1860-Ultras gegen den Investor:"Mäzene machen den Sport kaputt"

Sie haben ausgebrüllt: Aus Protest gegen Investor Hasan Ismaik zieht sich die einflussreiche Ultra-Gruppierung "Cosa Nostra" aus der Fankurve von 1860 München zurück. Ein Gespräch mit CN-Mitglied Mathias K. über die Schizophrenie wahrer Fankultur, den drohenden Ausverkauf des Fußballs und die Relevanz der 50+1-Regel.

Jonas Beckenkamp

In der Nordkurve der Arena klaffte beim ersten Heimspiel der "Löwen" gegen den Karlsruher SC ein Loch. Wo sonst die Ultras von der "Cosa Nostra" (CN) für Stimmung sorgen, blieben einige Stehplätze leer. Die CN, eine der einflussreichsten Fangruppierungen des Klubs, hatte sich in stillem Protest auf den Mittelrang zurückgezogen - um ihre Haltung gegen das Investorenprojekt des Vereins auszudrücken.

Cosa Nostra

Ab sofort im Sitzplatzbreich: Die Ultras von der "Cosa Nostra" protestieren gegen Investor Hasan Ismaik.

(Foto: imago sportfotodienst)

Die Ultras können sich nicht damit anfreunden, dass die HAM Internation Ltd. in Person von Hassan Abdullah Mohamed Ismaik nun 60% der TSV München von 1860 GmbH & Co KGaA besitzt. Der Verein verkaufte damit genau die Anteile, in welche die Profi-, Amateur- und A-Jugendmannschaft des TSV München von 1860 e.V. ausgegliedert sind. Politisch interessierte Fans sehen die im deutschen Fußball vorgeschriebene 50+1-Regel längst in Gefahr. Diese verbietet es Kapitalanlegern, bei Vereinen mehr als 49% der Stimmrechte zu übernehmen. Mathias K. ist Mitglied der CN - wie viele Ultras, möchte er seinen vollen Namen in der Öffentlichkeit nicht preisgeben.

sueddeutsche.de: Wieviel Spaß macht es derzeit, Fan des TSV 1860 zu sein?

Mathias K.: Momentan ist das Vergnügen ziemlich begrenzt. Was im Verein abläuft, ist schon seit Ende der letzten Saison nicht mehr besonders witzig. Trotzdem kann ich mich nicht ganz von diesem Klub lossagen, schließlich bin ich schon seit Jahren dabei. Wir von der "Cosa Nostra" sind bekannt für gute Stimmung und Aktivitäten in der Kurve - und jetzt schauen wir die Spiele still und im Sitzen. So stellen wir uns das natürlich nicht vor.

sueddeutsche.de: Für welche Art Fantum steht die "Cosa Nostra"?

Mathias K.: Wir vertreten eine Ultra-nahe Fankultur. Wir fahren der Mannschaft hinterher, um sie zu unterstützen und versuchen, bei den Spielen optisch und akustisch Akzente zu setzen: Durch Choreographien, Fahnen und Gesänge. Wir begleiten den Verein so nah es geht, bringen uns als aktive Mitglieder ins Vereinsgeschehen ein und wollen ein Sprachrohr für die Kurve sein.

sueddeutsche.de: Was macht das Gefühl dieses Klubs für Sie aus?

Mathias K.: Ich bin mit Sechzig aufgewachsen und schon als kleiner Junge ins Stadion gegangen. Fußball gehört für mich zum Alltag - früher war ich sicher etwas weniger emotional als heute. Mittlerweile sind die 90 Minuten am Wochenende das absolute Highlight. Bis dahin vergeht viel Zeit mit Organisieren, da überlegen wir uns, was wir mit ins Stadion nehmen, wie wir zu Auswärtspartien gelangen oder welche Aktionen wir planen. Letztlich arbeiten wir die ganze Woche nur für das Spiel. Da wollen wir die Sau raus lassen, die Mannschaft anfeuern, mitleiden und mitfeiern. Wir leben und lieben diesen Verein mit vollem Herzen. Aber es gibt Grenzen.

sueddeutsche.de: Wie jetzt mit dem Rückzug aus der Kurve demonstriert wird. Warum dieser Schritt?

