Meisterschaft von PSG:Tuchels Showdown folgt erst noch

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Thomas Tuchel gewann seinen ersten großen Titel - doch die Freude wirkte sehr zurückgenommen. (Foto: AFP)
  • Paris St. Germain gewinnt seine sechste Meisterschaft seit der Übernahme durch die Investoren aus Katar.
  • Trainer Thomas Tuchel genießt in Frankreich Respekt - doch er muss sich im Verein gegen einige Widerstände durchsetzen.

Von Oliver Meiler, Paris

Es gibt diese tolle Kameraeinstellung vom Dach des Prinzenparks, einer Asbestarena im XVI. Arrondissement. Da sieht man über den Dächern der Stadt den Eiffelturm im VII. Bezirk. Im Zoom entsteht der Eindruck, das Wahrzeichen befinde sich gleich neben dem Stadion. Alles fließt ineinander, Paris und sein Fußballverein, "le PSG", als wäre es eine natürliche Symbiose. Das wird es natürlich nie sein. Dafür ist die Stadt viel zu groß, in jeder Hinsicht: Ville Lumière, Wiege von Revolutionen, Herz der Aufklärung. An jedem Spieltag gäbe es tausend grandiose Gründe, etwas anderes zu unternehmen, als eben eine Fahrt mit der Métro, Linie 9 oder 10, raus in den Parc des Princes. Eine Kunstausstellung, eine Retrospektive im Kino, ein Theaterstück, eine Flanierrunde, ein Essen.

Doch seitdem die Katarer PSG gekauft haben, vor acht Jahren, ging es ihnen immer mindestens so sehr um die Stadt wie um den Verein. Man wollte sich in ihrem Glanz sonnen, mit ihr strahlen, sich in ihr spiegeln. Als nun am Ostersonntagabend die Mannschaft von Trainer Thomas Tuchel auflief, um den sechsten Meistertitel in der katarischen Ära abzuholen, kampflos und frühzeitig, weil der Tabellenzweite Lille den Anschluss verloren hatte, da musste natürlich alles im Zeichen von Notre-Dame stehen, der halb heruntergebrannten Kathedrale. Wirklich alles.

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Den Anstoß besorgten zwei Feuerwehrleute, fünfhundert weitere saßen als Gäste auf der Tribune Auteuil. Auf der Trikotbrust prangte statt des Sponsors eine grafische Interpretation der Kathedrale, auf dem Rücken stand anstelle der Spielernamen bei jedem "Notre-Dame". Und ganz oben auf der Auteuil hatten sie eine Plastikplane ausgebreitet mit der Losung der Stadt, dem Wappenspruch auf Lateinisch: "Fluctuat nec mergitur" - etwa: Sie mag schwanken, geht aber nicht unter. Nun ließe es sich trefflich darüber sinnieren, wie gut das alles zusammenpasst, die Katarer und die katholische Kirche, kulturell, geopolitisch und überhaupt: diese ganze Verschmelzung eines Staates vom Golf mit einer europäischen Stadt und ihrem Verein im Sinne des Marketings, der Soft Power, des Identitätstransfers. Aber es fragt schon lange niemand mehr.

Der Spuk endet

PSG ist endlich Meister, der Spuk ist vorbei. Dreimal in den vergangenen Wochen wäre es bereits möglich gewesen, die lästigen Mühen abzuschließen und sich auf das Pokalfinale zu konzentrieren, gegen Rennes am kommenden Samstag. Doch dann spielte man remis gegen Straßburg, verlor sensationell 1:5 gegen Lille, dann auch noch 2:3 gegen Nantes. Der Titel kommt also etwas sehr spät, am 33. Spieltag erst, fünf Runden vor Saisonende. Aber er kommt wieder mit groteskem Abstand auf den Zweiten: 19 Punkte sind es diesmal. Tordifferenz der Pariser: plus 68.

Die peinlichen Auftritte gegen Lille und Nantes wirken nach, sie fühlten sich an wie eine logische Fortsetzung der eigentlichen Katastrophe dieser Saison, des Versagens in der Champions League. Nur an der Darbietung in Europa misst sich der Erfolg, auch der des Trainers. Meistertitel in der Ligue 1 gehören zur selbstverständlichen Inventarzugabe bei fast 600 Millionen Euro Jahresbudget. Tuchel mag gefeiert werden dafür, dass er das Spiel variiert, dass er ständig taktisch eingreift, umstellt, Spieler umdisponiert. Ein moderner, innovativer Coach sei er, heißt es. Die Tageszeitung Libération findet: "Tuchel ist smart, elegant, charmant." So ein Lob muss ein Deutscher in Frankreich erst mal erreichen.

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Statt Titelparty ein 1:5: Der PSG-Trainer verpasst die vorzeitige Meisterschaft und beklagt in seinem Star-Ensemble akuten Spielermangel.

Doch nichts wiegt die Schmach auf, gegen ein geschwächtes Manchester United ausgeschieden zu sein, erneut im Achtelfinale, nach einem 2:0-Sieg im Hinspiel. L'Equipe schreibt, wenn Tuchel eine bleibende Spur hinterlassen wolle, dann müsse er die Champions League gewinnen. Wie es aussieht, wird er bleiben und das zumindest versuchen. Den Vertrag hat er schon mal bis 2021 verlängert. Tuchel war einst die Wahl von Doha gewesen, die Wette des Emirs persönlich. Als er verpflichtet wurde, hieß es in Paris, bon, okay, ein interessanter Mann: Aber was hat der schon gewonnen? Seine Vorgänger kamen mit Trophäen und Bekanntheit: Carlo Ancelotti, Laurent Blanc, Unai Emery.

