Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Plötzlich wieder Aufstiegstruppe

Lesezeit: 3 min

Nach langem Hin und Her hat Trainer Michael Köllner seinen Wunschspieler Raphael Holzhauser doch noch bekommen. Wie sich die Wirrungen im Trainingslager auf die Stimmung im Klub auswirken, bleibt abzuwarten - fest steht, dass Köllner nach dem Transfer noch stärker unter Zugzwang steht als zuvor.

Von Christoph Leischwitz

Ein "überragendes" Trainingslager sei zu Ende gegangen, sagt Michael Köllner, das Wetter sei super gewesen, die Testspiel- und Trainingsleistungen seiner Spieler ebenso. Normalerweise würde es nun an dieser Stelle heißen: Alle ziehen mit. Was man eben so sagt, wenn man bekräftigen möchte, dass ein Aufstiegskandidat wirklich aufsteigen will. Schließlich hatten beim Fußball-Drittligisten TSV 1860 München im Trainingslager im türkischen Belek selbst einige aus der zweiten Reihe auf sich aufmerksam gemacht. So wie Martin Kobylanski, der vor der Winterpause in 17 Ligaspielen kein einziges Mal über 90 Minuten mitwirken durfte, und der im letzten Spiel des Jahres 2022 nicht einmal im Kader stand. Das Problem ist nur, dass Kobylanski dieses Auf-sich-aufmerksam-Machen höchstwahrscheinlich überhaupt nichts bringen wird.

Das überragende Trainingslager war auch gar nicht so überragend, denn es fehlte ein überragender Spieler, den Trainer Köllner gerne dabei gehabt hätte, und der gesetzt sein wird. Ein Spieler auf der Position Kobylanskis.

Es war zu Verzögerungen gekommen beim Leihgeschäft von Raphael Holzhauser, 29, und so hatte sich Köllner unmittelbar vor der Abreise zurück nach München zu einem überragend emotionalen Ausraster hinreißen lassen: Man sei auf der Achter-Position "schwach aufgestellt", meckerte er, "wir haben dort nur Kobylanski, Wörl und Tallig." Mit Abflug hing dann zusätzlich noch die Frage in der Luft, ob Köllner wegen der Verzögerung beim Vertragsabschluss nicht auch noch sauer war auf den Geschäftsführer Günther Gorenzel.

Letztlich reiste Holzhauser dann quasi zeitgleich nach München, nur eben von woanders, am Mittwoch wurde er vorgestellt. Gut möglich, dass der ehemalige Bundesligaspieler des FC Augsburg, nun doch noch verliehen vom belgischen Erstligisten Oud-Heverlee Leuven, an diesem Samstag zum Drittliga-Wiederbeginn bei Waldhof Mannheim (14 Uhr) schon in der Startelf steht.

Ein kurzer Blick zurück auf das vorletzte Trainingslager: Köllner hatte im Sommer, so hieß es lange, alles bekommen, was er wollte. Neun Neue waren da, darunter Kobylanski, 28 Jahre alt, immerhin mit der Erfahrung vieler Zweitligaspiele und auch ein paar in der ersten Liga. Niemand kam damals auf die Idee, dass die Sechziger im zentralen Mittelfeld noch einen erfahrenen Spieler suchten, zumal Köllner damals im österreichischen Saalfelden noch sagte: "Ich glaube, das wäre der Gruppe gegenüber unfair." Wenn man das Gefühl habe, dass auf der einen oder anderen Position "Luft nach oben" sei, werde man bis Ende August vielleicht noch jemanden holen. Auch wenn das aufgrund der finanziellen Situation bei den Löwen per se eher unrealistisch erschien.

Es folgte ein furioser Saisonstart. Obwohl immer wieder Stammkräfte wie Angreifer Marcel Bär verletzt fehlten, war da kaum Luft nach oben. Im Herbst folgten jedoch unerklärlich schlechte Leistungen, der selbsternannte Aufstiegskandidat rutschte auf Rang sechs. Nach dem 1:1 gegen Rot-Weiss Essen versprach Köllner, akribisch an den Schwachstellen zu arbeiten.

Exakt zwei Monate später sitzt der nunmehr 53-Jährige wieder im Pressestüberl und sagt, dass er sich mit Themen wie schlechter Stimmung nicht mehr lange aufhalten wolle. Es sei in den zwei Monaten hart daran gearbeitet worden, wieder erfolgreich Fußball zu spielen.

Aber ist dafür die Stimmung im Team nicht auch wichtig? Und: Ist diese nun besser nach Aussagen wie jenen über Kobylanski, Wörl und Tallig?

Holzhausers wichtigste Qualitäten liegen "im Bereich Leadership", sagt Köllner, da habe er "ein Vakuum" gesehen

Die Antwort ist für Köllner eben auch: Holzhauser. "Er erfüllt in Gänze unser Profil", schwärmt er. In dieses Profil fließen freilich auch sportliche Qualitäten mit ein, es brauche ja dringend einen Verbindungsspieler zwischen Abwehr und Angriff. Die wichtigsten liegen aber "im Bereich Leadership", sagt Köllner, da habe er "ein Vakuum" gesehen: "Da lag die Verantwortung in den letzten Wochen bei einem 18-Jährigen", sagt Köllner. Bei Marius Wörl also. Kobylanski wird zwei Tage vor dem wichtigen Spiel bei den heimstarken Mannheimern nicht einmal erwähnt. Dass Köllner viel Erfahrung nicht gleichsetzt mit Führungsqualitäten, das zeigt auch der Fall Quirin Moll. Der 31-jährige Defensivspieler (264 Profi-Partien) durfte zusammen mit Marius Willsch und Lorenz Knöferl nicht einmal mit nach Belek reisen. Gut möglich, dass Moll noch in der aktuellen Transferphase die Löwen verlässt.

All das bedeutet nun aber auch, dass die Erwartungen an Holzhauser von Beginn an enorm groß sind. Zugleich hat Köllner geradezu sein eigenes Schicksal mit dessen Leistung verknüpft: Ohne Holzhauser habe man keine Aufstiegstruppe beisammen (obwohl das im Sommer noch so war), sagte er, ergo: mit Holzhauser schon. Ein Leihspieler muss nun dafür sorgen, dass die Mannschaft nicht mehr von rätselhaften Kollektiv-Ausfallerscheinungen heimgesucht wird, dass sie wieder Tempo ins Spiel bekommt und in der Tabelle nach oben klettert. Köllner steht nun auch selbst noch viel stärker unter Druck als vor dem Transfer.

Ganz offiziell war Köllner nach der Rückkehr schon um gute Stimmung bemüht. Er sei halt sauer gewesen vor dem Abflug, weil der Wunschspieler das Trainingslager verpasst hatte. Seine Aussagen seien aber "Nullkommanull Seitenhieb" in Richtung Gorenzel gewesen. Doch zumindest in der Pressekonferenz fehlte noch etwas: eine Nachricht zwischen den Zeilen, zur Not eine überragende Floskel, dass bei 1860 München alle an einem Strang ziehen, um das gemeinsame, große Ziel zu erreichen. Auf dem Papier steht das vorletzte Spiel der Hinrunde an. Waldhof Mannheim ist ein Verfolger der Löwen und die heimstärkste Mannschaft der Liga. Und somit, je nach Ausgang, ein Katalysator für jede Art von Stimmung.

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