiner Weihnachtsentlassung als Trainer von Paris Saint-Germain nach Deutschland zurück. Sein Gegenspieler, der Sportdirektor Leonardo, hat den Schritt wohl lange geplant.

Von Oliver Meiler

Die Trennung im leeren Bauch des Prinzenparks soll kurz und schmerzlos vonstattengegangen sein. Offenbar ganz ohne Schreie und ohne Gebrüll, wie L'Équipe und andere Pariser Zeitungen sie gehört haben wollen. Thomas Tuchel hatte gerade seine Medienkonferenz beendet, er gab dabei noch seiner Hoffnung Ausdruck, dass 2021 auch für PSG besser werden würde, weil ihm viele jetzt verletzte Spieler dann endlich wieder zur Verfügung stehen.

In der Umkleide wurde unterdessen so schnell geduscht wie selten, viele Spieler hatten ein Flugzeug gebucht für wärmere Gefilde, für einen kurzen Weihnachtsheimurlaub in Südamerika, für Badeferien auf den Malediven, in Dubai. Das Spiel gegen Straßburg hatte PSG zuvor 4:0 gewonnen, diskussionslos, trocken. Aufregung war also keine zu erwarten gewesen - vor Heiligabend.

Doch als Tuchel aus dem Presseraum trat, bat ihn der brasilianische Sportdirektor Leonardo zum Gespräch. Er müsse ihm eine Entscheidung des Vereins mitteilen, sagte er. Es war die Entlassung zum Fest. Mitten in der Nacht zum 24. Dezember sollen Tuchel und sein Staff im Vereinszentrum ihre Sachen geholt haben, da hoben die ersten Maschinen schon ab in den Pariser Himmel.

Natürlich war es nur eine Frage der Zeit gewesen, die Zerrüttung schon weit fortgeschritten zwischen dem deutschen Trainer und Paris Saint-Germain, und doch waren am Ende alle überrascht vom präzisen Zeitpunkt: Tuchels Vertrag wäre im kommenden Sommer ohnehin ausgelaufen. Sechs Monate, die hätte man doch noch miteinander erdulden können. Zumal ja alle sportlichen Ziele noch in Reichweite lagen, in der Meisterschaft und vor allem in der Champions League, dank der mühselig erstrittenen Siege gegen Leipzig (1:0) und Manchester United (3:1), die einen Flop bereits in der Gruppenphase abgewendet hatten. Trotzdem erfolgte nun auch vertraglich der harte Cut: Trainer und Klub hätten sich auf eine Auflösung geeinigt, berichtete die Bild-Zeitung am Montag, womit Tuchel tatsächlich sofort eine neue Mannschaft übernehmen könnte.

Es war nichts mehr zu kitten - trotz der vielen Titel, trotz des Champions-League-Finales

Mit Leonardo war das Klima dermaßen schlecht geworden, dass man annehmen muss, die Trennung sei vom Sportchef schon lange geplant gewesen. Die Weihnachtspause bietet einige Tage für die Neusortierung, in Paris geht der Fußball erst am 6. Januar weiter. Der Stürmer Neymar, so hört man, soll derweil daheim in Brasilien eine große Party planen - fünf Tage aneinander, mit angeblich 500 Gästen, man gönnt sich ja sonst nichts in Corona-Zeiten.

Mit einem viel diskutierten Interview von Thomas Tuchel beim deutschen Sender Sport 1, ausgestrahlt am Vortag der Entlassung, hatte der Entscheid aus Katar, wo die Besitzer von PSG sitzen, womöglich gar nichts zu tun. Die Dinge, die Tuchel in dem später relativierten und von der Internetseite gelöschten Gespräch sagte, waren durchaus stichhaltig, eigentlich fast banal. Er erklärte zum Beispiel, dass seine Mannschaft noch so viel gewinnen könne, fast alles sogar, und doch nie die verdiente Anerkennung erhalte.

