Süddeutsche Zeitung

TSV 1860 München:Noch im Todeskampf windet sich 1860 mit viel Lärm

  • Am 2. Juli soll es zu einer Kampfabstimmung der Mitglieder darüber kommen, ob 50+1 beim TSV 1860 stärker oder weniger gelebt werden soll.
  • Die beiden Seiten bereiten sich bereits vor.
  • Investor Hasan Ismaik will nach eigener Aussage gegen 50+1 klagen - die Vereinsvertreter wollen die Regel erst so richtig leben und Ismaik aus dem Verein ausschließen.

Von Markus Schäflein und Philipp Schneider

In exakt jener Minute, als am Freitag um 15.30 Uhr die Frist für die fällige Millionenzahlung zur Lizenzsicherung in der dritten Liga ablief, hat Hasan Ismaik noch mal laut gelacht. Ob das Geld auf dem Konto des TSV 1860 München eingegangen sei? "No, no", rief Ismaik in den Telefonhörer, eine Überweisung dauere einen Tag. "Geld ist ja da! In meiner Company!" Ja, okay, Company schön und gut, warf man reflexartig ein. Aber ob das Geld auch auf dem Konto der richtigen Company sei? Der Company des ehemaligen Zweitligisten 1860? "No", sagte Ismaik, aber das sei kein Problem. Mit dem DFB sei alles besprochen. Und am 2. Juli sei ja Mitgliederversammlung! Man werde schon sehen.

Man sah dann leider: keine Lizenz.

Und einige Stunden später sah es auch der erste arabische Investor im deutschen Profifußball anders. Dann nämlich kündigte er an, gegen 50+1 zu klagen. Gegen jene Regel, die ihm entscheidend weniger Einfluss gibt als dem Verein, obwohl der Verein ja im Gegensatz zu ihm kaum Geld besitzt. Gegen diese spezielle Bestimmung der Deutschen Fußball-Liga (DFL), des Deutschen Fußball-Bundes (DFB) und auch des Bayerischen Fußball-Verbands (BFV)

will der Jordanier nun juristisch vorgehen. "Es ist ein großer Skandal im deutschen Fußball passiert", sagte Ismaik der SZ, nachdem er am Freitagabend ein Komplott seitens des BFV mit seinem Präsidenten Rainer Koch gewittert hatte - mit dem Ziel, ihn loszuwerden. Der Verband hatte Aspekte der 50+1 Regel erst am Vortag in die Satzung aufgenommen. "Um keinen Interpretationsspielraum zu lassen", sagt Verbandssprecher Thomas Müther. 1860-Vizepräsident Hans Sitzberger findet: "Der Koch ist ein guter Mann."

Auf einmal geht es um "Corporate Governance"

Am Freitag hat Hasan Ismaik den Profifußballklub TSV 1860, deutscher Meister des Jahres 1966, in der sportlichen Bedeutungslosigkeit versenkt. Er hat die fälligen 11,3 Millionen Euro nicht gestellt, die für eine Lizenz notwendig gewesen wären. Nach SZ-Informationen sah ein ursprünglicher Plan vor, dass die Finanzierung für die Drittligalizenz mittels eines Sponsoring-Vertrags gesichert werden sollte. Daraus wurde nichts. Unklar blieb dann, ob Ismaik das Geld am Ende nicht stellen wollte - oder gar nicht konnte. Ob er auf jene Company unter den gegebenen Umständen nicht zugreifen wollte - oder nicht konnte.

Auf Letzteres deutet nicht nur seine Formulierung in seiner offiziellen Pressemitteilung hin, es sei ihm "leider nicht möglich" gewesen, "den erheblichen Betrag bereitzustellen". Sondern dies legen auch die Details seines Forderungskatalogs an den Klub nahe. Der war schließlich so umfassend, dass Ismaik klar sein musste, dass nicht alle Forderungen umzusetzen gewesen wären, selbst wenn es die e.V.-Vertreter gewollt hätten. Eine partielle Streichung des Weisungsrechts, das nur die Vereinsvertreter - nicht aber Ismaik - gegenüber dem Geschäftsführer besitzen, hatte die DFL am Montag vergangener Woche abermals abgelehnt. Das Schreiben liegt der SZ vor. Als Begründung, dass kein Geld floss, war aus Ismaiks engstem Umfeld noch eine weitere Klage zu vernehmen: 1860 entspreche in seiner gegenwärtigen Form nicht den Grundsätzen von Corporate Governance. Also einer Unternehmensführung, in der etwa ein Unternehmens-Aufsichtsrat die maßgeblichen Geschäfte letztinstanzlich überwacht.

