TSV 1860 München:Streit um das Problemkind

TSV 1860 München hat neuen Geschäftsführer

Bleibt im Amt: Robert Reisinger (links, Archivbild)

(Foto: Sven Hoppe/dpa)
  • In einer turbulenten Versammlung bestätigen die Mitglieder des TSV 1860 das Präsidium.
  • Robert Reisinger erhält 64 Prozent der Stimmen und kündigt an, den Konsolidierungskurs fortzusetzen.
  • Eine Insolvenzanmeldung kann vermieden werden, weil Investor Ismaik Darlehen stundet.

Von Markus Schäflein

Zu Beginn der Mitgliederversammlung hatte Robert Reisinger, der Präsident des tief gespaltenen Fußball-Drittligisten TSV 1860 München, die neue Aktion "VEREINen statt spalten" vorgestellt - denn es herrsche ja leider "ein vergiftetes Klima im Verein", das aus einem "Sumpf aus Fake News und Propaganda" entstanden sei. "Wir haben dem Treiben leider zu lange zugesehen", stellte Reisinger fest, der bekanntlich keine neuen Darlehen von Investor Hasan Ismaik akzeptiert, was seine Gegner für eine schlechte Idee halten. "Konflikte und Interessensgegensätze sind normal für einen Verein unserer Größe", meinte er, "aber Anstand und Respekt voreinander sind die Voraussetzung." Er erwähnte nicht nur das Internet, auch "gewisse Lieder", und tatsächlich wurde das so genannte Scheich-Lied diesmal weder gesungen noch gesummt.

Fast vier Stunden lang verlief auch sonst alles anständig, bis Thomas Schummer ans Mikrofon trat, der 70 Jahre alte Arzt aus Mainburg, der schon vor der Versammlung für Reisingers Abwahl geworben hatte. "Die Pyromanen genießen bei Ihnen Welpenschutz. Warum sind Sie nicht aktiv gegen die Pyroaktivisten?", fragte Schummer, so dass einige Mitglieder, möglicherweise Pyroaktivisten, sangen: "Du bist so lächerlich!" Reisinger entgegnete, das Präsidium habe "immer wieder appelliert an die Vernunft, keine Pyro zu zünden", er meinte aber auch: "Wer bei diesem Thema so auf meine Person zielt wie Sie, hat ganz andere Absichten. Scheinbar ist die Pyrotechnik erst erfunden worden, seit der Reisinger Präsident ist."

"Sie sind ein Spalter!"

3 Liga  TSV 1860 München -

Jetzt red i: Präsident Robert Reisinger (oben) hatte die Mehrheit im Zenith überzeugen können, nach der Wahl skandierten Mitglieder seinen Namen. Allesfahrer Franz Hell (unten) dagegen hat seine Zweifel am Kurs der Führung.

(Foto: Stefan Matzke/sampics)

Schummer rief außerdem in Richtung Reisinger: "Sie sind kein Brückenbauer, Sie sind ein Spalter! Sie sind vom mächtigen Verwaltungsrat als Spalter eingesetzt!" Die Halle tobte nun, Schummer wurde beschimpft, angegangen und schließlich von Sicherheitspersonal flankiert - er ging dann noch vor der Wahl nach Hause. Es folgten noch etliche Kritiker des Präsidiums, darunter auch der frühere Erfolgstrainer Karsten Wettberg, der Reisinger "vereinsschädigendes Verhalten" vorwarf und brüllte: "Robert, schaff die Pyros ab!" Wettberg meinte: "Man kann von Ismaik ruhig Geld annehmen, da wir es eh nicht zurückgeben werden." Immer wieder ging es um Pyrotechnik, das Grünwalder Stadion und die vermeintlich mangelhafte Perspektive im Profifußball, eines war aber akustisch schon klar: Die Befürworter Reisingers waren in der Überzahl.

Um 10.30 Uhr war es noch ruhig gewesen in der Veranstaltungshalle Zenith, die Meisterlöwen von 1966 wurden zu Ehrenmitgliedern gemacht, darüber waren sich die Anwesenden natürlich einig. Dann stand gleich die Rede Reisingers an, der an diesem heißen Sonntag erneut zum Präsidenten des TSV 1860 München gewählt werden wollte - und auch gewählt werden würde, das war angesichts der Stimmung in der Halle schon am Morgen zu ahnen. Und daher wollte Reisinger in seiner Rede dann mal was klarstellen: dass er, später am Nachmittag, auch demokratisch gewählt werden würde.

Fans singen "Unser Präsident"

3 Liga  TSV 1860 München -

Allesfahrer Franz Hell (unten) hat seine Zweifel am Kurs der Führung.