Da hat er recht: PSG gewann in der vergangenen Saison den Titel der Ligue 1, beide französischen Pokalwettbewerbe und den nationalen Supercup, und in der Champions League schaffte man es erstmals bis ins Finale, gegen den FC Bayern (0:1). Trotzdem habe man nie das Gefühl gehabt, sagte Tuchel, dass die Leute die Leistungen schätzten. Das stimme ihn manchmal etwas traurig und bitter. Die Erwartungen und Ansprüche bei PSG seien einfach extrem - ein fürwahr unstrittiger Punkt.

In einer anderen Passage reflektierte Tuchel die Rolle, die einem als Trainer von PSG zufalle. In den ersten sechs Monaten nach seiner Ankunft 2018 habe er sich gefragt, ob er in diesem Klub nun wirklich ein Trainer sei - oder eher ein Sportpolitiker, ein Sportminister. Nach dem Spiel gegen Straßburg sagte er auf Nachfrage, das sei "ein Witz auf Deutsch" gewesen: "Aber die Übersetzung war nicht korrekt, und die Stelle war auch nicht autorisiert."

Ein dummes Missverständnis zum Schluss? Lost in translation?

Bis zum Sonntag hatte der Verein die Vertragsauflösung noch immer nicht offiziell bekannt gegeben, was wohl der speziellen arbeitsrechtlichen Situation in Frankreich geschuldet ist. Noch nicht klar ist offenbar, wie Tuchel entschädigt wird für seine Entlassung. Französische Medien spekulieren über eine Summe zwischen fünf und sieben Millionen Euro, für ausstehende Gehaltsmonate und Prämien, Verein und Trainer suchen gerade nach einer Einigung. Tuchel aber weilt inzwischen für die Festtage in München, hier hat die Familie eine Wohnung. Schon wird darüber debattiert, wo es ihn als Nächstes hinziehen könnte, nach England etwa, oder nach Spanien, völlig gegenstandslos?

So nah wie Tuchel kam keiner dem großen Ziel - trotzdem blieb die Sache ein Missverständnis

Im Rückblick lässt sich sagen, dass das Engagement des früheren Mainz- und Dortmund-Trainers in Paris trotz offensichtlicher Erfolge, trotz vieler Titel und Trophäen und des großen Erlebnisses beim "Final 8" in Lissabon mit dem plötzlich entdeckten Kollektivsinn eines Teams aus teuren Individualisten, am Ende ein großes Missverständnis war.

Als PSG 2018 Tuchel holte, hoffte man, dass der seinem Ruf alle Ehre machen würde und - unbeeindruckt von Namen wie Neymar und Mbappé - dem Team einen tollen, modernen Fußball beibringen werde, der Paris endlich ganz an die Spitze hebt. An die einzige, die zählt: an die europäische. Seit 2011 jagen der katarische Emir und seine Emissäre dem Ziel nach, die Königsklasse zu gewinnen. Alles andere ist Beigemüse.

So nahe wie Tuchel kam dem Ziel noch kein Trainer der katarischen PSG-Ära, weder Carlo Ancelotti noch Laurent Blanc, auch Unai Emery nicht. Und doch war man nie wirklich zufrieden. Tuchel gelang es nicht, der Mannschaft eine stabile Spielidentität zu geben, sie spielte selten spektakulär.

Am Ende entschied oft die Einzelklasse der Superstars, von einem orchestrierten Ensemble spürte man nicht viel, was zuweilen, speziell in den vergangenen Monaten, an der Unpässlichkeit wichtiger Akteure lag: an Verletzungen, an Corona-Infektionen, an einer Formbaisse nach der langen Meisterschaftspause in Frankreich. Im ersten Lockdown, von März bis Juni, war nicht einmal Training möglich, sogar Fitnesseinheiten per Video waren nicht erlaubt.

