Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Tolle Dinge

Nach dem Sieg in Großaspach und den Patzern der Konkurrenz spielt 1860 doch noch um den Aufstieg. Auch dank eines bewährten Kniffs.

Von Markus Schäflein

Michael Köllner konnte es selbst kaum glauben, als er nach dem 4:2 (2:2)-Sieg bei der SG Sonnenhof Großaspach auf die Tabelle blickte. "Wir sind im Finish dabei, das ist verrückt", meinte der Trainer des Fußball-Drittligisten TSV 1860 München, und in der Tat ist seine praktisch eigentlich schon abgeschlagene Mannschaft angesichts bizarrer Patzer der Konkurrenz wieder im Kampf um den Aufstiegs-Relegationsplatz dabei: "Hinter uns sind Teams, die wesentlich höher eingestuft waren", stellte Köllner mit einigem Recht fest.

Ingolstadt verliert gegen Magdeburg! Duisburg gibt den Sieg beim FC Bayern II in der Nachspielzeit aus der Hand! "Das war eine gefühlte Achterbahnfahrt", sagte Köllner. Das konnte man über den Blick in die anderen Stadien behaupten, der Trainer meinte aber den eigenen Auftritt beim längst abgestiegenen Tabellenvorletzten Großaspach. "Es ging rauf und runter. Aber man muss positiv bleiben", stellte Köllner fest. "Man merkt die Englischen Wochen. Das zehrt, das merkt man schon in einem solchen Spiel."

1860 ging schon in der 10. Minute in Führung, Daniel Wein traf auf Zuspiel von Sascha Mölders. Lex (12.) sowie der erneut von Beginn an eingesetzte Nachwuchs-Offensivspieler Fabien Greilinger (16., 17.) vergaben dann allerdings Chancen zur frühen Vorentscheidung. Bei einem 3:0 "wäre das Thema durch gewesen", meinte Köllner, stattdessen kassierte sein Team ein "blödes Tor" zum Ausgleich: Nach einer Flanke von Joel Gerezgiher setzte sich Kai Brünker per Kopf gegen Dennis Erdmann durch (18.). Was dann passierte, hatte mit einem Aufstiegskandidaten wenig zu tun, aber den meisten Aufstiegskandidaten der dritten Liga passieren momentan ja solche Phasen. "Wir haben uns angeschaut und uns nicht mehr ausgekannt", berichtete Mittelfeldspieler Tim Rieder bei Magenta Sport. Brünker traf ein zweites Mal, nach einem Ballverlust von Phillipp Steinhart (30.), seinen Hattrick verhinderte dann 1860-Torwart Marco Hiller. "Wir können auch 1:3 hinten liegen. Das wäre kaum mehr zu drehen gewesen", meinte Köllner. "Zum Glück machen wir vor der Halbzeit noch das 2:2."

Tim Rieder erzielte es, nach Vorarbeit des zurecht beliebten Duos Lex/Mölders. Der Torschütze stellte fest: "Danach war wieder etwas mehr Ruhe im Spiel."

Sogar ein bisschen zu viel Ruhe nach dem Geschmack von Köllner. Also griff er zu einem beliebten Corona-Kniff und brachte einen seiner Besten von der Bank, den in die erste türkische Liga scheidenden Efkan Bekiroglu. Dass der Regisseur sich trotz des Wechsels bereit erklärt hatte, seinen auslaufenden Vertrag in den Juli auszudehnen, machte sich bezahlt: Er traf zum 3:2 (76.) und mit einem sehenswerten Lupfer zum 4:2 (80.). "Die frischen Spieler haben die Wende gebracht", stellte Köllner fest. "Heute war es gut, dass wir von der Bank nochmal nachlegen konnten." Und die abgestiegenen Großaspacher, die unbekümmert aufgespielt hatten und ein gewisses Können beweisen wollten, erwiesen sich in der zweiten Hälfte dann doch noch als der richtige Gegner zur richtigen Zeit.

Köllner schickt seinen Spielern ja gerne Geschichten, die ihnen Mut machen und sie motivieren sollen. Welche Geschichte er ihnen vor dem Ausflug zur SG Sonnenhof geschickt hat, ist nicht bekannt, aber vielleicht haben die Löwen ja vom hässlichen Entlein erfahren, das hintenraus ein stolzer Schwan wird. "Ich habe der Mannschaft immer gesagt: Glaubt nicht, was andere sagen", sagte Köllner jedenfalls. "Im Fußball passieren die tollsten Dinge."

Besonders toll wäre es für den TSV 1860, wenn er am Samstag (14 Uhr) gegen den FC Ingolstadt gewinnen und ihn dadurch in der Tabelle überholen würde, und wenn zeitgleich sowohl Duisburg (gegen Unterhaching) als auch Rostock (in Chemnitz) nicht siegen würden. Dann, und nur dann, würden die Löwen an der Zweitliga-Relegation gegen den 1. FC Nürnberg teilnehmen.

Was nun noch fehlt zu den tollen Dingen, ist ein Tollhaus. Das Grünwalder Stadion wäre ausverkauft und der Stadtteil Giesing überfüllt - würde es sich nicht um ein so genanntes Geisterspiel handeln. "Normalerweise würde am Samstag das Stadion platzen", sagte Köllner. Ein bisschen ärgerlich ist es schon, dass beim möglichen Wunder niemand dabei sein kann. Aber Köllner steht ja auf dem Standpunkt, dass die Energie aus den Wohnzimmern nach Giesing strahlt. Es würde einen nur noch wenig wundern, wenn selbst das stimmen würde.

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SZ vom 03.07.2020
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