TSV 1860 München:Niemann ist schneller

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Viel Wumms – auch ohne Masse: Noel Niemann bringt Sechzig gegen Mannheim in Führung. (Foto: Jan Huebner/imago images)

Sechzig bleibt im achten Punktspiel unter Michael Köllner unbesiegt. Mit dem 1:1 gegen Mannheim ist der Trainer auch deshalb zufrieden, weil sich seine personellen Entscheidungen bewähren.

Von Philipp Schneider

Jede Serie gehe einmal zu Ende, das hat Michael Köllner vor dem Spiel angekündigt. Mit dieser Prophezeiung ist er selbstverständlich herzlich wenig ins Risiko gegangen. Auch wenn der Trainer des TSV 1860 München, dessen Mannschaft vor dem Spiel neunmal nacheinander nicht verloren hatte, an die noch sehr viel beeindruckendere Serie des Gegners am Samstag gedacht hatte: Waldhof Mannheim hatte seit März 2018 auswärts nicht mehr verloren - seit fast zwei Jahren. Aber Köllner wusste die Prinzipien der Stochastik auf seiner Seite.

Nun liegt es in der Natur der Wahrscheinlichkeit, dass sie uns gern narrt und Mächte und Strukturen auch dort erkennen lässt, wo nichts weiter herrscht als Zufall und sein treuester Adjutant: das Gesetz der Serie. Wie also endet eine Partie zweier Mannschaften mit irren Serien, die vor Anpfiff in den Medien standortübergreifend zu "Monsterserien" hochgeschrieben worden waren? Natürlich mit 1:1 (0:0)!

Wer nun aber dachte, die Serientäter aus Mannheim und München könnten gleichermaßen gut leben mit ihren erfolgreichen Fortsetzungsgeschichten, der erhielt nach dem Schlusspfiff Aufklärung von Sechzigs Innenverteidiger Aaron Berzel. Berzel war mal wieder eine tadellose Vorstellung gelungen am Samstag. Was seine Laune allerdings ebenso wenig steigerte wie der Umstand, dass Berzel vor dem Gegentreffer, der aus einem Ballverlust seines Nebenmanns Dennis Erdmann resultierte - der sich nach einer merkwürdigen Exkursion in diesem Moment auf Höhe des gegnerischen Strafraums befand - noch versucht hatte "so schnell wie möglich die Beine in die Hand zu nehmen", um das Remis zu verhindern.

Es sei ihm grundsätzlich egal, was Gegner vor ihrer Anreise so geleistet hätten, referierte Berzel, "ob sie zwei oder vier Jahre nicht verloren haben". Es sei so: "Wenn hier jemand hinkommt, dann will ich gewinnen. Ich lass auch niemand bei mir zuhause rein und sag': Hier, setz dich auf meine Couch und mach dir den Fernseher an. Da hab ich genauso wenig Lust drauf, wie mir drei Punkte wegnehmen zu lassen."

Zumindest zwei Punkte hatten sich die Löwen in der Tat wegnehmen lassen von Waldhof Mannheim: Und zwar ziemlich genau in der 62. Minute, als Erdmann den Ball unfreiwillig an den Mannheimer Mounir Bouziane übergab und dieser zu einem mit zwei, drei Doppelpässen garnierten Lauf über den gesamten Platz ansetzte und schließlich Torwart Marco Hiller überwand. "Wir bekommen ein Tor, das so nicht passieren darf", referierte Nebenmann Berzel völlig korrekt. "Das muss man einfach früher unterbinden. Da muss man ein Foul im Mittelfeld machen. Oder direkt nach dem Ballverlust."

Dass Michael Köllner mit dem Unentschieden doch einigermaßen gut leben konnte, lag nicht allein daran, dass er nun auch in seinem achten Punktspiel als Münchner Trainer unbesiegt geblieben war. Er hatte zudem ein "intensives, technisch starkes Spiel" erlebt. Ein Spiel, in dem sich seine personellen Entscheidungen bewährten: Im Vergleich zum 2:2 in Zwickau nominierte Köllner Leon Klassen für den gesperrten Phillipp Steinhart. Und statt Prince Owusu schickte er den nach einer Muskelverletzung wieder einsatzfähige Noel Niemann auf den Rasen. Klassen ist 19, Niemann ist 20. Klassen nahm Mannheims wendigen Stürmer Valmit Sulejmani mit sehr viel Übersicht und noch mehr körperlichem Einsatz fast vollständig aus dem Spiel. Und Niemann bewies im zentralen Mittelfeld, das er das nächste Löwentalent sein könnte, das irgendwann mal einen Bundesligisten glücklich macht: Er schoss die Löwen in der 54. Minute blitzsauber in Führung - fünf Minuten nachdem Sascha Mölders einen Kopfball an den Pfosten gesetzt hatte.

Niemanns körperliche Veranlagung macht ihn einerseits pfeilschnell. Andererseits sorgt sich der Betrachter beim Anblick seiner Sprints, bei Föhnlage könne ihn eine von den Alpen strömende Brise handstreichartig in den Staub werfen. Auf die Frage, ob er, der Mann ohne Ballast, Gewicht zulegen müsse, um im Profifußball zu bestehen, sagte Niemann kürzlich: "Ja, schon, aber wenn ich 100 Kilo wiege, komme ich ja nicht mehr von der Stelle."

Gegen Mannheim kam Niemann von der Stelle. Und wie: Marius Willsch hatte sich einen fast aussichtslosen Ball an der rechten Grundlinie erlaufen, an seine Hereingabe kam Mölders nicht richtig ran, aber Niemann flog nun herbei. Er stoppte den Ball mit der Brust, nahm ihn volley - und räumte so auch noch mit dem schon von Didi Hamann widerlegten aber immer noch verbreiteten Vorurteil auf, ein Schütze benötige Masse für viel Wumms.

Köllner war auch nicht entgangen, dass Sechzig schon in der ersten Hälfte einige Chancen erspielt hatte. Abgesehen von einem Schuss von Dressel, "den der Torwart gerade noch rauskratzt", wie der Trainer lobte, waren die Chancen oft Schüsse, die knapp am Tor vorbeiflogen und sehr oft von Mölders getreten wurden.

Der Konter, der 1860 zum Verhängnis wurde, war tatsächlich Mannheims einziger. Dennoch sei das 1:1 das logische Ergebnis gewesen, befand Köllner. "Ich bin froh, dass wir so ein Spiel zeigen konnten. Wenn du konstant punkten willst, dann brauchst du Qualität in deinen Spielen. Heute hat die Mannschaft defensiv sehr gut gearbeitet, einen guten Ball nach vorne gespielt, gute Lösungen im Spielaufbau gehabt - mit verschiedenen Varianten", lobte er. Und da Köllner ja eh nicht den Aufstieg in dieser Saison plant (und sich vor allem für die Punktedifferenz zum vom Abstieg rettenden Tabellenplatz 16 interessiert), ist ihm vielleicht sogar entgangen, dass Sechzigs Abstand zu Platz drei wie vor der Partie sechs Punkte beträgt. So richtig kommt niemand von der Stelle.

© SZ vom 10.02.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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