Das stimmt sogar. Bei 1860 ist diese Instanz - wegen 50+1 - ein Vereinsvertreter, der wiederum dem e.V.-Verwaltungsrat unterstellt ist. Daran lässt sich aber nichts ändern. Sagt die DFL. Und so dreht man sich im Gespräch mit Ismaik und seinen Leuten an dieser maßgeblichen Stelle permanent im Kreis. Als Vereinsvertreter genauso wie als Journalist. Bloß: Wer macht plötzlich die Einführung von Corporate Governance im 50+1-Fußballland Deutschland als Bedingung für Zahlungen? Und warum ist dieses Interesse so groß, dass es sich lohnt, dafür das ganze Investment 1860 zu versenken?

Auch im Todeskampf windet sich der Giesinger Arbeiterklub noch mit so viel Lärm, wie man es zeitlebens von ihm kannte. An jeder Stelle treten nun Protagonisten an die Oberfläche und geben sich gegenseitig die Schuld. Sogar der zurückgetretene Vereinspräsident Peter Cassalette, der den verheerenden sportlichen Kurs gemeinsam mit Ismaik verantwortet hatte, meldete sich in dem Fanblog Blaue24 zu Wort. Er gab dem Verwaltungsrat und Torwart Stefan Ortega die Schuld am Niedergang des Klubs - und rief ebenfalls zum Sturz von 50+1 auf. "Wie kann es sein", fragt Cassalette, dass der Geschäftsführer der Firma, welche durch Ismaik finanziert werde "und an der er die Mehrheit hält, nicht von ihm bestimmt werden kann? Der deutsche Fußball muss sich überdenken."

Derweil organisieren diejenigen Vereinsvertreter, die noch da sind, den Wiederaufbau in der Regionalliga. Die devote Haltung unter Cassalette, der alle Vorgaben von Ismaik "bis fast zur Selbstverleugnung" mitgetragen habe, wie es Vizepräsident Heinz Schmidt ausdrückte, solle Geschichte sein. Ab jetzt, so ist zu hören, will 1860 die gute alte 50+1-Regel erst so richtig leben - erstmals wohl schon in der Frage nach der Besetzung des Geschäftsführer-Postens, in der die Fronten am Montag nach wie vor verhärtet waren. An diesem Dienstag soll der neue Mann, der nicht, wie von Ismaik gewünscht, wieder Anthony Power heißen wird, präsentiert werden.

Schon am Samstag wurde der bisherige stellvertretende Verwaltungsratschef Robert Reisinger zum Übergangspräsident. "Mein Ziel ist es, mit Hilfe unserer exzellenten Jugendarbeit auch den Erwachsenenbereich wiederaufzubauen", sagte Reisinger. Das klang nicht so, als werde das Import-/Export-Geschäft mit Spielern und Trainern aus aller Welt fortgesetzt. Der TSV 1860 plant seine Zukunft offensichtlich ohne Ismaik - und ohne dessen Geld.

So kommt es jetzt am 2. Juli zu einer Kampfabstimmung der Mitglieder darüber, ob 50+1 stärker oder weniger stark gelebt werden soll. Die beiden Seiten bereiten sich bereits vor. Die große Fanorganisation Arge, die noch immer auf Ismaiks Seite steht, sammelt 500 Unterschriften für eine Amtsenthebung von Vizepräsident Sitzberger ("Ich hätte gerne eine freie Fußballwelt bei Sechzig") und diversen Verwaltungsräten. Gegner Ismaiks wiederum haben beim Vereinsrat ein Vereinsausschlussverfahren gegen den Jordanier beantragt - wegen "vereinsschädigendem Verhalten in den letzten Tagen", "Denunzierungen der Mitglieder" und "Erpressungsversuchen".

Der beliebte Münchner Stadtpfarrer Rainer Schießler hat sich jedenfalls schon klar und blumig positioniert. Sechzig sei unter Ismaik in eine "babylonische Gefangenschaft" geraten und brauche nun einen "totalen, radikalen Neuanfang". Dabei sollten alle Anhänger mithelfen, findet der Pfarrer. "Gerade in der Not braucht man Freunde, oder wie Jesus von Nazareth sagt: Die Kranken zu heilen bin ich gekommen, nicht die Gesunden."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3534834
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 06.06.2017/chge
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.