(Foto: sampics / Stefan Matzke)

"Vor sechs Jahren haben sich die Mitglieder dieses Vereins eine neue Satzung gegeben. Diese Reform wurde von konservativen Kräften, die dem alten Patriarchat nachhingen, erbittert bekämpft", sagte Reisinger mit Blick auf die Abschaffung des Delegierten-Systems von Karl-Heinz Wildmoser, das abgelöst wurde von der Direktwahl von Präsidium und Verwaltungsrat durch die Mitgliederversammlung: "Es klingt wie ein schlechter Scherz, wenn genau diese Kräfte jetzt behaupten, unsere Satzung sei eine undemokratische."

Er meinte die Anhänger von Saki Stimoniaris, der als Statthalter von Investor Ismaik gerne Präsident geworden wäre, aber vom Verwaltungsrat nicht nominiert wurde. 2016 hatten die Mitglieder abgestimmt, ob sie künftig eine Kampfkandidatur mehrerer Präsidenten zulassen wollten - sie hatten das abgelehnt. "Da waren vor allem diejenigen dagegen, die heute die Vokabel undemokratisch im Mund führen", sagte Reisinger auf dem Podium. Er selbst habe sich damals sogar für die Möglichkeit mehrerer Kandidaten ausgesprochen. Und um zu widerlegen, dass er stets nur von einer kleinen Minderheit gewählt werde, hatte er ein Balkendiagramm mitgebracht, mit einem Vergleich zum FC Bayern, dem VfB Stuttgart, Augsburg und Nürnberg: "Nirgendwo kommen prozentual mehr Mitglieder zur Versammlung als bei uns."

Und jene rekordverdächtigen 1651 anwesenden Mitglieder entlasteten zunächst das Präsidium und den Verwaltungsrat - und wählten dann mit deutlicher Mehrheit Reisinger (1057 Ja-Stimmen, 542 Nein) sowie seine Vizepräsidenten Heinz Schmidt (1049 Ja, 147 Nein) und Hans Sitzberger (1036 Ja, 118 Nein). Mithin wählten sie auch den ausgerufenen Konsolidierungskurs der Profifußball-KGaA, die Reisinger "unser Problemkind" nannte: "Wir sind uns absolut einig, diese Schuldenspirale zu durchbrechen. Eine weitere Verschuldung kann nicht im Sinne der Gesellschaft liegen, das verstehen noch nicht alle im Verein." Immerhin 64 Prozent der Anwesenden sahen es aber so, sie skandierten nach der Wahl: "Reisinger, Reisinger" und sangen "Unser Präsident".

Was dieser Kurs in Zahlen bedeutet, hatte Karl-Christian Bay, Aufsichtsratsmitglied der KGaA, zu berichten. Der Lizenzspieler-Etat der kommenden Saison wird noch 3,0 statt bisher 4,0 Millionen Euro betragen, die Prognose für 2020/21 lautet dann: 2,4 Millionen Euro. Laut Sport-Geschäftsführer Günther Gorenzel sind drei Millionen das Minimum, um einen Klassenverbleib in der dritten Liga anstreben zu können, für einen Aufstieg in die zweite bedürfe es eines Fünf-Millionen-Etats in zwei aufeinanderfolgenden Jahren. "Das bedeutet, wir brauchen dringend Möglichkeiten der Kapitalzufuhr", sagte Bay. Das Präsidium hatte Ismaik zu diesem Zweck Gespräche über den Einstieg eines dritten Gesellschafters angeboten, Reisinger berichtete: "Wir haben ihn vor zwei Monaten darüber informiert und mehrere Termine angeboten, die unser Mitgesellschafter leider noch nicht wahrgenommen hat."

Wo er schon einmal Schlimmes zu berichten hatte, fuhr Bay fort: "Die Bilanzstruktur ist zusammenfassend: schrecklich." Das negative Eigenkapital der KGaA betrug 22,2 Millionen Euro, davon 17,5 Millionen bei Ismaiks Firma HAM. "Wenn eine Bilanz so aussieht, redet man von einer bilanziellen Überschuldung", sagte Bay - wieder einmal ist eine positive Fortführungsprognose für die kommenden zwei Jahre nötig, um eine Insolvenzanmeldung zu vermeiden. Immerhin, diese konnte erreicht werden: Wie Bay berichtete, hatte Ismaik kurz vor der Versammlung seine Darlehen für ein weiteres Jahr gestundet.

Den gewünschten Wahlerfolg brachte es dem Investor nicht, seine Befürworter mussten ein weiteres Mal eine klare Niederlage hinnehmen und verließen nach Reisingers Wiederwahl in Scharen die Halle. Vergleichsweise mild fiel dagegen die Enttäuschung von Allesfahrer Franz Hell aus, er neigte zum Fatalismus. "Ich habe ein bisschen Bedenken, dass der sportliche Erfolg wirklich kommt", sagte er: "Wenn wir in der dritten Liga bleiben wollen, muss ich mich entscheiden, ob ich samstags lieber an den Badesee fahre." Eine Idee, die wohl der Temperatur in der Halle entsprungen war.

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