TSV 1860 München:Zurück zum Ausbildungsverein

Mit einem neuen NLZ-Leiter und Unterstützung vom e.V. gestaltet Sportgeschäftsführer Günther Gorenzel den Konsolidierungskurs.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

Der Fußball lebt ja mitunter davon, dass seine Protagonisten neue Worte prägen. So ist es etwa möglich, einen Ball ins Tor zu müllern wie einst Gerd Müller oder ein Spiel zu zlatanieren, es also nach Art des Stürmers Zlatan Ibrahimovic stark zu dominieren. Zumindest in Schweden steht Letzteres im Duden, und zumindest in Giesing gibt es jetzt noch ein neues Wort: Herumgorenzeln, also Wehklagen und Lamentieren - in Anlehnung an Günther Gorenzel, den Sport-Geschäftsführer des Fußball-Drittligisten TSV 1860, und dessen Aussagen zum vom e.V. vorgegebenen Konsolidierungskurs.

Gorenzel will über die Wortschöpfung der Fans nicht lang herumgorenzeln. "Dass solche Ausdrücke zustande kommen, nur weil ich versuche, offen, transparent und authentisch aufzutreten, damit musst du rechnen", sagt der Österreicher, dem eine Nähe zum Investor Hasan Ismaik nachgesagt wird. "Von daher nehme ich das nicht persönlich." Es ist ja keineswegs so, dass er sich mit dem neuen Weg - kein Geld mehr von Ismaik, Senkung des Budgets von rund 4,5 Millionen Euro auf drei, Fokus auf den Nachwuchs - nicht anfreunden kann: "Wir waren abgesehen von kurzen Unterbrechungen immer ein Ausbildungsverein, und die Ausbildung im eigenen Haus bekommt gerade jetzt umso mehr Stellenwert. Dieser Weg ist vorgegeben, dafür brauchen wir jetzt Lösungen, und den müssen alle Beteiligten mit voller Überzeugung gehen." Gorenzel sagt aber auch: "Dieser Weg hat auch ein Risiko, denn in diesem Budgetrahmen befinden sich zwei Drittel der Mannschaften der Liga, und da kannst du ganz schnell auch nach hinten rutschen." Das müsse er "realistisch darstellen, ohne irgendetwas bewusst politisch zu färben".

Dabei ist die Aufgabe, für drei Millionen eine Drittligamannschaft zu bauen, für Gorenzel schwieriger als für seine Kollegen in Zwickau und Großaspach. Denn Sechzig hat ja noch einige relative Spitzenverdiener im Kader, die in der vergangenen Sommerpause durch eine Genussschein-Zusage Ismaiks über zwei Millionen Euro verpflichtet werden konnten. Diese haben zum großen Teil laufende Verträge, die sich der Klub in der Gesamtheit nicht mehr leisten kann. "Es ist ganz einfach so, dass wir uns vom einen oder anderen Leistungsträger trennen müssen, um den vorgegebenen Budgetrahmen einhalten zu können", sagt Gorenzel. Die betreffenden Spieler habe er Mitte April informiert.

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Günther Gorenzel (li.) und Präsident Robert Reisinger.

(Foto: Cathrin Müller/imago)

Und von Spielern mit ungewisser Zukunft kann man sich schwerlich eine stabile Leistung erhoffen. Unvergessen: der Rumpelfußball, den 2017 eine aus allerlei Nationen rekrutierte Mannschaft in der vorerst letzten Zweitliga-Saison von 1860 spielte. "Wir haben bewusst mit der Kommunikation gewartet bis zu einem gewissen Zeitpunkt", berichtet Gorenzel. "Klar war es von Vorteil, dass wir vorher einen Lauf hatten und möglichst viele Punkte schon gemacht hatten." Den Einbruch der vergangenen Wochen könne man aber nicht allein an den Perspektiven festmachen: "Es gab viele Faktoren, dass die letzten Spiele nicht so gelaufen sind, auch Verletzungen und Sperren."

Wenn Gorenzel Lösungen für seine Leistungsträger gefunden hat, hat er seine Aufgabe noch nicht abgeschlossen. "Dann habe ich erst mal die budgetierten Vorgaben eingehalten", sagt er. "Und dann geht es darum, dass ich mir in der Folge noch einen Spielraum verschaffe, um mit bestehenden Spielern zu verlängern und um neue Perspektivspieler zu holen." Dabei dürfte das Budget, wenn sich die Einnahmen nicht erhöhen, in der übernächsten Spielzeit noch einmal signifikant sinken.

Die Löwen wollen - und müssen - verstärkt auf günstige Talente setzen. Aus dem eigenen Nachwuchsleistungzentrum (NLZ) etwa: Gorenzel nennt neben Mittelfeldspieler Dennis Dressel und Innenverteidiger Semi Belkahia, die bereits in der dritten Liga debütiert haben - und die auch an diesem Samstag beim Heimspiel gegen den KSC wieder zum Einsatz kommen könnten - noch Flügelstürmer Noel Niemann und Linksverteidiger Leon Klassen aus der U21-Bayernliga-Mannschaft. "Die Durchlässigkeit ist jetzt noch eine höhere. Die Türe ist jetzt so weit offen wie schon lange nicht mehr", sagt Gorenzel. "Das gibt es im deutschen Profifußball wahrscheinlich nirgendwo anders, das ist unser Faustpfand." Es werde "keiner mehr den Sprung direkt aus der U21 in die erste Bundesliga schaffen wie in der Vergangenheit". Zuerst gehe es darum, es aus der Bayernliga in die Drittligamannschaft zu schaffen. "Wenn sie das getan haben", sagt Gorenzel, "wird es bei dem einen oder anderen der nächste Schritt sein, dass man ihn verkauft."

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Manfred Paula.

(Foto: imago)

In Manfred Paula, 54, einst Nachwuchsleiter beim FC Augsburg und zuletzt beim 1. FC Kaiserslautern, hat das NLZ einen neuen Leiter vorgestellt. In der Pressemitteilung ist davon die Rede, dass Gorenzel "die Personalie Paula von den Vertretern des e.V. vorgestellt worden" sei. Allerdings sei es so, sagt Gorenzel: "Paula weiß, was notwendig ist, damit du einen Spieler in Richtung Profifußball bringen kannst." Mangels ausreichendem Budget der Profifußball-Abteilung wird Paulas Gehalt ausschließlich vom e.V. finanziert - obwohl er auch für U21 und U19 zuständig ist, die zur KGaA gehören. "Der e.V. greift uns in der ein oder anderen Personalie unter die Arme", sagt Gorenzel. "Ich bin dankbar dafür, dass er uns die Möglichkeit gibt, eine gewisse Struktur und eine Chancengleichheit am Markt mit Vereinen wie Augsburg, Ingolstadt oder Unterhaching aufrechtzuerhalten." Die SpVgg Unterhaching ist dabei wohl nicht nur aufgrund der Nähe der größte Konkurrent, sondern "momentan sehr, sehr ähnlich von den Rahmenbedingungen her", wie Gorenzel findet.

Die Unterstützung des e.V. für das NLZ soll nicht nur aus Mitgliedsbeiträgen kommen, die Initiative "Unternehmer für Sechzig" will auch beitragen und beispielsweise Fahrdienste und Internatsplätze finanzieren. Für neue Talente, die die Zukunft von Sechzig sein sollen. "Mir ist auch ganz wichtig zu sagen, dass man für diese Spieler Geduld braucht", sagt Gorenzel. "Da richte ich jetzt schon einen Appell an die Fans. Dass bei einem Traditionsverein Geduld nicht unbedingt das höchste Gut ist, nicht nur bei 1860, ist klar. Das müssen wir in Einklang bringen." Gorenzel findet: "Da schließt sich vielleicht der Kreis mit dem Gorenzeln." Beim Gorenzeln gehe es vielmehr darum, "eine realistische Erwartungshaltung in Verbindung mit einem klaren Handlungsplan transparent nach außen zu kommunizieren". Möglicherweise geht auch diese Wortbedeutung am Ende in den Giesinger Duden ein.

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