Mathias K.: Die neuesten Entwicklungen sind uns zu viel. Wir vertreten eine andere Auffassung davon, wie Vereine funktionieren. Wir sind Mitglieder im TSV 1860 e.V. und waren nie besonders glücklich darüber, dass die KGaA (Kommanditgesellschaft auf Aktien, d. Red.) ausgegliedert wurde, weil wir uns als Teil des Klubs sehen und uns über Delegiertenversammlungen repräsentiert sehen wollen. Der Investor hat 60% der Anteile der KGaA gekauft, darunter sind auch die Profi -und Amateurmannschaften - also genau die Teams, die wir unterstützen. Auch wenn der Investor in den Gremien nur 49% Stimmberechtigung besitzt, ist das ganz schön viel Macht. Im Endeffekt hat ein externer Geldgeber damit bei 1860 das Sagen. Die Querelen der letzten Wochen haben gezeigt, dass Investorentum und Klubseele nicht miteinander zu vereinbaren sind.

sueddeutsche.de: Sie hätten schon viel früher protestieren können. Wäre das nicht konsequenter gewesen?

Mathias K.: Klar, der Verein torkelt seit Jahren ins Verderben, vor allem durch die Mietzahlungen an den FC Bayern. Jetzt präsentiert man uns als Ausweg, den Verkauf von Anteilen am eigenen Verein an einen unbekannten Investor, der absolut nichts mit dem TSV zu schaffen hat. Für ihn ist dieser Klub ein Prestigeobjekt, ein Spielball mit dem er Geschäftspartner ins Boot holen kann. Fußball sollte nicht so laufen, dass Businessmenschen einsteigen und mit ihrem Privatportemonnaie die zweite Liga aufmischen, Geld springen lassen und irgendeinen Verein subventionieren. Mäzene machen aus unserer Sicht den Sport kaputt - wie bei RB Leipzig (mit dem Sponsor Red Bull, d. Red.) oder Hoffenheim zu sehen ist.

sueddeutsche.de: Immerhin hat der Investor 1860 vor dem Bankrott gerettet. Wäre Ihnen Amateurfußball lieber gewesen?

Mathias K.: Auch wenn Politiker und Vereinsobere das vielleicht nicht so sehen: Eine Insolvenz und ein Neubeginn in einer unteren Spielklasse hätte uns sehr gut getan. Ein großer Teil des Mythos von 1860 beruht doch darauf, dass der Klub lange Zeit in der Bayernliga herumdümpelte. Diesen Weg wären viel mehr Leute mit ganzem Herzen mitgegangen. Vereine wie Reutlingen oder Mannheim haben gezeigt, dass es zu schaffen ist. Für mich ist das die weitaus ehrlichere Variante - aber das hätten wir schon machen sollen, als Sechzig die Anteile an der Arena verkaufen musste. Insgesamt wird die jetzige Situation den Klub langfristig mehr Fans kosten, als es ein Neuanfang im Grünwalder Stadion getan hätte.

sueddeutsche.de: Sie schwingen sich mit ihrer Ablehnung des Investors auch zum Hüter der 50+1-Regel auf. Ist Ihnen das wichtig?

Mathias K.: Ja, das ist unser Hauptargument. Wir konnten uns einfach nicht mehr vorstellen, beim ersten Heimspiel wie gewöhnlich in der Nordkurve zu stehen, dort unsere Zaunfahnen aufzuhängen und eine Fan-Aktion zum Saisonauftakt zu starten. Damit hätten wir nach außen demonstriert: Ist doch in Ordnung, dass ein Investor 60% von unserem Verein kauft - das wollen wir nicht. Das Team weiter anzufeuern, bedeutet doch auch, den Ausverkauf des Fußballs zu unterstützen. Dieses Pilotprojekt könnte darüber entscheiden, wie es mit dem Mäzentum im deutschen Fußball weitergeht. Dazu gehört auch die 50+1-Regel - und deshalb geht diese Debatte weit über den eigenen Verein hinaus. Auf Friede, Freude, Eierkuchen haben wir keine Lust mehr.

