Tischtennis:Ein erfolgreicher Trugschluss

Tischtennis: Zeit, dass sich was dreht: Neu-Ulm ist in diesem Jahr mit dem Weltklassespieler Lin Yun-ju auch in der Champions League erfolgreich.

Zeit, dass sich was dreht: Neu-Ulm ist in diesem Jahr mit dem Weltklassespieler Lin Yun-ju auch in der Champions League erfolgreich.

(Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Der TTC Neu-Ulm ploppte 2019 per Wildcard in der Tischtennis-Bundesliga auf. Die Träume von vollen Hallen machte nicht nur die Pandemie zunichte. Doch der russische Angriffskrieg spülte einige Weltklassespieler zum Emporkömmling - mit denen er als Gastgeber nun endlich auch im Pokal-Final-Four mitmischt.

Von Andreas Liebmann

Es stimmt wohl, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne, doch von diesem Zauber wird im Falle des TTC Neu-Ulm in der Regel nichts erzählt. Das könnte daran liegen, dass die noch sehr kurze Geschichte dieses Tischtennis-Erstligisten hochoffiziell im Frühjahr 2019 begann - der Zauber hatte da aber bereits stattgefunden.

Sie ist in letzter Zeit sehr häufig erzählt worden, die wundersame Geschichte des TTC Neu-Ulm, ungewöhnlich oft und groß für einen gewöhnlichen Bundesligaklub in einer Sportart, die hierzulande eigentlich nur alle vier Jahre Aufmerksamkeit erhascht, nämlich wenn die Olympischen Spiele laufen.

Wenn man sie wirklich vollständig erzählen möchte, muss man aber ein bisschen vor der Vereinsgründung ansetzen. Bevor dieser Klub auf eine bis dahin unbekannte Art und Weise in der Tischtennis-Bundesliga aufploppte, gewissermaßen aus dem Nichts, oder noch besser: als Nichts. Denn als die zuständige TTBL Sport GmbH darüber debattierte, ob sie ein seit Jahren unbesetztes Plätzchen im Oberhaus per Wildcard veräußern solle, da hatte den Antrag dazu ein Mann gestellt, um den herum es weder eine Mannschaft gab noch Fans noch Trainer noch: einen Verein. Eigentlich gab es nur einen Namen, "TTC Ebner Ulm", und selbst der wurde kurz darauf wieder abgeschafft.

An den Zauber des Anfangs erinnert sich Florian Ebner noch genau. An jenen Tag im Januar 2019, als er erstmals live mit dem Tischtennissport in Berührung kam, beim Pokal-Final-Four in Neu-Ulm. Bis dahin kann sich der 64-jährige Verleger - vom Spielen im Garten mal abgesehen - nur an zwei Momente erinnern, in denen er Tischtennis wirklich wahrgenommen hatte: als 1989 im Fernsehen das Doppel Roßkopf/Fetzner den WM-Titel holte, und als Eberhard Schöler sein WM-Finale gegen den Japaner Shigeo Ito verlor. Das war anno 1969.

"Das war einer der größten Trugschlüsse meines Lebens", sagt Verleger und Geldgeber Ebner

Fünfzig Jahre später saß Ebner, der ehemalige Präsident des Fußballklubs SSV Ulm, in der Ratiopharm Arena, zwischen 3500 begeisterten Tischtennisfans. "Schnell, spannend, hochpräzise" habe alles auf ihn gewirkt; "wenig zuschauerfreundlich" vielleicht, weil das Publikum zu weit weg gewesen sei von den Tischen - aber dass man dieses Spektakel prima vermarkten könne, da war er sich sofort sicher.

Heute, wo sich alles so wunderbar für ihn gefügt hat, kann er es ja zugeben: "Das war einer der größten Trugschlüsse meines Lebens."

Kurz nach der Initialzündung damals in der Arena erwarb Ebner also die Wildcard, er stampfte eine Profimannschaft aus dem Hallenboden, angeführt vom Team-Europameister Tiago Apolónia, später auch mit Emmanuel Lebesson, dem Einzel-Europameister von 2016. In der Liga hielten sie mit, aber 3500 begeisterte Zuschauer kamen nicht zu den Spielen des Neulings. Nicht mal 350. Es war in der Szene umstritten, sich ohne sportliche Aufstiege in die Liga einzukaufen: War das eine Chance für die TTBL, in die sich schon lange kein Verein mehr hineingetraut hatte? Oder doch ein Verstoß gegen alle sportlichen Prinzipien? Es gab keine gewachsenen Strukturen, kein Stammpublikum, keine Identifikationsfigur. Als der erste Zauber verflogen war, merkte Ebner, dass der Ligaalltag im Tischtennis mühsam ist - und aller Anfang eben vor allem: schwer. Aus der Arena in Neu-Ulm zog er bald wieder aus und buchte kleinere Hallen. Und für das Pokalfinale, das jedes Jahr in Neu-Ulm stattfand, reichte es auch nicht - bis zu diesem Sonntag jedenfalls, denn da wird der TTC erstmals dabei sein.

