TSV 1860 München:Schulterspiel am Schönbusch

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Nach dem Pokal-Aus bei Viktoria Aschaffenburg beklagt 1860-Trainer Bierofka eine "bodenlose Leistung" in der Anfangsphase - und einen bodenlosen Handelfmeter.

Von Sebastian Leisgang

In aller Regel laufen Pressekonferenzen nach Fußballspielen ja so ab: Erst sagt der Trainer der Gäste ein paar Sätze zu den zurückliegenden 90 Minuten, dann sagt der Trainer der Gastgeber ein paar Sätze, und dann ist die Veranstaltung vorüber. Am Dienstagabend in Aschaffenburg aber, die Medienrunde war noch keine Minute alt: laute Pfiffe, gerichtet gegen den Trainer der Gäste. Viktoria Aschaffenburg hatte nämlich nicht nur Journalisten Zutritt zur Pressekonferenz gewährt, sondern auch den so genannten Vips, also den besonders wichtigen Menschen, die zumindest in diesem Augenblick auch das waren: Vaps, besonders aufgebrachte Menschen.

Daniel Bierofka, 40, hatte gerade die zentrale Szene des Spiels angesprochen. Es war jene Szene, die zum entscheidenden Tor geführt hatte und seine Mannschaft, den TSV 1860 München, im Halbfinale aus dem Landespokal ausscheiden ließ. Bierofka sprach Viktoria Aschaffenburg zunächst ein Lob aus, dann sagte er: "Aber trotzdem ist das kein Elfmeter. Sie können es sich gerne noch mal anschauen in den Bildern, der Ball geht ganz klar an die Schulter." Die besonders wichtigen Menschen waren außer sich und konnten sich nicht mehr zügeln. Obwohl ihre Mannschaft, der Regionalliga-13., mit einem 3:2 (2:2) ins Endspiel vorgerückt war und sich damit die Chance erhalten hatte, sich mit einem Sieg gegen die Würzburger Kickers erstmals seit mehr als einem Vierteljahrhundert für den DFB-Pokal zu qualifizieren. Drittligist Sechzig hingegen nimmt - erstmals seit ebenfalls mehr als einem Vierteljahrhundert - nicht an der Hauptrunde teil, was Geschäftsführer Günther Gorenzel "sportlich und wirtschaftlich schmerzhaft" nannte. Dem klammen Klub entgeht eine sechsstellige Summe.

Ein Fußballspiel ist ein Versprechen, allerdings nur solange, bis der Schiedsrichter es eröffnet. Dann entscheidet es sich: ob das Versprechen eingelöst wird - oder ob das Spiel doch etwas anderes bereithält.

"Wir diskutieren jede Woche - auch auf höherer Ebene", schimpft Jan Mauersberger

Das Duell in Aschaffenburg sah einen turmhohen Favoriten vor, den TSV 1860, und einen Außenseiter, die Viktoria, deren Balljungen vor der Partie Fotos mit den Münchner Spielern schossen - und sich hinterher selbst vor die Kameraobjektive schlichen, als die Fotografen ein Siegerfoto von den Aschaffenburgern schossen. Bierofka war da längst auf dem Weg in die Kabine, schnurstracks, die blaue Mütze tief ins Gesicht gezogen, erzürnt ob der, wie er später sagte, "bodenlosen Leistung", die seine Mannschaft in der Anfangsphase des Spiels abgeliefert hatte.

Auch das gehörte ja zur Dramaturgie dieses Duells: dass sich der Favorit zu Beginn so gar nicht als Favorit zu erkennen gab und nach den Toren von Daniel Cheron (12.) und Simon Schmidt (20.) bereits Mitte der ersten Hälfte dem Aus in die Augen blickte, während die Aschaffenburger Fans schon skandierten: "Berlin, Berlin, wir fahren nach Berlin." Dann erst erinnerte sich der TSV 1860 daran, wer die ranghöhere Mannschaft ist, machte den Rückstand durch Efkan Bekiroglu (37.) und Herbert Paul (43.) wett - und musste dann doch mitansehen, wie Björn Schnitzer die Viktoria aus elf Metern zwar nicht nach Berlin, sehr wohl aber ins Toto-Pokal-Endspiel schoss (82.).

So waren es im Nachgang zwei zentrale Fragen, die Sechzig in der Retrospektive umtrieben: Wie ist, erstens, diese Anfangsphase zu erklären, die Bierofka dazu veranlasste, die Einstellung seiner Spieler in Frage zu stellen? Und wie lässt sich, zweitens, in diesen Tagen überhaupt ein Fußballspiel bestreiten, ohne dass hinterher über ein Handspiel debattiert wird?

1860 sollte in der Liga schon noch den einen oder anderen Zähler sammeln

Jan Mauersberger, 33, stand vor dem Kabinentrakt des Stadions am Schönbusch und schüttelte den Kopf. Die Mannschaft habe doch auch in der Anfangsphase "Ballkontrolle gehabt", bloß "die Konter nicht gut abgesichert". Und zum Elfmeter, den Schiedsrichter Steffen Brütting verhängte, als Paul den Ball tatsächlich nur mit der Schulter berührt hatte: "Hand muss Absicht sein, und dann ist es auch Elfmeter." Es arbeitete jetzt in ihm. Mauersberger sprach von einer "lächerlichen Regelung", da müsse doch mal eine klare Linie her, "weil wir diskutieren jede Woche - auch auf höherer Ebene".

Der TSV 1860, der in der dritten Liga drei Spiele vor dem Saisonende fünf Punkte vor der Abstiegszone steht, sollte zur Sicherheit schon noch den einen oder anderen Zähler sammeln - in Zwickau, gegen Köln und in Jena. Dabei muss er nun wohl auch noch auf Flügelstürmer Stefan Lex (Verdacht auf Syndesmoseriss) verzichten, und auf das Selbstvertrauen, das er sich eigentlich bei dem Regionalligisten holen wollte. Es gehe nun darum, "dass wir wieder zurück in die Spur finden", sagte Mauersberger nach der fünften Pflichtspielniederlage in Serie und benannte dann, worauf es nun ankomme: "einfachen Fußball spielen, von Mann zu Mann passen, kämpfen, uns in den Zweikämpfen reinhauen." Mauersberger untermalte seine Worte, indem er sich mit der Faust auf die flache Hand schlug: "Dann verzeihen uns auch die Fans."

© SZ vom 02.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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