TSV 1860 München nach dem Abstieg:"Reißt's Euch zam!"

TSV 1860 München - Jahn Regensburg

Abgestiegen: Die 1860-Profis sitzen nach dem Abpfiff auf dem Rasen.

(Foto: dpa)
  • Der TSV 1860 München steigt nach dem 0:2 im Relegations-Rückspiel gegen Jahn Regensburg in die dritte Liga ab.
  • Ausschreitungen von Zuschauern überschatten das Spiel.
  • Die Münchner Mannschaft wird auseinanderfallen, Präsident, Geschäftsführer und wohl auch der Trainer sind schon weg.

Aus dem Stadion von Martin Schneider

Es roch schon lange nach Hass. "Ihr dreckigen Versager", brüllte der Mann bei einem Eckball von Jahn Regensburg ins Megafon. Und dann noch mal. "Ihr dreckigen Versager. Versager. Versager." Es lief die Nachspielzeit der ersten Halbzeit, und Regenburg führte mit 2:0. Der Mann mit dem Megafon, er war Vorsänger der Fans von 1860 München und meinte mit seinen Tiraden nicht das gegnerische Team. Kurz darauf war Pause, und 1860 wurde mit einem Pfeifkonzert in die Kabine geschickt. Zu diesem Zeitpunkt hatten die Löwen übrigens noch 45 Minuten Zeit, um drei Tore zu erzielen und den Zweitliga-Abstieg noch zu verhindern. Das ist schwierig, aber nicht unmöglich. Vor zwei Jahren war ihnen gegen Kiel Ähnliches gelungen (damals hatten sie nach 0:1-Rückstand 2:1 gewonnen).

Aber schon in der Halbzeit dieses Zweitliga-Drittliga-Relegationsspiels am Dienstagabend war einigen klar, wie die Sache hier ausgehen sollte. Niemand, außer vielleicht ein paar Spielern, glaubte ernsthaft mehr an eine Rettung. Der Geschäftsführer Ian Ayre hatte schon am Nachmittag vor dem Spiel den Verein verlassen, der mittlerweile zurückgetretene Präsident Peter Casallette verließ eine Viertelstunde vor Schluss seinen Platz auf der Tribüne. Investor Hasan Ismaik war gar nicht im Stadion.

Und so nahmen die Geschehnisse ihren Lauf. Um die 70. Minute drehten die Fans in der Nordkurve ihrer Mannschaft den Rücken zu. Der Stadionsprecher verkündete noch die Zuschauerzahl (62 200, Rekord für ein Relegationsspiel) und sagte: "Vergelt's Gott, dass Sie zu den Löwen gehen". Da fingen die ersten im Fanblock an, die Zaunfahnen einzurollen, Plastikstangen auseinanderzubrechen und gegen die Eisentüren zu treten. Einige taten sich zusammen, um das Fangnetz runterzureißen und dann flog der erste Böller aufs Spielfeld. Es regnete Stangenteile in den Sechzehner von Jahn Regensburg, und Schiedsrichter Daniel Siebert aus Berlin musste die Partie unterbrechen. Auf der Anzeigetagel stand "Reißt's Euch zam!", aber das taten im Fanblock einige nicht mehr.

"Ich komme aus dem Osten, ich bin solche Zustände fast gewohnt"

Die Polizei, die im Tunnel bereitstand, rückte aus und bildete zwei Reihen vor dem Block, sprühte vereinzelt Pfefferspray durch die Blockgitter. Einige Löwen-Fans begannen, Sitzschalen herauszureißen und auf das Spielfeld zu werfen. Daniel Bierofka ging in die Kurve und versuchte mit energischen Worten, die Fans zu beruhigen. Er wurde erst ebenfalls beworfen, worauf ihn die Polizei zu seiner Sicherheit vom Zaun wegnahm, um dann vom Anhang gefeiert zu werden. "Außer Biero könnt ihr alle gehen", sangen sie. Solche Widersprüche gehören wohl dazu.

Was dann passierte, darüber berichtete später Regensburgs Torhüter Philipp Pentke, von 2004 bis 2007 selbst 1860-Spieler. "Es gab eine Absprache mit dem Schiedsrichter. Er hat gesagt, solange ich nicht getroffen werde, soll ich dafür sorgen, dass die Dinger [die Sitzschalen; Anm. d. Red.] ganz schnell wieder vom Platz verschwinden. Ich komme aus dem Osten, ich bin solche Zustände fast gewohnt." Es sei sein Wunsch gewesen, dass weitergespielt werde. "Ich hab dem Schiedsrichter gesagt: Mach unbedingt weiter." Er könne die Fans verstehen, aber dass es so ausartet, sei natürlich nicht schön.