Tischtennis: Wechselte nach Neu-Ulm, weil er wegen des Krieges in der Ukraine nicht mehr für seinen russischen Klub Fakel Orenburg spielen wollte: der ehemalige Weltranglistenerste und Olympia-Dritte von 2021, Dimitrij Ovtcharov.

Wechselte nach Neu-Ulm, weil er wegen des Krieges in der Ukraine nicht mehr für seinen russischen Klub Fakel Orenburg spielen wollte: der ehemalige Weltranglistenerste und Olympia-Dritte von 2021, Dimitrij Ovtcharov.

(Foto: Hafner/Nordphoto/Imago)

Aus heutiger Sicht drängen sich ein paar hypothetische Fragen auf: Was wäre wohl geschehen, wäre nicht inmitten der Aufbauarbeit auch noch eine Pandemie über die Welt hereingebrochen, deretwegen es Geisterspiele gab? Wie wäre wohl alles weitergegangen, hätte nicht der Nachbar TTF Ochsenhausen seinen Meistertrainer Dmitrij Mazunov verprellt, der dann mitsamt dem russischen Toptalent Vladimir Sidorenko in Neu-Ulm anheuerte und hier eine Trainingsgruppe aufbaute? Und vor allem: Wie stünde der Klub heute da, säße im Kreml nicht ein machtverblendeter Herrscher?

Dessen Angriffskrieg auf die Ukraine hatte einerseits zur Folge, dass inzwischen vier junge Profis aus Russland zwar in Neu-Ulm trainieren und für den TTC in der Liga antreten, aber nicht mehr bei internationalen Turnieren starten dürfen. Andererseits spülte er plötzlich ein Weltklasse-Ensemble nach Schwaben. Erst unterschrieb Dimitrij Ovtcharov, der ehemalige Weltranglistenerste und Olympia-Dritte von 2021, der wegen des Kriegs nicht mehr für seinen russischen Klub Fakel Orenburg spielen wollte; und in seinem Gefolge kamen auch Lin Yun-ju (Taiwan), Truls Moregardh (Schweden) sowie - ausschließlich für Champions-League-Spiele - der Japaner Tomokazu Harimoto, die Ebner mit den Worten "Once in a lifetime" allesamt glücklich aufsammelte. Nun gab es Heimspiele mit 800, mit 1000 Zuschauern. "Drei Jahre ging fast nichts - und auf einmal alles", stellte der Verlagschef fest.

Im Champions-League-Halbfinale stehen ausschließlich deutsche Klubs - und Neu-Ulm will den Titel

Sein kostspieliges Starensemble, das in der neuen Weltrangliste die Plätze vier (Harimoto), fünf (Moregardh), acht (Lin) und elf (Ovtcharov) einnimmt, will nun zusammen vor allem die Champions League gewinnen - für die sich Ebner schon im Jahr zuvor ebenfalls eine Wildcard geleistet hatte. Und es sieht gut aus: Im Halbfinale stehen ausschließlich deutsche Klubs, Borussia Düsseldorf mit Timo Boll, der 1. FC Saarbrücken mit Patrick Franziska, der Post SV Mühlhausen - und der TTC Neu-Ulm, was sowohl widerspiegelt, dass die finanzkräftigen russischen Klubs in diesem Jahr fehlen, als auch die Kategorie, in die der TTC nun vorgestoßen ist.

Florian Ebner wiederum hatte seit jenem Tag im Januar 2019 vor allem vor Augen, sein Team in dieses Pokal-Finalturnier in Neu-Ulm zu bringen, in dem die Stadt am äußersten Rande Bayerns endlich nicht nur Gastgeber, sondern auch Teilnehmer sein sollte. "Wäre das nicht in Neu-Ulm, wäre der Reiz lange nicht so groß gewesen", sagt er. Dass die Schlagzeilen Ebner auch mal als "Tischtennis-Scheich" bezeichnen oder seinen Klub als das RB Leipzig des Tischtennis, das steckt er weg.

Trugschluss hin oder her, im Nachhinein lag der Unternehmer ja auch gar nicht so weit daneben. Schon Mitte März 2019, also Monate vor dem ersten Ballwechsel, sagte er in einem Interview: "Der Traum wäre die Teilnahme an einem Final Four in Neu-Ulm und ein Halbfinale gegen Ochsenhausen - das wäre eine geniale Belohnung für alle Anstrengungen." Um 11 Uhr beginnen am Sonntag die Halbfinals. Düsseldorf trifft auf Saarbrücken, und Neu-Ulm, tatsächlich: auf Ochsenhausen. Hat ja nie jemand behauptet, dass ausschließlich Anfängen ein Zauber innewohnen darf.

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