Doch keiner von ihnen schaffte im ersten Jahr eine bessere Siegquote als Tuchel, wenigstens in der Ligue 1: 81,8 Prozent aller Spiele gewann PSG mit dem Deutschen. Mit "Carletto" waren es im ersten Jahr nur 57,9 Prozent gewesen. Aber das war ja auch erst der Anfang der golfgalaktischen Zeiten. Tuchel beklagt sich gerne über den Sportdirektor des Vereins, den Portugiesen Antero Henrique, der ihm nicht das passende Personal zur Verfügung stelle.

Im Sommer dürfte es zum Showdown zwischen beiden Männern kommen: Tuchel möchte eine Art "Manager à l'anglaise" werden, ein Trainer, wie man sie in England kennt, der für fast alles zuständig ist - auch und vor allem für die Transfers. "Tuchel will die Macht", titelte L'Equipe unlängst. Einige Positionen müssten verbessert werden, sagt der. Und eine neue Medizinabteilung bräuchte es auch. Wieder häuften sich zum Frühjahr die Verletzungen so sehr, dass zuweilen nur 13 Spieler des ersten Kaders gesund waren.

Noch wichtiger aber ist, dass zwei Herrschaften in Paris bleiben, an denen auch wirklich große Vereine ihre helle Freude hätten und für deren Dienste einige von denen unanständig viel Geld ausgeben würden: Neymar Junior und Kylian Mbappé.

Für Paris ist die Zukunft von Mbappé, dem Jungen aus der Vorstadt Bondy, erst 20 Jahre alt, zu einer Dauerobsession geworden: Bleibt er? Geht er zu Real Madrid? Nach dem Osterspiel gegen Monaco, in dem er alle Pariser Tore zum 3:1 beigesteuert hatte, brillant und wunderbar leichtfüßig, sagte Mbappé: "Ich bin in Paris, ich schreibe mit an diesem Projekt. Ich gönne es Real, dass es Zizou zum Trainer hat. Ich werde mir deren Spiele wie ein Verehrer anschauen." Am Fernseher also. Von Zinédine Zidane ist überliefert, dass er ihn unbedingt nach Madrid holen möchte, und von Mbappé weiß man, dass er ein Madridista ist, tief drinnen.

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War's das tatsächlich schon, bleibt er noch ein Jahr? Länger wohl nicht. Mbappé hat immer klar gemacht, dass PSG eine Brücke sein würde, eine Kurzetappe in seiner Karriere. Einer wie er gehört nach Madrid, Barcelona oder England. Noch kann er sich enorm steigern, das hat diese Saison gezeigt. Mbappé nutzte die lange Verletzungspause von Neymar, um sich zu entfesseln, zu befreien, alle Wege standen ihm offen. 30 Tore in 27 Spielen. Das sei zlatanesk, heißt es nun, das ist das Adjektiv für Zlatan Ibrahimovic, der während fünf Jahren den Gott von Paris gab.

Auch "Ney" würden die Katarer gerne behalten. Alles tut man dafür, jede Extravaganz lässt man ihm durchgehen. Schon als er bei Barça unter Vertrag stand, verpasste er keinen Karneval in Rio und keinen Geburtstag seiner Schwester Raffaela in der Heimat: Der 11. März - er war immer schon eine künstlich erfoulte Spielsperre wert, oder eine erfundene Verletzung. Bei PSG aber ist er König. Die Sonderbehandlung setzt er nonchalant voraus, als wäre sie eine standesgemäße Kompensation dafür, dass er Stadt, Verein und, ja, das Land mit seiner unverdienten Präsenz beehrt. Das geht einigen Kameraden schon lange auf den Geist, auch einem Teil der Fans. Aber Neymar ist nun mal ein Weltstar.

Der fünfte Mittelfußknochen am rechten Fuß ist jetzt offenbar nachhaltig geheilt. Gegen Monaco spielte Neymar erstmals wieder seit Januar, gleich eine ganze Halbzeit lang. Für das Pokalfinale ist er gesetzt. Es gelang da eine Genesung auf den Punkt, perfekt getimet. Im Juni findet nämlich die Copa America statt, daheim in Brasilien. Man darf annehmen, dass ihm die wichtiger ist als alles andere. Vielleicht dämmerte ihm während seiner langen Pause, dass das gar keine so gute Idee war, nach Paris zu wechseln. Trotz des vielen Geldes und der Privilegien. Weltfußballer, sein großer Traum, wird er da wahrscheinlich nie werden.

Und nun droht gar, dass er im Schatten des Jungen aus Bondy verschwindet. Mbappé steht ihm plötzlich vor dem Licht, wie es damals, in Barcelona, Leo Messi tat. Läuft also gerade nicht so ideal. Bleibt "Ney"? Oder geht am Ende er zu Real? Paris dreht sich auf einmal ganz um Madrid.

© SZ vom 23.04.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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