TSV 1860 München:Der Spezialist

Drei Ecken, zwei Freistöße, zwei Elfmeter: Michael Liendl war an sieben der vergangenen acht Tore beteiligt. Auch sein Zweikampfverhalten ist verbessert.

Von Markus Schäflein

Michael Liendl legte den Ball auf den Elfmeterpunkt, er blickte konzentriert Richtung Tor, fasste sich von oben an den Kopf, schoss - direkt auf den Torwart. Großes Gelächter machte sich bei den Zuschauern breit. Kurz darauf versuchte er sich an einem Freistoß vom rechten Strafraumeck, der Versuch ging weit über die Querlatte, nach der Partie lästerte 1860-Torwart Stefan Ortega: "Das war ja wie in der Vorrunde." Ein Kamerateam des Fernsehsenders Sky hatte in der Geschäftsstelle des Fußball-Zweitligisten TSV 1860 München ein Tipp-Kick-Spiel aufgebaut, um Liendl bei dem zu filmen, was er am besten kann: beim Umgang mit dem ruhenden Ball.

Zwar gingen die ersten Versuche schief, doch die Fernsehleute bekamen hinterher noch genügend verwandelte Elfmeter und Freistöße für ihren Beitrag. Was sie illustrieren wollten: Acht Tore hat Sechzig seit der Winterpause erzielt, davon resultierten sieben aus Standardsituation, alle sieben trat Liendl - drei Ecken, zwei Freistöße und zwei Elfmeter. Vor allem der Strafstoß zum 3:2-Sieg gegen seinen früheren Klub Fortuna Düsseldorf ist ihm im Gedächtnis geblieben: "Das war eine sehr schwierige Situation, der Torwart kennt mich sehr gut, er wusste ganz genau, wie ich schieße. Das war eine größere Anspannung als bei anderen Elfmetern."

2. Fussball Bundesliga TSV 1860 München- SV Sandhausen

Vorliebe für den ruhenden Ball: Michael Liendl ist verantwortlich für den Aufschwung bei 1860.

(Foto: sampics/Stefan Matzke)

Auf die Idee, die Ausführung beim Stande von 2:2 aus diesem Grund einem Mitspieler zu überlassen, kam Liendl nicht: "Ich will schon immer die Verantwortung übernehmen." Das war schon in den Jugendmannschaften so, "das habe ich von klein auf immer gerne gemacht, und die Mitspieler begrüßen es". Er hatte nicht nur die Technik, um die Standards auszuführen, sondern auch die Courage.

So wurde Liendl, mittlerweile 30, zum Standard-Spezialisten. Diese Qualität war eines der wichtigsten Kriterien, dass die Sechziger den Österreicher im Sommer nachverpflichteten, als die Düsseldorfer, aus seiner Sicht "überraschend und nicht zu 100 Prozent geplant", keinen Bedarf mehr für ihn sahen. "Es ist schon kurios, dass die Fortuna jetzt auf einmal hinter uns steht", sagt Liendl, "ich freue mich jetzt nicht darüber, aber die Hauptsache ist, dass irgendjemand hinter uns liegt." In Düsseldorf trauern die Anhänger ihm nun nach. "Abgänger Liendl fehlt an allen Ecken", schrieb der Express: "Weil es die letzte Gelegenheit war, für den Mittelfeldspieler noch Ablöse zu kassieren (400 000 Euro), verscherbelte Fortuna den Linksfuß im August 2015 ausgerechnet an Konkurrent 1860 München. Mit fatalen Folgen! Bei den Löwen ist Liendl nun der große Held."

Das kommt nicht zufällig. Man kann geradezu behaupten, dass 1860-Sportchef Oliver Kreuzer und Trainer Benno Möhlmann bei ihren Umbauarbeiten im Winter die Kaderplanung genau auf Liendl ausrichteten. In Sascha Mölders kam ein weiterer kopfballstarker Angreifer neben Rubin Okotie, in Jan Mauersberger ein zusätzlicher groß gewachsener Abwehrmann, der bei Standardsituationen mit aufrückt, dazu der noch verletzte Sechser Goran Sukalo - "unsere Standards müssen eine Waffe werden", forderte Kreuzer, und genau das trat zuletzt bei den drei Siegen in Serie gegen Düsseldorf, in Kaiserslautern (1:0) und gegen Sandhausen (3:2) ein. "In der zweiten Liga entscheiden immer Kleinigkeiten die Spiele", sagt Liendl, "da sind die Standards enorm wichtig, und da ist es von Vorteil, wenn man viele große Spieler in den Sechzehner schicken kann."

Bülow verpasst Training

Der Fußball-Zweitligist TSV 1860 München muss sein Auswärtsspiel in Leipzig (Sonntag, 13.30 Uhr) wohl ohne Kai Bülow bestreiten. Der Mittelfeldspieler, der sich am vorvergangenen Spieltag beim 1:0-Auswärtssieg in Kaiserslautern einen Zehenbruch zugezogen hatte und danach beim 3:2 gegen den SV Sandhausen dennoch aufgelaufen war, droht auszufallen. Am Donnerstag verpasste er wie schon am Vortag das Training; der 29-Jährige ist nach Angaben der Presseabteilung zusätzlich erkrankt. Als Ersatz kommen Romuald Lacazette und Milos Degenek in Frage. SZ

Es ist auch ein Vorteil für ihn persönlich, Liendl sammelt Scorerpunkte wie in seinen besten Zeiten am Rhein. Fast vergessen sind die ersten Wochen in Giesing, die von Frust geprägt waren. "Ich war da auch mental nicht ganz frisch", meint er im Rückblick, "ich kam mit großen Erwartungen, dann war es schwierig." Er sei für den Abstiegskampf aufgrund mangelnder Kampfqualitäten kaum zu gebrauchen, ein Schönspieler, der die Laufwege nicht mitmache, klagten die Beobachter, und der damalige Übungsleiter Torsten Fröhling ließ ihn des Öfteren auf der Bank. "Ich werde jetzt mit 30 nicht mehr der große Zweikämpfer werden", gibt Liendl auch ganz offen zu. Aber Möhlmann motivierte ihn, zumindest Engagement auch nach hinten zu zeigen, und tatsächlich tut der Techniker das mittlerweile. "Der Trainer verlangt von jedem, dass er defensiv mitarbeitet", sagt Liendl. "Ich muss nicht zehn von zehn Zweikämpfen gewinnen, aber Laufarbeit verrichten und die Räume schließen."

Dass es im neuen System mit zwei Sechsern und zwei Spitzen Liendls Lieblingsposition, die Zehn, nicht mehr gibt und er auf dem Flügel spielen muss, macht ihm angesichts des guten Laufs nichts aus: "Klar spiele ich am liebsten zentral. Aber ich habe in Düsseldorf auch schon viele Spiele auf der Seite gemacht, das ist nichts Neues für mich." Er hat sich eine Methode zurecht gelegt, um auch dort Spaß zu haben: "Ich interpretiere die Position anders als üblich, suche das ein oder andere Mal den Weg in die Mitte, aber das ist für den Trainer auch okay."

An diesem Sonntag (13.30 Uhr) tritt der TSV 1860 beim Tabellenführer RB Leipzig an, der Fortbestand der Siegesserie ist selbstredend akut gefährdet. "Das ist eine schwere Aufgabe, das ist jedem bewusst", sagt Liendl. "Aber wir haben jetzt Selbstvertrauen." Und er selbst im Speziellen, wenngleich ihm das Tipp-Kick-Spiel zu denken gab: "Man kann nicht zum Elfmeter gehen und sagen, der ist automatisch drin."

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