TSV 1860 München:Der Mann, der den Investor besänftigen soll

TSV 1860 München

"Dass ich mich nicht ins operative Tagesgeschäft einmische, ist in meiner Aufgabenbeschreibung ganz klar definiert." - Peter Cassalette.

(Foto: sampics/Stefan Matzke)
  • Ein Mediator für Sechzig: Peter Cassalette kandidiert an diesem Sonntag als 1860-Präsident.
  • Er ist der geeignete Mann, um die im Sommer in Abu Dhabi begonnene Politik der Entspannung fortzusetzen.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

Adalbert Wetzel ist der Lieblingspräsident von Peter Cassalette. Wetzel war schließlich nicht nur Direktor der Münchner Coca-Cola-Fabrik, sondern regierte auch von 1952 bis 1969 den TSV 1860 München, nicht nur sehr lange, sondern auch sehr erfolgreich. Die Löwen waren unter seiner Führung der beste Fußballklub in München und wurden gar deutscher Meister. Cassalette, der an diesem Sonntag in der Tonhalle (14 Uhr) von den Mitgliedern zum gefühlt tausendsten Nachfolger Wetzels gewählt werden soll, freute sich auf sein Präsidentenzimmer an der Grünwalder Straße 114a daher nicht nur wegen des schönen Ausblicks vom obersten Stock aufs Trainingsgelände, sondern auch, weil dort ein in düsteren Farben gemaltes, ehrfurchtsvolles Portrait Wetzels in Ölfarben an der Wand hängt.

Allerdings wird Cassalette in dem Zimmer womöglich gar nicht mehr sitzen. Es war zumindest geplant, dass dort aus Platzmangel der neue Sportchef Oliver Kreuzer einziehen wird (der nach einiger Aufregung erklärte, es sei ihm egal, wo er sein Büro hat). Dass der Präsident ursprünglich nicht mehr ganz oben residieren sollte bei Sechzig, nicht mehr im Bereich der Profifußball-KGaA, sondern weiter unten beim e.V., durfte man durchaus symbolisch sehen: Cassalette, 62, ist der Kandidat eines Verwaltungsrats, dessen Vorsitzender Karl-Christian Bay sich im Sommer des Wahnsinns in ein Flugzeug in Richtung Abu Dhabi setzte, und als er wieder in München landete, war Noor Basha, Vertreter des jordanischen Investors Hasan Ismaik, Geschäftsführer der 1860-Fußballfirma.

Ursprünglich war Bay in der Hoffnung und mit der Mission zu Ismaik geflogen, den zuvor vom ehemaligen Präsidium um Gerhard Mayrhofer vergeblich forcierten Anteilsverkauf wieder in Schwung zu bringen. An diesem Plan hat sich nach SZ-Informationen nichts geändert. Im Gegenteil: Sowohl die Berufung Bashas in eine Führungsposition, für die er nicht qualifiziert ist, als auch die Nominierung des offenbar mediatorisch veranlagten Kandidaten Cassalette, der in erster Linie nicht für neuerlichen Zank mit Ismaik sorgen soll ("Wir sind mit dem Investor auf einem guten Weg: Momentan ist Waffenruhe"), sind Ausdruck einer Doktrin, die Bay und Interimspräsident Siegfried Schneider im Sommer erdachten.

Es geht entweder mit Ismaik oder ohne Ismaik. Es geht aber nicht gegen ihn.

Die unausgesprochene Erweiterung des Plans wiederum zielt nun darauf ab, dass das Mit - möglichst bald - zum Ohne führen soll. Basierend auf der Erkenntnis, dass sich in der arabischen Welt Geschäfte am ehesten in Harmonie abwickeln lassen; und der Überzeugung, dass Ismaik niemals im Zorn verkaufen wird. Möglicherweise aber, wenn er besänftigt ist. Es ist ein riskanter Plan, in dem der Vereinspräsident angehalten ist, sich aus den Geschicken der KGaA möglichst herauszuhalten. Cassalette sagt: "Dass ich mich nicht ins operative Tagesgeschäft einmische, ist in meiner Aufgabenbeschreibung ganz klar definiert. Dafür haben wir qualifizierte Leute eingestellt jetzt."

Und Basha eben. Man könnte all diese Vorgänge als eine Machtverschiebung sehen - innerhalb der Profifußball-KGaA hin zu Ismaik und seinen Vertretern, Basha und dem neuen Beiratsmitglied Ulrich Bez, in dem Ismaik erstmals einen rationalen und kompetenten Vertreter hat, dem er offenbar voll vertraut; und als Machtverschiebung innerhalb des e.V. hin zum Verwaltungsrat. In beiden Fällen: weg vom Präsidenten. "Ich bin jetzt mit Sicherheit nicht der Typ, der Sprachrohr des Verwaltungsrats ist oder eine Marionette", sagt Cassalette, ergänzt aber: "Ich werde meinen Weg versuchen zu gehen, aber natürlich muss man sich abstimmen mit den Gremien."

Peter Cassalette

"Früher dachte ich mir: Warum können wir nicht mal so einen Investor aus dem Ärmel zaubern? Dann war er da. Für mich als Fan war er ein Messias: keine Schulden mehr, jetzt geht es nur noch aufwärts. Da haben wir halt Pech gehabt."

Zur Machtverschiebung passt auch die wohl bereits gelebte Verlagerung von Entscheidungen aus der Geschäftsführungs-GmbH (einer hundertprozentigen Tochter des e.V.) in den Beirat der KGaA: einen paritätisch besetzten, vierköpfigen Gremium, in dem Ismaiks Einfluss so groß ist wie der des Vereins. Der Beirat ist im komplizierten Organigramm der KGaA ein Ort, an dem 50+1 (also die Kompetenzhoheit des Vereins gegenüber dem Investor) nicht gesichert ist. Sportdirektor Kreuzer führte nach eigenen Angaben vor seiner Einstellung Gespräche mit den Beiratsmitgliedern Bay und Bez - und nicht mit Übergangspräsident Siegfried Schneider und Vize Heinz Schmidt, die am Ende zustimmen mussten. Und Cassalette erfuhr als designierter Präsident von der Personalie aus der Zeitung. Er sagt: "In der Woche seit meiner Kandidatur hat sich viel bewegt. Da kann ich natürlich nichts dafür."

"Drohungen und Erpressungsversuche? Das ist nicht der richtige Weg"

Es ist insgesamt ein Plan, der die Deutsche Fußball-Liga (DFL) hellhörig machen dürfte, die den Kooperationsvertrag 2011 nur mit einer Klausel genehmigte, die Sechzigs Vereinspräsident mit einem Weisungsrecht gegenüber der Geschäftsführung (Basha und Markus Rejek) ausstattete, das Ismaik nicht besitzt.

Doch es ist ein Plan, zu dem es aus Sicht des Verwaltungsrats keine Alternative gibt. Weil alle anderen Strategien in der Vergangenheit gescheitert sind: Präsident Dieter Schneider versuchte, Ismaik zu ignorieren und vom Informationsfluss abzuschneiden. Die Beziehung eskalierte. Hep Monatzeder stellte Forderungen, beschimpfte Ismaik und war nicht einmal gewählt, als es eskalierte. Mayrhofer rollte Ismaik den roten Teppich aus, gab Basha seinen ersten kleinen Job in der KGaA, nannte Ismaik einen Freund und verbat der Presse das Wort "Investor". Es eskalierte dennoch. Vor allem, weil Ismaik aus Mayrhofers Sicht zu wenig Geld in die Mannschaft investiert. Und auch, weil sich der Jordanier bei einem seiner Besuche nonchalant erkundigte, ob er sich nicht zum Präsidenten wählen lassen solle, Mayrhofer dürfe den Vize geben. Ismaik hat der SZ inzwischen den Vorfall bestätigt, merkte allerdings an, die Frage sei ein Scherz gewesen.

Es liegt nun in der komplizierten Natur der Sache, dass Cassalette eine mögliche Sehnsucht nach einem Anteilsverkauf niemals aussprechen könnte. Seine Beziehung zu Ismaik würde eskalieren, bevor er ihn erstmals getroffen hat. Also packt Cassalette sein Konzept in Worte aus Watte, er sagt: "Man muss halt überlegen: Wie weit kann man was sagen oder ist es überhaupt schon so weit gediehen, dass man etwas sagen kann oder besser noch nicht? Mittelfristig brauchen wir einen Partner, der investiert - und wenn Hasan das nicht macht, müssen wir uns nach einem anderen umsehen. Aber ob ich da jetzt hinkomme mit Drohungen und Erpressungsversuchen? Das ist nicht der richtige Weg." Man müsse "ja auch die Mentalitäten beachten", sagt er: "Manchmal ist es egal, ob ich fünf Millionen oder mehr verliere, aber es ist wichtig, dass ich mein Gesicht wahre." Er könne ja nicht zu Ismaik sagen: "Ich hab' da einen Interessenten, der gibt dir so und so viel Geld. Gib' die Firma her!" So aber sah das Konzept von Mayrhofer aus.

Genau wie sein Vorgänger bringt Cassalette am Anfang seiner Kandidatur großes Verständnis für den Jordanier auf, dessen Investment sich auf fast grotesk kabarettistische Weise Jahr für Jahr immer weiter zu entwerten scheint. "Der Mensch hat sehr viel Geld in den Verein gesteckt, warum auch immer, wahrscheinlich nicht, weil er so ein großes Löwenherz hat", sagt Cassalette. "Und den Ausdruck ,Wer zahlt, schafft an' würde ich schon verinnerlichen können." Der Präsidentschaftskandidat hat da ein schönes Beispiel: "Meine Frau macht jetzt eine Modeboutique auf und ich geb' ihr eine Million dafür. Nach zwei Jahren will sie aber wieder eine Million und ich sage: Jetzt mag ich nicht mehr oder ich mache es selber. Ich darf aber nicht mitsprechen, weil sie sagt: Du verstehst nix von Mode."

Man kann Cassalette also kaum unterstellen, dass er nicht begriffen hat, worauf er sich bei Sechzig einlässt. "Ich habe ja sowieso eine schöne Probezeit", sagt er im Hinblick auf seine Amtszeit bis Juni, "sowohl von der Seite der Mitglieder aus als auch von meiner - falls ich sage, ich kriege hier wirklich einen Herzkaschperl." Cassalette hat zwar in seinem Berufsleben als Geschäftsführer verschiedener großer Unternehmen viel erlebt, aber ganz so gestählt wie sein Lieblingspräsident ist er nicht. Adalbert Wetzel fuhr als 17-Jähriger zur See, arbeitete in Venezuela in der Ölbranche und überlebte einen Machetenangriff im kolumbianischen Dschungel, bei dem ihm die Bauchdecke aufgeschlitzt wurde. Dass er es später so lange bei Sechzig aushielt, war da wenig verwunderlich.

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