Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Wende mit Gegenwind

Sechzig führt gegen Oldenburg bis kurz vor Schluss 2:0 und muss sich im ersten Spiel unter der Leitung von Geschäftsführer Gorenzel dennoch mit einem Punkt begnügen.

Von Christoph Leischwitz

Eine ganz entscheidende Szene ereignete sich schon vor dem Anpfiff: Max Wegner, Kapitän des VfB Oldenburg, hatte die Platzwahl gewonnen und sich entschieden, den Rückenwind für die zweite Halbzeit aufzusparen. Nach dem Pfiff schienen die äußeren Bedingungen lange eine untergeordnete Rolle zu spielen. Der TSV 1860 München hatte das Auswärtsspiel über weite Strecken im Griff, ein so genannter Befreiungsschlag zeichnete sich ab nach der Beurlaubung von Trainer Michael Köllner - taktische Disziplin und Körpersprache waren diesmal deutlich verbessert. Doch in der 90. Minute machte dann Oldenburgs Manfred Starke etwas, das gegen den Wind ganz sicher nicht möglich gewesen wäre: Er schoss aus rund 40 Metern den Ball perfekt zum 1:2 unter die Latte, unerreichbar für den etwas weit vor dem Tor stehenden Marco Hiller.

Beinahe wäre der Löwen-Keeper trotzdem zum Helden geworden, in der 93. Minute lenkte er noch einen Schuss von Patrick Hasenhüttl um den Pfosten. Doch mit dem Schlusspfiff lag der Ball dann doch noch im Netz, weil Semi Belkahia einen Ball aus kurzer Distanz slapstickhaft auf Nase bekam - Pascal Richter stand richtig und traf zum umjubelten 2:2. Sechzig hatte trotz 2:0-Führung nicht gewonnen, das Gefühl eines Befreiungsschlags blieb aus. Die Löwen bleiben Tabellensechster in der dritten Liga, doch das Verfolgerfeld wird zurzeit immer größer.

Günther Gorenzel ist ein ausgesprochen sachlicher Mensch. Erst zwei Tage vor dem Spiel in Niedersachsen hatte er seine Hände auf den Bauch gelegt und gesagt, dass er nicht hiermit denke, sondern hier, und fasste sich an den Kopf. Der 51-jährige Geschäftsführer war als Interimstrainer eingesprungen, wobei aktuell niemand sagen kann, wie lange diese Zwischenlösung dauern wird. Bis wann ist eigentlich eine Übergangszeit wirklich nur eine Übergangszeit?

Jedenfalls fiel das Resümee zu seinem ersten Spiel in Doppelfunktion gemessen an der stürmischen, frustrierenden Schlussphase sehr ruhig aus. Gorenzel schaffte es, den Fokus auf die 89 Minuten davor zu legen. Man habe das Spiel meistens kontrolliert, die Spieler hätten "Positionsaufgaben" gut umgesetzt, taktisch sei der Plan aufgegangen, sagte er bei Magentasport. Und in seinem analytischen Tonfall klang es dann auch gar nicht so schlimm, dass das unglückliche erste Gegentor irgendwo ja auch zur psychischen Situation seiner Mannschaft passe.

In der Tat konnte Gorenzel mit den Früchten seiner Trainerarbeit durchaus zufrieden sein, auch wenn die Löwen nicht daherkamen wie ein wiedererstarkter Aufstiegskandidat. Zumindest lieferte 1860 bei seinem ersten Gastspiel in Oldenburg überhaupt ein anderes Spiel ab als zuletzt: mit langen Ballbesitzphasen, mit konstantem Pressing in der gegnerischen Hälfte, was viel Verständnis für die Mitspieler und hohe Laufbereitschaft erfordert.

Interimscoach Gorenzel trifft einige bemerkenswerte Personalentscheidungen

Auffällig waren vor allem Gorenzels Personalentscheidungen. Vor dem Spiel hatte er kurz erwähnt, "ganz kleine Adaptionen" vorzunehmen, er setze auf Erfahrung. Dann stand plötzlich Quirin Moll in der Startelf, überhaupt erst zum zweiten Mal in der laufenden Saison. Und dazu noch frühere Stammkräfte wie Stefan Lex, Jesper Verlaat und Marcel Bär, die in den vergangenen Wochen offensichtlich nicht mehr das komplette Vertrauen von Köllner genossen hatten.

Nur: Chancen erspielten sich die Sechziger selten. Nach dem ersten Abschluss von Albion Vrenezi nach einer Flanke von Leandro Morgalla, diesmal Rechtsverteidiger, dauerte es bis zur 19. Minute, ehe Lex einen letztlich harmlosen Fallrückzieher aufs Tor brachte. Priorität hatte offensichtlich, den Gegner vom eigenen Tor fernzuhalten.

Die Führung der Münchner kam durch eine Einzelaktion zustande: Erik Tallig war kurz zuvor eingewechselt worden und traf mit einem den Gegenwind ignorierenden, harten Schuss von der Strafraumkante (58.). Das Spiel schien schon entschieden, als Marcel Bär sieben Minuten vor Schluss sein erstes Tor seit seiner Verletzung im vergangenen Sommer gelang: Lakenmacher hatte Oldenburgs Sebastian Mielitz geprüft, dessen Faustabwehr zur Seite nutzte Bär für einen Abstauber (83.).

Im Gegensatz zu seinem Trainer fehlten dem enttäuschten Torschützen Tallig nach dem Spiel zunächst die Worte. Aber: "Wir haben auch viel richtig gemacht", besann sich der 23-Jährige noch. Man wisse ja auch, dass man Spiele gewinnen könne. Und wenn das jetzt wieder gelinge, "dann dürfen wir auch noch vom Aufstieg träumen".

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