"Viele Fans interessiert der Investor nicht"

sueddeutsche.de: Sind sich darin alle Ultras einig? Wieso verabschieden Sie sich nicht gleich ganz?

Mathias K.: Der Rückzug der "Cosa Nostra" ist eigentlich ein Kompromiss. Wir haben Leute in der Gruppe, die sehr massiv gegen den Investoreneinstieg sind, während andere damit auch leben könnten. Wir haben uns darauf geeinigt, dass wir als Fanvereinigung erhalten bleiben wollen. Wir gehen weiter ins Stadion und fahren zu Auswärtsspielen, verabschieden uns aber von der Vorreiterrolle in der Kurve - und schauen uns die Spiele in der Arena ohne Support von den Sitzplätzen im Mittelrang an. Das soll ein deutliches Zeichen nach außen sein.

sueddeutsche.de: Wie fühlt es sich an, als Ultra auf einem Sitzplatz zu hocken und still zu sein?

Mathias K.: Seltsam. Im Stadion mitzufiebern, ohne zu hüpfen und zu singen, ist natürlich völlig schizophren. Wer es über Jahre gewohnt ist, unten am Zaun zu stehen und voll dabei zu sein, tut sich mit einem Sitzplatz schwer. Ich musste beim ersten Heimspiel aber nicht mit mir kämpfen. Ich habe rüber auf die Haupttribüne geschaut und daran gedacht, dass die Investorenseite bereits nach wenigen Wochen versuchte, im Aufsichtsrat des TSV 1860 e.V. Einfluss zu nehmen. Da wusste ich wieder: Damit kann ich mich nicht identifizieren - für sowas möchte ich mir nicht 90 Minuten die Seele aus dem Leib schreien.

sueddeutsche.de: Beim ersten Heimspiel gegen den KSC zeigte sich, dass der großen Masse der Fans der Investor ziemlich egal ist - Sie sind mit ihrem Protest in der Minderheit.

Mathias K.: Man muss akzeptieren, dass sich ein Großteil dafür nicht sonderlich interessiert. Dasselbe geschah damals beim Umzug in die Arena. Anfangs gab niemand etwas auf die Gegenstimmen. Im Endeffekt jammerten aber alle, als dann die Millionen an Altschulden ans Licht kamen. Das tangiert die Fans nämlich doch. Irgendwann merken diejenigen, die jetzt der Investoreneinstieg kalt lässt, dass es Probleme mit sich bringt. Und von einem riesigen Boom sehe ich durch das Geld des Investors bisher nicht viel. Gegen Karlsruhe waren nicht einmal 20.000 zahlende Zuschauer im Stadion, zudem verkaufte der Klub so wenige Dauerkarten wie lange nicht.

sueddeutsche.de: Viele Ultras kritisieren die Kommerzialisierung des Fußballs - lehnen Sie somit auch Investoreneinstiege grundsätzlich ab?

Mathias K.: Ich würde ein kleines Hintertürchen offen lassen. Bei allem Engagement gegen das moderne Fußballgeschäft können wir eine gewisse wirtschaftliche Komponente nicht verhindern. In Maßen sind Sponsoren und Investoren auch erträglich - ohne sie funktioniert heute nichts mehr. Mir ist aber wichtig, dass eine Regel wie 50+1 nicht verletzt wird. Dass ein Geldgeber die Macht an sich reißt, indem er 60% der Vereinsanteile kauft, verstößt gegen meine Grundsätze. Würde ein Investor nur zehn oder 20% besitzen, um dem Klub als regional verwurzelter Unternehmer ein wenig unter die Arme zu greifen, könnte ich damit leben. Es ist aber ein schmaler Grat: Was bei 1860 passiert, geht mindestens drei Schritte zu weit.

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