TSV 1860 München:Schiri im Weg

TSV 1860 München: Enttäuschung im Schneetreiben: Sechzigs Rechtsverteidiger Yannick Deichmann nach dem Schlusspfiff und dem späten 1:1.

Enttäuschung im Schneetreiben: Sechzigs Rechtsverteidiger Yannick Deichmann nach dem Schlusspfiff und dem späten 1:1.

(Foto: Ulrich Wagner/Imago)

Die Löwen zeigen gegen Saarbrücken eine der besten Leistungen der Saison - und erleiden doch einen Rückschlag im Aufstiegskampf. Nach mehreren kniffligen Szenen in den vergangenen Partien fühlen sie sich nun einmal zu oft betrogen.

Von Christoph Leischwitz

Endlich gab es im Grünwalder Stadion mal wieder richtig viele Aufreger, und noch dazu genügend Menschen, die sich darüber aufregen konnten. Zunächst schimpften die Fans des 1. FC Saarbrücken auf den Deutschen Fußball-Bund (DFB), wahrscheinlich wegen der sechs Punkte, die den Gästen nach dem Rückzug von Türkgücü München gestrichen wurden, gegen den sie zuvor zweimal gewonnen hatten. Im Gästeblock war das DFB-Logo in einem Fadenkreuz zu sehen. Dann schimpften die Fans von 1860 München zunehmend auf den Schiedsrichter, die Spieler beharkten sich reichlich, und am Ende schimpfte auch noch Sechzigs Trainer Michael Köllner auf den DFB.

Bei Magentasport auf die vermeintlichen Schiedsrichter-Fehltritte angesprochen, redete sich der 52-Jährige richtig in Rage. Weil es in der ersten und der zweiten Liga den Videobeweis gibt und in der dritten nicht, und weil in Sven Jablonski diesmal ein erfahrener Fifa-Schiedsrichter die hitzige Partie leitete, mündete die Köllner-Tirade in der Aussage, diese Fehler brächte "das System mit sich", und dieses "System krankt, das will nur keiner wahrhaben". Es schien, als hätten sich die Sechziger nach mehreren kniffligen Szenen in den vergangenen Partien nun einmal zu oft betrogen gefühlt.

"Darf er mit drei Pfund stoßen, mit fünf Pfund stoßen, mit 20 Pfund stoßen? Hört's mir auf!"

Einmal, in der 18. Minute, hatten sie einen Handelfmeter gefordert, wohl nicht ganz zu Unrecht, und womöglich gibt es bei 1860 gegen Saarbrücken schon auch ein paar versteckte Fouls mehr zu übersehen als zum Beispiel bei FC Bayern gegen RB Leipzig, das der 31-Jährige vor zwei Monaten leitete. Aber das alles wäre nicht der Rede wert gewesen für Köllner, wäre Saarbrücken in der Nachspielzeit nicht noch der Ausgleich zum 1:1-Endstand gelungen: Vor dem Abstauber von Sebastian Jacob war Fabian Greilinger von Minos Gouras gerempelt worden. Auf den Hinweis, dass es sich dabei um einen leichten Rempler gehandelt habe, platzte Köllner erneut der Kragen: "Darf er mit drei Pfund stoßen, mit fünf Pfund stoßen, mit 20 Pfund stoßen? Hört's mir auf!"

Es mag vielleicht eine unglückliche Formulierung gewesen sein nach dem Spiel, als Köllner sagte, die Mannschaft habe seinen Plan "eins zu eins umgesetzt", aber er hatte ja Recht: Es war eine der besten Saisonleistungen der Löwen, insbesondere eine der besten Leistungen gegen eine Spitzenmannschaft. Zwar hatte Saarbrücken mehrmals Chancen zur Führung, etwa, als Jacob alleine auf Sechzigs Ersatzkeeper Tom Kretzschmar zulief (52.) - als jedoch Greilinger den Angreifer überholte und klären konnte, nachdem dieser den Keeper umlaufen hatte, hörte sich die Reaktion der Münchner Anhänger eher an wie bei einem Tor des eigenen Teams. Sechzig hatte spielerisch und kämpferisch lange Zeit dominiert.

Überraschend ruft Köllner den Kampf um den Aufstieg aus - das hatten die Löwen in den Wochen zuvor geflissentlich unterlassen

Der Einsatz vor dem Führungstreffer sprach Bände, als Marcel Bär sich in einem Sprint über das halbe Feld den Ball erkämpfte und Erik Tallig bediente. Der gab später zu, dass er eigentlich zu Richard Neudecker querlegen wollte: "Hab' aber gesehen, dass der Passweg zu ist." Insofern konnten die Sechziger in dieser Szene dem Schiedsrichter mal dankbar sein, denn er war es, der den Passweg zugestellt hatte. Tallig schoss also selbst aus 16 Metern aufs Tor und übertölpelte Keeper Daniel Batz (74.). Die größte Schwäche der Löwen war die schlechte Chancenverwertung, die fehlende Präzision und Ruhe bei den Abschlüssen.

Köllner fand die Leistung seiner Mannschaft so klasse, dass ihn nicht einmal das ärgerliche Gegentor in der 91. Minute davon abbringen konnte, nun doch etwas überraschend den Kampf um den Aufstieg auszurufen: Man werde womöglich "ein gewichtiges Wort um den Aufstieg mitreden können" - dabei hatten die Löwen es geflissentlich unterlassen, in den Wochen zuvor darüber zu reden. Jetzt hatten sogar die Spieler die Erlaubnis, zur Attacke zu blasen, wie Torschütze Tallig: "Wenn wir diese Leistung in den letzten sechs Spielen bringen, werden wir noch genügend Punkte holen." Beachtlich auch, dass jene Leistung trotz mehrerer Ausfälle gelang, so zeigte auch der 17-jährige Abwehrspieler Leandro Morgalla eine gute Leistung.

Deichmann will nach einem Fausttreffer gegen seinen Kopf unbedingt weiterspielen - , er habe "keine großen Lücken in seiner Erinnerung gehabt", berichtete Köllner

Es gab noch ein weiteres, allerdings eher problematisches Indiz dafür, wie bedeutsam das Duell der Tabellennachbarn war. In der ersten Minute der zweiten Halbzeit traf Keeper Kretzschmar seinen Mitspieler Yannick Deichmann beim Klären eines hohen Balles mit der Faust am Hinterkopf. Schiedsrichter Jablonski sah sich den benommenen Deichmann an und winkte die Helfer herbei, Deichmann schien nicht selbst zum Spielfeldrand gehen zu können. Einer der Physios machte wenig später das Auswechsel-Handzeichen und schüttelte im Gespräch mit Köllner mehrmals den Kopf - und doch stand Deichmann dreieinhalb Minuten nach dem Schlag wieder auf dem Feld. "Yannick wollte unbedingt draufbleiben", sagte Köllner über den zweikampfstarken Antreiber, er habe "keine großen Lücken in seiner Erinnerung gehabt".

Am Sonntag ließ der SV Waldhof Mannheim Punkte in Zwickau liegen, er bleibt damit punktgleich mit den Sechzigern, die wegen des Türkgücü-Ausfalls auch noch ein Spiel mehr vor sich haben als der Zweite und der Dritte. Köllner ist zuversichtlich, Lautern und Braunschweig einholen zu können, eigentlich fehle nur noch eins: dass das Pendel bezüglich Schiedsrichter-Entscheidungen auch mal wieder zugunsten der Löwen schwinge.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: