Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Zu wenige unverbrauchte Lungenflügel

1860 München verpasst gegen Eintracht Frankfurt knapp eine große Überraschung.

Von Christoph Leischwitz

Lange nach dem Spiel, die Trennbänder für die Hygienezonen lagen schon wieder im Mülleimer, stand Michael Köllner noch einmal alleine auf der Haupttribüne und blickte kopfschüttelnd hinunter aufs Spielfeld. Während der 90 Minuten hatte dort unten vor allem Sascha Mölders oft den Kopf geschüttelt. Der Angreifer des TSV 1860 München hatte zahlreiche Chancen gehabt, aber eben auch alle vergeben. Das einzige Tor im Pokalspiel gegen Eintracht Frankfurt gelang Phillipp Steinhart per Foulelfmeter (80.), es war der Anschlusstreffer zum 1:2-Endstand. "Das war ein hartes Stück Arbeit für uns", sagte Frankfurts Abwehrspieler Martin Hinteregger anschließend. Er hatte sich so manch hartes Duell mit Mölders geliefert, "zum Glück war das Stadion leer. Sonst hätte nach dem Anschlusstreffer die Hütte gebrannt."

Nicht auszudenken, die spannende Schlussphase hätte vor den traditionell lauten Fans stattgefunden - vielleicht wäre der Drittligist noch einmal über sich hinausgewachsen, genau so, wie es Trainer Köllner vor dem Spiel auch erhofft hatte. "Wir hatten einen Europa-League-Teilnehmer am Rand einer Niederlage", sagte er, eigentlich sei man nur "nicht kaltschnäuzig genug" gewesen. Nach dem Ärger darüber, knapp an einer großen Überraschung vorbeigeschrammt zu sein, dürfte bei Spielern wie beim Trainer vor allem die Erkenntnis stehen: Mit so einer Leistung muss man sich keine großen Sorgen machen, auch die kommende Drittliga-Spielzeit wieder unbeschadet zu bestehen. Mit einer Einschränkung vielleicht.

Klar, die Frankfurter sahen in der Ballbehandlung souveräner aus. Und wenn ein Sechziger beispielsweise in ein Laufduell mit dem pfeilschnellen Evan Obite Ndicka musste, wirkten sie tatsächlich wie krasse Außenseiter. Doch die Münchner Abwehr mit ihrer neuen Innenverteidigung, Quirin Moll und Zugang Stephan Salger, stand gegen den Bundesligisten nicht nur gut organisiert. Ihr gelangen auch immer wieder Balleroberungen und ein präzises Umschaltspiel. Dass Kapitän Sascha Mölders, 35, auch eine Bundesliga-Abwehr ärgern kann, war ohnehin zu erwarten gewesen. "Wir wussten ja vorher, dass wir keine Blinden sind", analysierte er später.

In der gerade harmonischen Welt von 1860 ist ein Mölders-Entlaster zum kleinen Politikum geworden

Die Sechziger nutzten vor allem Frankfurts Schwächen auf der rechten Abwehrseite aus. Immer wieder flogen teils gefährliche, teils etwas zu hektische geschossene Flanken in Mölders Richtung. In der 23. Minute hatte Stefan Lex diesen dann gefunden, der Angreifer köpfelte über Frankfurts Torwart Kevin Trapp hinweg. Der Ball sprang vom Innenpfosten wieder hinaus - Kopfschütteln bei Mölders. Zu diesem Zeitpunkt hatten zwar auch die Frankfurter schon einen Pfostentreffer zu verzeichnen, Dominik Kohr hatte aus 18 Metern abgezogen; doch das Chancenplus lag bis zur Pause klar bei den Gastgebern.

Köllner meinte später, dass man gegen solch einen starken Gegner aber unmöglich über die gesamte Spieldauer so gut verteidigen könne - erste Schwächen hatte er schon vor dem Seitenwechsel ausgemacht. Nun drückte Frankfurt, und die Spieler von Adi Hütter erliefen sich auch mehr Freiräume. Und so traf erst der Portugiese André Silva (51.) und dann der Niederländer Bas Dost (56.) für die Eintracht.

Sechzig wirkte erschöpft, gab aber nicht auf. Mölders erzielte ein Tor, das wegen Handspiels zurückgepfiffen wurde (64.), Quirin Moll setzte einen Kopfball knapp neben das Tor (65.), der eingewechselte Rückkehrer Richard Neudecker wurde frei vor dem Tor gerade noch abgegrätscht (68.). Dann war der Außenseiter plötzlich wieder im Spiel: Stefan Lex holte gegen Keeper Trapp einen Foulelfmeter heraus, Phillipp Steinhart verwandelte sicher (80.). Danach entwickelte sich eine unterhaltsame Schlussphase mit guten Chancen auf beiden Seiten, wobei die Frankfurter auch auf beiden Seiten für die guten Chancen sorgten: In der 86. Minute erzielte David Abraham fast ein Kopfball-Eigentor. Der Frankfurter Angriff um den portugiesischen Nationalspieler Silva und den Routinier Dost hatte den Unterschied gemacht, Köllner schwärmte von ihren Qualitäten.

Abgesehen davon, dass für einen Umschwung die Zuschauer fehlten, fehlten vielleicht auch noch zwei unverbrauchte Lungenflügel, um den Angriff in der Schlussphase noch einmal zu beleben. "Es wäre sicher gut gewesen, von der Bank noch was zu bringen", sagte Köllner. Wohl wissend, dass in der zurzeit vergleichsweise sehr harmonischen Sechziger-Welt der fehlende Mölders-Entlaster zu einem kleinen Politikum geworden ist. Geschäftsführer Günther Gorenzel sagt, dass man noch suche, dass man allerdings auch recht hohe Ansprüche habe. Umgekehrt formuliert könnte man aber auch sagen, dass die Sechziger spät dran sind: So kurz vor dem Saisonstart, zu dem die Löwen am Samstag nach Meppen reisen, sind gute Stürmer äußerst rar. Doch sie würden sich sicherlich mit weniger zufrieden geben als die Eintracht, der man auf Augenhöhe begegnet war.

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.5029877
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 14.09.2020
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.