TSV 1860 München:Der Fallschirm reißt

TSV 1860 München - Jahn Regensburg

Trainer Vitor Pereira (vorne): Abstieg und Abschied von München

(Foto: dpa)
  • Der dritte Versuch hintereinander, eine verkorkste Saison auf den letzten Drücker zu retten, geht nicht mehr gut: Der TSV 1860 München steigt aus der 2. Bundesliga ab.
  • Mit Trainer Vitor Pereira, Zugängen aus aller Welt und Altgedienten ohne Perspektive war diesmal zu viel kaputt gegangen, um es hintenraus noch schnell zu kitten.
  • Während des Spiels sorgen Fans für eine Unterbrechung, zehn Polizisten werden verletzt.

Aus dem Stadion von Markus Schäflein

Es war zur Tradition geworden, dass die Fröttmaninger Arena am Saisonende, wenn das Damoklesschwert ganz nahe über ihr schwebt, plötzlich auch bei einem Heimspiel des TSV 1860 München gut gefüllt ist. Da kamen sie in Scharen, die Löwenfans, die es ja doch noch gibt, Dicke, Dünne, Große, Kleine, Kinder, Rentner, Investorenfreunde, die von der Champions League träumen, Traditionalisten, die für eine selbstbestimmte Zukunft gerne in die Bayernliga gehen würden, und die ob der Klubpolitik zerrissenen Ultras. Einfach alle (außer natürlich die Arenaverweigerer, die es ja auch gibt). 62 200 Menschen sorgten diesmal für einen Rekord in einem Relegationsspiel zwischen zweiter und dritter Liga sowie, nun ja, für Champions-League-Atmosphäre. Sie waren es gewohnt, dass es hintenraus dann doch immer was zu feiern gab.

Doch diesmal war alles anders. Der dritte Versuch hintereinander, eine verkorkste Saison auf den letzten Drücker zu retten, ging nicht mehr gut. Die vielen Menschen mit den entsetzten, traurigen und wütenden Gesichtern bildeten ein Gemälde, auf dem abgebildet war, was bei diesem Verein in den vergangenen Jahren systematisch ruiniert worden ist. Und die Fratze des wütenden Löwen, als die aufgebrachten Fans aus der Nordkurve zehn Minuten vor Schluss den Platz stürmen wollten und eine lange Spielunterbrechung verursachten. Die Polizei rückte mit einem Großaufgebot an, um den Weg zu versperren; Assistenztrainer Daniel Bierofka eilte zur Beruhigung herbei. "Außer Biero könnt ihr alle geh'n", war die gesangliche Antwort.

1860 verlor 0:2 (0:2) - mit dem portugiesischen Trainer Vitor Pereira, Zugängen aus aller Welt und Altgedienten ohne Perspektive war diesmal zu viel kaputt gegangen, um es hintenraus noch schnell zu kitten. "Wir waren nicht so zu 100 Prozent eine Mannschaft, wie man es sein sollte, wir haben nie zu 100 Prozent so auf dem Platz gestanden, wie man es sollte", erklärte Mittelfeldspieler Michael Liendl hinterher. "Zudem haben wir über die zwei Relegationsspiele nie unser Niveau erreicht, haben immer wieder individuelle Fehler gemacht, waren immer wieder nicht nah genug am Mann." Die über 5000 mitgereisten und alle in Rot gekleideten Regensburger durften feiern, der Jahn ist mit neu gebauter Arena im Eiltempo in die zweite Liga zurückgekehrt.

"Wir sind nicht in diesen zwei Spielen abgestiegen"

Als seine Spieler ihn in der Pressekonferenz mit Bier überschütten wollten, entschuldigte sich Jahn-Trainer Heiko Herrlich geradezu: "Die Spieler haben da kein Gefühl dafür. Mir tut es im Herzen weh, was hier bei Sechzig passiert. Unter den Rahmenbedingungen ist es unglaublich schwer, hier zu arbeiten." Sein Kollege Pereira erklärte in einer emotionalen Rede quasi seinen Rücktritt, indem er sich von allen verabschiedete. "Wir sind nicht in diesen zwei Spielen abgestiegen, da waren wir sowieso schlechter. Sondern vorher, als wir die Möglichkeiten hatten, Punkte zu holen. Es geht auf meine Kappe, es war ein Risiko-Projekt, das ich angenommen habe, und leider hat es nicht gereicht."