Pentkes erstaunliche Coolness führte dazu, dass er - als die Partie nach mehr als 14 Minuten wieder angepfiffen wurde - sich sowohl auf Flugobjekte von vorne (den Ball) als auch von hinten (Sitzschalen und Stangen) konzentrieren musste. "Immer wenn es ein Raunen im Stadion gab, wusste ich: Aha, da kommt eine Sitzschale geflogen." Eine Sitzschale musste er so schnell entfernen, dass er sie gegen den eigenen Pfosten warf - allerdings hielt er auch noch in dieser Phase einen Ball mit einer Parade.

Viele 1860-Fans auf den anderen Tribünen hatten zu diesem Zeitpunkt schon ihren Platz verlassen. Die Münchner Polizeit twitterte, zehn Beamte seien leicht verletzt worden. Zudem verteidigten die Ermittler ihre Taktik. Man habe sich bewusst für ein "deeskalierendes Vorgehen" entschieden, sagte ein Polizei-Sprecher am Mittwoch. Es sei zu befürchten gewesen, dass ein direktes Einschreiten gegen die randalierenden Fans eine weitere Eskalation nach sich gezogen hätte. Der Kontrollausschuss des Deutschen Fußball-Bundes wird nach den Ausschreitungen Ermittlungen einleiten, das bestätigte ein DFB-Sprecher am Mittwoch.

Regensburgs Trainer Heiko Herrlich sah die Lage dann auch nicht ganz so entspannt wie sein Torwart und einige seiner Spieler, die hauptsächlich glücklich über den Aufstieg waren. "Ich bin dankbar, dass nichts Schlimmes passiert ist", sagte Herrlich. "Ich habe den vierten Offiziellen immer wieder gefragt, wann abgebrochen wird. Natürlich hatten wir alle Angst, dass unsere Spieler von Stangen oder Sitzen getroffen werden. Leider gibt es Leute, die nicht handeln, wie es sein sollte. Man muss doch auch in der Niederlage Haltung bewahren."

Auch nach dem Spiel gibt der Klub ein jämmerliches Bild ab

Abseits der Krawalle gab der TSV 1860 München nach dem Spiel ein - man muss das so deutlich sagen - jämmerliches Bild ab. Pressesprecherin Lil Zercher stand in der Mixed Zone und erklärte, kein Verantwortlicher werde sich nach dem Spiel äußern. Auf die Frage, wer denn überhaupt noch verantwortlich sei, konnte sie keine Antwort geben. Trainer Pereira hielt auf der Pressekonferenz eine Rede, die stark nach Abschied klang und ließ keine Nachfragen zu. Während es ein Reporter trotzdem versuchte, ging er aus dem Pressesaal.

Drei Spieler von 1860 äußerten sich dann doch noch. Kai Bülow (der nach Absturz zum anderen Zweitliga-Absteiger Karlsruher SC wechselt), Michael Liendl und Leihspieler Levent Aycicek. Als Aycicek gefragt wurde, ob es vielleicht ein Grund gewesen sei, dass auf dem Platz kein Team stand, sagte er: "Ich denke, das wird ein Hauptgrund sein, dass man auf dem Platz vielleicht kein Team war. Die zweite Liga ist eine andere Liga, da braucht man Zusammenhalt." Zu den Fans wollte er sich nicht äußern. Liendl sagte: "Bei den Fans sitzt der Stachel natürlich tief, weil wir eine Dreckssaison spielen. Aber natürlich befürworte ich so was nicht. Das ist eine Katastrophe."

Wie es nun bei 1860 weitergeht? Der Klub muss wahrscheinlich weiter in der ungeliebten Arena spielen, weil es Verträge zwischen dem TSV und dem FC Bayern gibt. Am späten Dienstagabend verschickte der zurückgetretene Geschäftsführer Ian Ayre per WhatsApp noch ein Statement an ausgewählte Journalisten, in dem er seine Handlungen erklärte. "In den acht Wochen meiner Amtszeit habe ich leider eine Struktur vorgefunden, in der die Anteilseigner nicht dieselben Interessen und dieselbe Vision für die Zukunft dieses Klubs haben", schrieb der 54-Jährige demnach. "Obwohl ein Budget für die kommende Saison verabschiedet wurde, blieben ernsthafte Unstimmigkeiten zwischen den Anteilseignern, was es mir unmöglich macht, in der Position als Geschäftsführer weiterzumachen."

Mit Anteilseignern sind hauptsächlich Investor Hasan Ismaik und der Verein gemeint. Ismaik selbst hat sich noch nicht geäußert. Vor dem Spiel ließ er auf Facebook salbungsvoll ankündigen, dass er mit 1860 auch in die dritte Liga gehen wolle. Die Mannschaft wird auseinanderfallen, Präsident, Geschäftsführer und wahrscheinlich auch der Trainer sind schon weg. Ismaik ist aktuell mehr oder weniger der Einzige, der noch übrig ist. Ismaik, der 1860 nach Europa führen wollte und nun in der dritten Liga gelandet ist.

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