Auch Tuchels Führungsqualitäten gerieten schnell in Zweifel: Die Weltprominenz in der Umkleide schwebte immer einige Sphären über ihm, so jedenfalls machte es von außen den Eindruck. Zuweilen zeigten die Spieler ihren Unmut recht unverblümt. Am Ende fand man aber einen Modus Vivendi, Tuchel machte Konzessionen: Neymar und Mbappé erhielten Vorzugsbehandlung, vor allem der Brasilianer. Von Neymar war Tuchel überzeugt, dass der in großen Spielen seine Leistung immer bringen würde.

Man weiß nicht genau, wie die Kabine Tuchels Rauswurf empfindet, aber mit den Spielern schien es am wenigsten zu holpern. Kylian Mbappé rief dem Entlassenen bei Instagram warme Worte zu: "So ist leider das Gesetz des Fußballs, aber niemand wird Ihre Zeit hier vergessen. Sie haben ein gutes Kapitel in der Geschichte des Klubs geschrieben. Ich danke Ihnen."

Richtig prekär jedoch wurde Tuchels Lage im Sommer 2019, als die Katarer Leonardo nach Paris zurückholten, wieder mal. "Leo" spielte früher für PSG, als der junge Verein noch fußballerische Provinz war - Provinz in der sonst schon provinziellen Ligue 1. Der alte und neue Sportdirektor verstand sich nie mit Tuchel, er mischte sich in taktische und personelle Fragen ein, da gerieten zwei Welten aneinander.

Alles andere als glücklich

Leonardo ist seit seiner Zeit beim AC Mailand eng mit dem Calcio verbunden: Die meisten Transfers in seinem ersten und nun auch in seinem zweiten Mandat als "Directeur sportif" tätigt er auf dem italienischen Markt. Über den jüngsten Mercato im Frühherbst war Tuchel aber alles andere als glücklich - und tat das auch öffentlich kund, was nicht eben zur Klimaverbesserung beitrug.

Nach dem verlorenen Finale in der Champions League ließ PSG einige verdiente Stützen ziehen, unter anderem Kapitän und Abwehrchef Thiago Silva, Mittelstürmer Edinson Cavani und Außenverteidiger Thomas Meunier. Tuchel fand, die Italiener Alessandro Florenzi, Moise Kean und Last-Minute-Verpflichtung Rafinha machten den Verlust qualitativ nicht wett. Es war nicht das erste Mal, das er in Paris Wunschspieler nicht bekam und Spieler, die er behalten wollte, gehen mussten - trotzdem blieben die Erwartungen an seine Arbeit stets maximal. Die zwei Rivalen trafen sich zur Aussprache, doch es gab wohl schon nichts mehr zu kitten zwischen Leonardo und Tuchel.

Seither hatte es in Medien geheißen, Tuchel werde seinen Vertrag wohl zu Ende bringen, weil man sich kein zweites Trainersalär leisten wolle in der Krise. PSG verlor zuletzt 200 Millionen Euro, vor allem wegen nicht bezahlter Fernsehgelder - ein anderer aktueller Aufreger, der gerade die ganze Liga trifft.

Dennoch handelte PSG. Nachfolger Tuchels wird vermutlich der Argentinier Mauricio Pochettino, der zuletzt Tottenham Hotspur coachte und es mit den Londonern ebenfalls bis ins Finale der Champions League schaffte, 2019. Wenige Monate später wurde er entlassen, er kennt also das Gefühl. Noch sind nicht alle Details geklärt, zudem ist die Trennung von Tuchel nicht offiziell. Pochettino kennt die Stadt, und er kennt das Ambiente: Er war einst Spieler bei PSG, Verteidiger, allerdings war das lange vor der katarischen Zeit.

Zu beneiden ist er nicht. Schon vor seiner Ankunft wird medial die Erwartung geschürt, der Argentinier möge seinen Landsmann Lionel Messi aus Barcelona nach Paris lotsen. Und Pochettino weiß: Unter vier Trophäen ist alles nichts, und einer davon muss Europas Henkelpott sein.

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