Im letzten Risikospiel ersetzte er den gesperrten Verteidiger Marin Pongracic durch Kai Bülow, den Relegationshelden von 2015, der gegen Kiel damals in letzter Sekunde den rettenden Treffer erzielte. Auch Bülow konnte diesmal nichts machen. Im Sturm begann Christian Gytkjaer für Sascha Mölders. Bei Regensburg war Flügelstürmer Jann George wieder dabei, für ihn musste Uwe Hesse weichen.

Überall macht sich Entsetzen breit

Die erste Chance hatte nach elf Minuten der Jahn, doch Marco Grüttner schoss weit über die Querlatte (11.). Die Regensburger übernahmen, wie zu erwarten nach dem 1:1 im Hinspiel, sofort die Initiative. Gefährlicher waren aber zunächst die Löwen bei ihren Gegenstößen. In der 23. Minute hatte Gytkjaer Pech - er stand nach einem Steilpass ungedeckt vor Jahn-Torhüter Philipp Pentke, wurde aber von Schiedsrichter Daniel Siebert wegen einer vermeintlichen Abseitsposition zurückgepfiffen (23.).

Es folgte nach einer halben Stunde der Schock für die Löwen: Der vom FC Augsburg an den Jahn verliehene Erik Thommy setzte sich über die linke Seite gegen Marnon Busch durch und passte flach in die Mitte, Kolja Puschs Direktabnahme flog sehenswert ins Tor - 0:1. "Wir woll'n euch kämpfen seh'n", sangen die Fans wie schon im Hinspiel. In der 40. Minute scheiterte Gytkjaer auf Zuspiel von Stefan Aigner an Pentke, dann kam es noch schlimmer für die Löwen: Flanke Marcel Hofrath, Kopfball Marc Lais, 0:2 (41.) - beide Spieler dürften sich über die mäßige Gegenwehr gewundert haben. Sechzig, das zu Spielbeginn noch keinen eigenen Treffer zum Erfolg benötigt hatte, brauchte nun drei Tore. Die Jahn-Fans dominierten die Atmosphäre, überall sonst machte sich das Entsetzen breit. "Scheiß auf den Scheich, Scheiß auf sein Geld", sangen die Münchner Ultras trotzig. Kurz vor der Pause verhinderte 1860-Torwart Stefan Ortega das 0:3 gegen Kolja Pusch.

Zur zweiten Hälfte brachte Pereira Mölders und Ivica Olic für Gytkjaer und Aigner, in der 56. Minute noch Maxi Wittek für Felix Weber. Es half alles nichts, Sechzig wurde vom Drittligisten nun regelrecht vorgeführt, nie kam mehr eine Art von Spannung auf. Die Totenstille im Löwenblock wurde von "Wir sind Löwen und ihr nicht"-Rufen unterbrochen. Als Sechzig nach 75 Minuten noch immer keine Torchance in der zweiten Hälfte verzeichnet hatte, bereiteten die Ultras die Drohkulisse vor. Schließlich wurde doch zu Ende gespielt, obwohl immer wieder Sitzschalen und Stangen aufs Feld geworfen wurden. Nach Spielschluss blieb das Szenario noch lange bestehen, während die Löwen-Spieler verstreut auf dem Platz kauerten.

"Natürlich ist das übertrieben, ich befürworte das nicht, das ist eine Katastrophe in dem Ausmaß", sagte Liendl, der den Klub vermutlich wie so viele andere verlassen wird. Der Österreicher dankte aber auch dem friedlichen Teil der Anhänger: "Es ist überragend, wie uns die Fans die Saison über immer unterstützt haben. Es werden heute noch viele sagen, wie leid es ihnen für sie tut." Nach den gezeigten Leistungen fiel es nur schwer, das zu glauben.

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